Print-Ausgabe 11. September 2020
Wenn an dem tröstlich gemeinten Kalauer etwas dran ist, dass jede Krise auch eine Chance einschließt, dann konzentriert sich diese beim unseligen Corona-Virus für den Tourismus auf einen Punkt: Noch nie ist der besondere Stellenwert dieses gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Phänomens der breiten Öffentlichkeit so nachdrücklich ins Bewusstsein gehämmert worden, wie in den Wochen des „Lockdown“. Wer hätte jemals gedacht, dass Abgeordnete im Plenum des Nationalrates das Wahlvolk dazu auffordern, doch „zum Wirten ums Eck“ zu gehen, um diesen Wirtschaftsbereich am Leben zu halten? Oder dass ein Bundeskanzler und sein Finanzminister eine Halbierung der Mehrwertsteuer mit der ausdrücklichen Mahnung verbinden, die Entlastung nicht über die Preise weiter zu geben, sondern zur Stärkung der Betriebe zu verwenden? Es bleibt die bange Frage: Wie viele Unternehmen werden die wirtschaftlichen Folgen nicht überleben?
In der von Panik geprägten Anfangsphase der Pandemie wurde die entschlossene Strategie der Regierung nicht nur vom Volk, sondern größtenteils auch von den politischen Gegnern mitgetragen. Erst als sich – nicht zuletzt durch den Erfolg dieser Strategie – die Erkenntnis durchsetzte, dass wir nicht schon morgen alle tot sein werden, und – was eigentlich immer klar war – konkrete Entscheidungen über Maßnahmen nicht von sakrosankten Medizinexperten, sondern von der Politik getroffen werden müssen, wuchs die Kritik. Ansatzpunkte wurden genug geliefert, insbesondere durch den schlampigen Umgang mit Verordnungen. Aktuelles Beispiel: Eine missverständliche Verordnung des Gesundheitsministeriums in Verbindung mit unverständlichen Kommunikationsproblemen zwischen Ministerium, Bundesländern und Bezirksbehörden führte am Wochenende 22./23. August zu einem mehr als 15-stündigen Grenzstau am Karawankentunnel. Voraussehbar, denn von allen aus Kroatien Rückreisenden wurde für die Ein- oder Durchreise das Ausfüllen eines Fragebogens gefordert. Völlig sinnlos, denn das Handgekritzel ließ eine elektronische Auswertung nicht zu und bei der Suche nach Infektionsgefährdeten hätten jedes Mal die Zettelberge händisch durchgegraben werden müssen. Sie landeten nach wenigen Tagen im Schredder. Mit etwas Hausverstand hätte sich diese Frozzelaktion vermeiden lassen.
Schlimmer ist, was sich bei der „Corona-Ampel“ abzeichnet. Obwohl trotz monatelanger Vorbereitung immer noch nicht wirklich fertig, wurde sie kürzlich erstmalig „geschaltet“. Von den 94 bewerteten Regionen wurde die epidemiologische Gefährdung nur bei vier nicht mit Grün, sondern mit Gelb (mittleres Risiko) gewertet – und sofort gab es heftige Proteste. Der Linzer Bürgermeister Luger (SPÖ) weigerte sich, auf Grund des „obskuren Ampelkonstrukts Maßnahmen wie Maskenpflicht zu verschärfen und sein Landeshauptmann Stelzer (ÖVP) assistierte ihm mit der Feststellung, die „objektiven Zahlen“ machen Gelb nicht nachvollziehbar, andere Regionen hätten viel schlechtere Werte, die Ampel sei ein „klassischer Fehlstart“. Tirols Landeshauptmann Platter (ÖVP) wehrt sich dagegen, dass der gesamte Bezirk Kufstein Gelb eingefärbt wurde, für Bürgermeister Ludwig (SPÖ) ist in der Großstadt Wien sowieso alles anders und die Kriterien für die Ampelstellung daher nicht nachvollziehbar. Lediglich der Grazer Bürgermeister Nagl (ÖVP) sieht die Beurteilung seiner Stadt relativ gelassen als Aufforderung zur Besserung.
Der Grund für die Ablehnung liegt auf der Hand: Gesundheitsminister Anschober ist stolz darauf, dass Österreich nicht wie andere Länder nur die Ansteckungsfälle für die Ampelfarbe verwendet, sondern ein „umfassendes Bewertungssystem“ aufgebaut hat. Die dafür notwendigen zusätzlichen Kriterien erhöhen zwar die Aussagekraft, von der geforderte „Transparenz“ ist aber wenig übrig: Die Gewichtung der zahlreichen Kriterien öffnet große Ermessensspielräume, die Ampelfarbe wird zur Mehrheitsentscheidung der 19-köpfigen „Corona Kommission“. Damit gerät sie ins Zentrum des parteipolitischen Hickhacks. Nicht förderlich für das Vertrauen in die Kompetenz der Pandemiepolitik der Regierung.
Aus den Bundesländern ist wenig Bereitschaft zu hören, Konsequenzen aus der Ampelfarbe zu akzeptieren, solange sie keine rechtliche Basis und nur Empfehlungscharakter hat. Mit dem Gesetz wird sich der Nationalrat am 23. September beschäftigen. Nicht nur von der Opposition, auch aus den eigenen Reihen ist Widerstand zu erwarten: So warnt LH Stelzer vor Versuchen, die Kompetenzen der Bundesländer zu beschneiden.
Vielleicht wäre es ratsam, nicht wie vorgesehen wöchentlich mit neuen Ampelfarben die unerfreulichen Diskussionen anzuheizen, sondern – wie im Straßenverkehr – auf Blinklicht zu schalten, bis die Situation übersichtlicher ist. Oder ein Corona-Impfstoff die Probleme löst.
Erstellt am: 11. September 2020
Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder