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Und keiner sagt Schluss mit dem Schwachsinn!

Print-Ausgabe 19. Oktober 2019

Pauschalreisende kennen das Ritual: Zwei Tage vor der Heimreise schaut man im Ordner des Reiseveranstalters nach, wann man für den Rückflug aufgesammelt wird. Bisher waren Flugnummer, Abholzeit, Anzahl und Namen der Passagiere angeführt. Auf die Namen muss man nun verzichten: Personenbezogene Daten dürfen ohne Zustimmung des Betroffenen nicht „verarbeitet“ werden, die seit Mai wirksame EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) lässt das nicht zu. Die Frage, wie viele Passagiere auf Grund von Verwechslungen nun Stunden Urlaubszeit in der Hotelhalle verplempern oder per Taxi dem Bus zum Flughafen nachgeschickt werden müssen, quittiert die freundliche TUI-Reiseleiterin mit einem leicht gequälten Lächeln.

Die Stadt Wien – Österreichs größter Wohnungseigentümer – hat angekündigt, von den Gegensprechanlagen ihrer rund 220.000 Mieter und wohl auch von den Mieterverzeichnissen in den Hausfluren die Namen zu entfernen. Ein Mieter hatte sich in seiner Privatsphäre verletzt gesehen, weil seine „personenbezogenen Daten“ ohne seine Zustimmung für das Namensschild verwendet wurden. Weil sich „Wiener Wohnen“ außer Stande sieht, von allen Mietern diese Zustimmung einzuholen und die unterschiedlichen Wünsche auch noch zu erfüllen, sollen die Namen ganz verschwinden. Wer sein Recht auf ein Schild erfüllt sehen möchte, muss selbst ans Werk gehen.

Dieses Anonymitätsproblem trifft nicht nur Wien, sondern alle Hausverwaltungen, und da Beschwerden (angeblich) 1.000 Euro Schadenersatz auslösen können, werden viele dem Beispiel folgen und statt der Namen der Bewohner nur die Tür- bzw. Hausnummer als „TOP…“ angeben. Für die ohnedies häufig überforderten Postzusteller wird das zur Herausforderung und für Reisebüros, die Reiseunterlagen relativ knapp vor dem Termin zuschicken, wird zu überlegen sein, ob sie das Risiko eingehen, dass diese rechtzeitig ankommen.

Ohne Hausverstand

Diese Beispiele sind in Wahrheit nur Petitessen, die aber einen Eindruck geben, zu welchen Auswüchsen der überzogene Datenschutz führt. Das Ziel der DSGVO sollte sein, die Verwendung von Daten unter Kontrolle zu halten und die Übermacht der großen Datenkonzerne einzuschränken. Herausgekommen ist ein umfangreiches und kompliziertes Regelwerk mit weiten Graubereichen. Ein Vertreter der Datenschutzbehörde meinte, es würde noch Jahre dauern, bis alle rechtlichen und technischen Fragen geklärt seien, letztendlich durch höchstgerichtliche Urteile. Bei den „Medientagen“ in Wien erklärte der Geschäftsführer der „Kurier“-Gruppe Thomas Kralinger, es habe eine Million Euro gekostet, um die Verordnung im Unternehmen umzusetzen, ohne dass auch nur ein Euro Mehrwert daraus entstanden sei. Und anstatt die DSGVO ordentlich auszuarbeiten, ist parallel dazu bereits eine „E-Privacy“- Verordnung in Arbeit, die den privaten Bereich der Datenverwendung regeln soll. Der EU-Parlamentarier Heinz K. Becker (ÖVP) erklärte dazu, der vorliegende Entwurf sei „nicht tragbar“ und jedenfalls nicht von „Hausverstand und Vernunft“ geprägt.

Am meisten frustriert, dass die Übermacht der Datenkraken weiter gestärkt wird: Während ein Hotelier noch überlegt, wie er seinen Stammgästen die Zustimmung zur Zusendung von Weihnachtsmails herauslocken kann, haben Google, Facebook & Co. bereits die Einwilligung für jede Art von Datenverarbeitung – wer ihre Serviceleistungen braucht, kann sie kaum verweigern.

Seltsam ist die Reaktion der Wirtschaft: Mit Ausdauer wird nach Möglichkeiten gesucht, auch für die unsinnigsten Regelungen einigermaßen praxistaugliche Lösungen zu finden. Und keiner sagt einfach Schluss mit dem Schwachsinn.

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