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Die Bahn schafft alles – oder?

Print-Ausgabe 20. August 2021

Welche Verkehrsmittel von den Klima­schutzaktivistInnen auch immer aufs Korn genommen werden, die Frage, wer deren Funktion übernehmen soll, endet immer bei der gleichen Adresse: Die Bahn natürlich – wer sonst? Vielleicht ist der aktuelle Bericht des Weltklimarates ein Anlass, sich mit der naheliegenden, aber noch nie gestellten Frage zu beschäftigen, ob diese überhaupt in der Lage wäre, jene Mobilitätsleistungen zu übernehmen, die man aus der Luft und von der Strafle weg auf die Schiene verlagern möchte, zumindest wenn sie nicht gerade durch Streik lahmgelegt wird, wie gerade in Deutschland. Ist ihre Kapazität tatsächlich so unerschöpflich, wie manche offenbar glauben, nicht zuletzt aus der Sicht des Tourismus, für den die Mobilität eine existentielle Voraussetzung ist?

Die österreichische Bahn ist im internationalen Vergleich ein sehr gut aufgestelltes Unternehmen. Das üppige statistische Material wird aber schnell zum Dickicht, wenn man versucht, ins Detail zu gehen und herauszufinden, welchen Stellenwert der Tourismus für die Bahn hat. Im letzten vollen Geschäftsjahr vor Corona beförderte der ÖBB-Personenverkehr 474 Mio. Passagiere, mit 261 Mio. gut die Hälfte mit der Bahn und fast gleich viele (213 Mio.) mit dem Bus. Dass die Bahn auch im Frachtbereich Rail Cargo die gröflte LKW-Flotte betreibt und damit zur Spitzengruppe der CO2-Sünder zählt, wird selten erwähnt.

Wie viele Bahnreisende touristisch unterwegs sind, wird nicht gezählt und lässt sich nur auf Umwegen beantworten: Befragungen der Gäste, mit welchem Verkehrsmittel sie ihre Reisen unternommen haben, werden von den verschiedensten Organisationen durchgeführt und hochgerechnet, von der „T-Mona“ der Österreich Werbung bis zum VCÖ-Verkehrsc­lub Österreich. Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich: 8 bis 12 Prozent der Gäste werden als „BahnurlauberIn­nen“ angesehen. Wie viele das wirklich sind, ist auch nur mit einer wenig überzeugenden Hokuspokus-Rechnerei abschätzbar: Über die Gesamtzahl der Gäste („Ankünfte“) von 46 Mio. ergibt sich, dass bei einem Anteil der Bahnreisenden von 10 Prozent 9,2 Mio. der 261 Mio. Bahnfahrten auf den Tourismus entfallen – das sind bescheidene 3,5 Prozent. Selbst wenn sich die Zahl der BahnurlauberInnen verdoppelt, was nach den Vorstellungen der KlimaschützerInnen viel zu wenig wäre, nach der bisherigen Entwicklung aber absolut unrealistisch ist, sollte das rein quantitativ kein grofles Problem sein. Für den Güterverkehr liegt eine Studie der WU vor, die zum Ergebnis kommt, dass bei Einhaltung aller Ausbaupläne die Schiene ab 2030 an ihre Kapazitätsgrenze kommt. Da Personen- und Güterverkehr auf den gleichen Gleisen eng aufeinander abgestimmt laufen, gilt das gleichermaflen für den Personenverkehr. Wenn’s stimmt, ist der Entwicklungsspielraum begrenzt.

Der „Rahmenplan“ der ÖBB, der die Investitionen für die Periode 2011 bis 2026 darstellt, klingt mit 17,5 Mrd. Euro eindrucksvoll. Ein Drittel entfällt aber auf die Fortsetzung der drei Tunnelprojekte Semmering, Brenner und Koralm. Für den Brenner-­Basistunnel präsentierte der EU-Rechnungshof kürzlich einen ernüchternden Zwischenbericht, dessen Ergebnisse auch für die anderen Projekte gültig sind: Betriebswirtschaftlich wird keines von ihnen positiv abschneiden. Bei der Einschätzung ihrer Klima­wirksamkeit wird zur Vorsicht gemahnt: Die überlange Bauzeit hat eine enorme CO2-Belastung verursacht, deren Kompensation durch die Vorteile des späteren Betriebes 10, aber auch 50 Jahre dauern kann. Abhängig von der Frequenz, für die das Prinzip Hoffnung gilt: Eine Bedarfsanalyse hat es nie gegeben.

Im Übrigen ist das Investitionsprogramm durchaus auf Qualitäts- und Leistungssteigerung ausgelegt, sieht aber praktisch keine Verdichtung des Bahn­netzes vor, die für den Tourismus das Wichtigste wäre. Tatsächlich hat die Entwicklung des Tourismus und des Flugverkehrs zu einem permanenten Rückgang des Anteils der Bahn an diesem Sektor geführt. Man hat den Eindruck, die Bahn – nicht nur in Österreich – hat resigniert. Anders ist es nicht zu verstehen, dass absolut nichts geschieht, um das bekannte Haupthindernis für die Bahnbenützung im Urlaubsverkehr zu überwinden: Das Handling des Reisegepäcks. Im Bahnbereich werden die Fahrgäste mit ihren Koffern völlig im Stich gelassen, das „Haus zu Haus-Service“ wurde an eine Spedition ausgelagert, ist extrem teuer und in der Termingestaltung eine ständige Quelle von Ärgernissen. In Deutschland scheiterten Kooperationsverhandlungen mit dem Verband der Luftverkehrswirtschaft an der Unfähigkeit der DB, einen verlässlichen Transport des Gepäcks zum Flughafen zu ermöglichen. Bevor sich die Bahn das antut, verzichtet sie lieber auf die paar zusätzlichen Passagiere. So wichtig ist der Tourismussektor schliefllich nicht für sie – offenbar ganz wie in Österreich.

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