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12-Stunden-Tag : Drübergefahren und abgestürzt

Print-Ausgabe 29. Juni 2018

Ob der Initiativantrag zur Ausdehnung der Arbeitszeit von 10 auf 12 Stunden täglich – vulgo „Arbeitszeitflexibilisierung“ – wirklich so eine Pfuscharbeit ist, wie die NEOS behaupten, oder eine Strategie, mit der die Bundesregierung Stärke demonstrieren wollte, sei dahingestellt: Der Versuch, ein auch emotional belastetes Thema durch forsches Drüberfahren zu bereinigen, ist jedenfalls in die Hose gegangen. Wie der Scherbenhaufen, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer trennt, entstanden ist, liegt auf der Hand: Die „Sozialpartner“ wurden von dieser Regierung ab ihrem Amtsantritt drangsaliert. Wer nicht voraus sah, dass diese sich bei einem sensiblen Thema aus ihrer Kernkompetenz nicht einfach kalt überfahren lassen können, muss politisch naiv sein.

Von Regierungsseite wird angeführt, dass über Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen eine Ausweitung der Arbeitszeitgrenzen in weiten Bereichen ohnedies bereits realisiert sei und die Sozialpartner im Vorjahr eine unterschriftreife Vereinbarung für eine gesetzliche Regelung ausgearbeitet hätten. Unterschrieben wurde diese aber doch nicht, und bei Betriebs- und KV-Vereinbarungen werden die Konditionen für den speziellen Fall ausverhandelt und die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Beides ist bei der Regierungsvorlage nicht passiert. Wenn man eine Problemlösung wollte, wäre es effektiver gewesen, dort anzusetzen, wo die Sozialpartner aufgehört haben.

Diese Verhandlungen haben immerhin auch in der breiten Öffentlichkeit zur übereinstimmenden Einschätzung geführt, dass eine „Arbeitszeitflexibilisierung“ eine Belastung für die Mitarbeiter bringt, die auf Grund des veränderten Arbeitsmarktes in Kauf genommen, aber durch Vorsorge für die Mitarbeiter entsprechend abgefedert werden muss. Den Fokus zu wechseln und die Verlängerung der Arbeitszeit als Errungenschaft darzustellen, die den Mitarbeitern ein Tor zu mehr Freizeit oder Geld und besserer Übereinstimmung von Arbeit und Familienleben öffnet, war keine gute Idee. Auch wenn es solche Fälle gibt und sogar eine 4-Tage-Woche erreichbar ist: Die präsentierten Beispiele werden wohl überwiegend als Frotzelei empfunden. Die Spitzenleistung: Eltern könnten die zusätzlichen Arbeitsstunden bequem neben den schlummernden Kindern zu Hause mit Home Office verbringen und sich damit Zeit oder Geld für einen zusätzlichen Kurzurlaub einhandeln. Was ein Koch oder eine Kellnerin zu diesem Vorschlag sagen, möchte man besser nicht hören.

Den Mitarbeitern soll es möglich sein, die beiden zusätzlichen Überstunden abzulehnen – aus „überwiegend persönlichen Interessen“. Nun dreht sich die Diskussion um die Frage, ob man nach der zweiten Verweigerung wegen Schulsprechtag noch einen Job hat. Zu dieser „Freiwilligkeit“ gab es prominente, aber wenig erhellende Stellungnahmen. Etwa von Sozialministerin Hartinger-Klein, die sich in einem ORF-Interview wenig firm über die Inhalte der Vorlage zeigte. Sie meinte zwar, dass „niemand muss“, ein „Justament – ich will nicht“ aber nicht akzeptieren würde. Und Wirtschaftsministerin Schramböck erklärte, sie habe den „Unternehmen den klaren Auftrag erteilt, die Situation nicht auszunutzen“. Das ist neu: Auf die Idee, Unternehmen „klare Aufträge“ zu erteilen, ist noch kein Politiker gekommen.

Am Höhepunkt der Verunsicherung sprach Vizekanzler H. C. Strache, genervt von Vorhalten, dass er als Oppositionschef jede Diskussion über einen 12-Stunden-Tag strikt abgelehnt hatte, ein Machtwort: Man werde die „Freiwilligkeit“ eben in das Gesetz schreiben. Seine Darstellung erweckte den Eindruck, dass künftig jeder, der gerade nichts Besseres vorhat, bis 12 Stunden arbeiten und bei dem nächsten Schönwetter den Überschuss in Freizeit oder Geld konsumieren kann. So wird’s wohl nicht funktionieren. Aber wie dann?

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