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Europameister – leider nur statistisch

Print-Ausgabe 6. April 2018

Österreichs Tourismus ist immer für Rekordwerte gut. Diesmal geht es um die Europameisterschaft im Sporttourismus: Mit 4,12 Prozent ist der Anteil des Sports am BIP (Bruttowertschöpfung) bei uns doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Der Grund dafür ist die große Bedeutung des Sporttourismus, 58 Prozent der Gästenächtigungen sind vom Tourismus generiert, mit diesen 63 Mio. ist der Sporttourismus in Österreich so stark wie der gesamte Tourismus in Kroatien oder Polen. Diese bemerkenswerten Ergebnisse gehen aus der Studie „Europameister im Sporttourismus“ hervor, die der Direktor des Institutes für Sportökonomie (SportsEconAustria) Christian Helmenstein beim Presseseminar der Bundessparte Tourismus in St. Johann im Pongau präsentierte. Ein besonderes Schmankerl: Auf regionaler Ebene ist die Bedeutung des Sporttourismus nicht, wie zu erwarten wäre, an den touristischen Hot Spots am größten, sondern eher in kleinen Gemeinden. Unter den Top 30 ist Moorbad Harbach mit 665 Einwohnern der Spitzenreiter.

Wenn die angemessene Begeisterung an der neu entdeckten Spitzenposition Österreichs abgeklungen ist, drängt sich, nicht zuletzt durch das Beispiel Harbach, die Frage auf: Wie gibt’s das?

Die Antwort ist einfach: Ein Missverständnis, bei dem nicht unterstellt werden soll, dass es im Sinne eines besonders eindrucksvollen Ergebnisses nicht ganz unbeabsichtigt passiert ist. Es wurde aber wenig getan, um es zu verhindern. Wenn von BIP bzw. Wertschöpfungsanteilen die Rede ist, geht es in der Studie nicht um den Sporttourismus, sondern um den gesamten Sport- oder Tourismusbereich. Dass die ökonomische Bedeutung des Sports im Europavergleich so hoch ist, liegt (auch) daran, dass in die Wert- und Leistungsberechnung die Infrastruktur für den Wintersport (Skipisten, etc.) mit einbezogen wird. Und bei der regionalen Betrachtung kam bei den Top 30 nur der Anteil des Tourismus am lokalen BIP zum Ansatz: Wenn wie in Moorbad Harbach außer einem großen Gesundheits- und Rehabzentrum kaum wirtschaftliche Einrichtungen vorhanden sind, ist er zwangsläufig enorm hoch – und der Sportanteil eher nahe null. Was diese vermutlich aufwendige Erhebung in einer Studie zum Thema Sporttourismus aussagen soll, ist nicht durchschaubar.

Tatsächlich gibt es im Bereich der Statistik keine allgemein gültige Definition für Sport, und schon gar nicht für Sporttourismus. Auf den daraus resultierenden „systematischen Datenmangel“ wird in der Studie auch hingewiesen. Die Verbindung zwischen Sport und Tourismus wird letztlich über eine Art Eselsbrücke hergestellt: Man orientiert sich an den „Urlaubsmotiven“, die in vielen Tourismusanalysen durch Umfragen erhoben werden. In Österreich ist das vor allem der unter Patronanz der ÖW laufende „T-Mona“ (Tourismus-Monitor Austria). Nach dieser Erhebung geben 58 Prozent der befragten Gäste als Urlaubsaktivität „Wandern“ an. Daraus folgt der Schluss: Wandern = Sport, Wanderurlaub = Sporturlaub, 58 Prozent der Urlauber sind Sporturlauber = 63 Mio. Nächtigungen werden vom Sporttourismus ausgelöst.

Milchmädchen-Schlussrechnung

Bei dieser Schlussrechnung nach Milchmädchenart ergibt sich die Frage, ob es zulässig ist, jeden als „Sporttouristen“ einzustufen. Die Statistiker sind überzeugt, dass die Befragten das „Hauptmotiv“ für ihren Urlaub angeben. Die Urlauber selbst sehen das offenbar nicht so: Vn jenen fast 60 Prozent, die „Wandern“ als wichtigste Aktivität angeben, meinen nur wenig mehr als 40 Prozent, dass sie damit einen „Wander- bzw. Bergsteigurlaub“ verbracht haben. Skeptisch macht auch, dass bei den erhobenen Urlaubsmotiven der eigenen Bevölkerung (und nicht aller Gäste im Lande) „selbst Sport betreiben“ praktisch nicht vorkommt: In der Deutschen Reiseanalyse liegt es mit zehn Prozent an 30. und letzter Stelle.

Internationale Vergleiche wie etwa der Anteile am BIP setzen voraus, dass die Daten auf gleicher Basis erhoben werden. Ein Beispiel zeigt, wie weit das zutrifft: Die Zahl der Nächtigungen, die in der Studie die Grundlage bilden, wurde für 2012 (!) laut Eurostat mit 109 Mio. angegeben. Nach österreichischer Statistik waren es aber 131 Mio. Rund 20 Prozent Unterschied – und nicht mehr als ein Achselzucken? Man könnte sagen: Was soll’s, ein statistisches Federl am Hut sei dem Sportsektor gegönnt. Statistiken werden aber dazu gemacht, der wirtschaftlichen Bedeutung eines Sektors politisches Gewicht zu geben. Dafür sollten sie allerdings die Realität realistisch abbilden.

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