ANA

Dass Venedig kurz davor steht, von den Besuchermassen erstickt zu werden, ist seit Jahrzehnten ein Thema, für das es inzwischen auch einen Fachausdruck gibt: „Overtourism“ – Tourismus in einem Übermaß, das seine eigenen Grundlagen zu zerstören droht. Nachdem immer wieder zum Teil skurrile Pläne für Beschränkungen bis zu Eintrittskarten für den Marcus-Platz angekündigt und schnell wieder vergessen wurden, schien es heuer zum Auftakt des Carnevals tatsächlich so weit zu sein: Die Stadtverwaltung kündigte an, dass hunderte zum Teil bewaffnete Polizisten den Marcus-Platz ab 25.000 Besuchern (gegenüber bis zu 45.000) sperren würden. Wie das geht, hätte viele interessiert. Nach der Eröffnungsshow wurde aber nur berichtet, dass sie trotz der „Sicherheitsmaßnahmen“ ein voller Erfolg gewesen sei. Venedig-Besucher reagierten auf die Frage, wie sie die Beschränkungen empfunden hätten, vielfach mit Ratlosigkeit: Welche Beschränkungen?

Beim nächsten von Overtourism gefährdeten Termin, dem „langen Wochenende“ vor dem 1. Mai, waren die angekündigten Maßnahmen so beeindruckend, dass sie von Medien mit Schlagzeilen wie „Venedig macht dicht“ angekündigt wurden. Es gab tatsächlich Drehkreuzanlagen, allerdings nur zwei, und diese nicht etwa bei den Touristen- Hot Spots Marcus-Platz oder Rialto-Brücke, sondern im Bereich der Piazzale Roma bzw. des Bahnhofes. Das Ziel war nicht eine Beschränkung der Zahl der Besucher, diese sollten lediglich von den touristischen Trampelpfaden zu den Zentren auf weniger belastete Wege umgeleitet werden. Ob das funktioniert, wurde wieder nicht geklärt: Ein paar Dutzend „Linksaktivisten“ räumten die Drehkreuze zur Seite und brachten Transparente an. Aber nicht etwa, um damit gegen die Belastung durch zu viele Touristen zu protestieren, sondern gegen Zugangsbeschränkungen, die die Stadt zu einem „Freizeitpark degradieren“ und die Freiheit aller Menschen einschränken. Nach ein paar Stunden waren die Drehkreuze wieder installiert, blieben aber offen: Angeblich weil das Wetter nicht so strahlend war, blieb der große Ansturm aus. Marcus-Platz und Rialto-Brücke präsentierten sich so voll wie gewohnt.

Bürgermeister Luigi Brugnaro zeigte wenig Verständnis für die Proteste: Venedig sei doch eine so schöne Stadt. Er bleibe bei seinem Entschluss, die Touristenströme so zu „regulieren“, dass die Lebensqualität für die Venezianer und Gäste gesichert sei.

Nur eine PR-Aktion?

Dass Brugnaro die Problematik des Overtourism nicht besonders belastet, ist bekannt. Er wird sogar verdächtigt, die Dramatisierung der Ankündigung von Zugangsbeschränkungen, die gar nicht funktionieren können, als PR-Aktion inszeniert zu haben.

Dabei gibt es genügend Probleme, zu deren Lösung die Stadt dringend mehr als Scheinaktionismus aufwenden sollte. Etwa, dass es für die auf nur mehr 55.000 geschrumpfte Zahl der Einwohner kaum mehr leistbare Wohnungen gibt, dafür allein in den letzten vier Jahren 4.000 Wohnungen mehr, die über Airbnb an Touristen vermietet werden. Und nicht einmal Bürgerinitiativen können sie dazu motivieren, endlich das aktuell größte Problem anzugehen: Die wachsende Armada von Kreuzfahrt-Monstern, die eine echte Existenzgefährdung für die Stadt darstellen, aus der Lagune zu bekommen. Nach mehrjährigen Verhandlungen haben Stadt, Region und Staat den Ausbau eines neuen Kreuzfahrthafens in Marghera (auf dem Festland) vereinbart. Brugnaro zeigte sich hoch zufrieden: Es reiche aus, dass der UNESCO und der Welt klar werde, dass eine Lösung gefunden sei. Nicht klar ist, was sie kostet und woher das Geld kommen soll. Damit ist gesichert, dass die Stadt den Wellenschlag der Schiffe, deren Schadstoffausstoß und die Millionen an All Inclusive-Kreuzfahrern, die die Infrastruktur belasten, aber kaum Geld ausgeben, noch viele Jahre verkraften muss.

Dass die Lagunenstadt so breiten Raum auch an dieser Stelle findet, hat einen einfachen Grund: Sie ist das „Role Model“ für die wachsenden Probleme mit dem Overtourism. Was dort passiert oder nicht passiert, kann für andere vorbildhaft sein. Nicht nur für Barcelona und Dubrovnik, auch in Österreich: Die „Liste Fritz“ (Dinkhauser) forderte die „Zivilgesellschaft“ im letzten Landtags-Wahlkampf auf, dem „Massentourismus den Krieg zu erklären“, von dem die meisten Tiroler „nur mehr die Schattenseiten bemerken“. Dass sie mit diesem Unsinn im Tourismusland Nr. 1 ihre zwei Mandate halten konnte, sollte zum Nachdenken anregen.

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