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T.A.I.-Interview

Tourismus steht an der Kippe! „Brauchen komplette Schubumkehr“

Print-Ausgabe 11. März 2015

Sepp Schellhorn

Er gilt als einer der aktivsten Parlaments-Abgeordneten, sorgt mit einem eigenen Blog (seppschellhorn.at) laufend für kritische Anmerkungen zum aktuellen politischen Geschehen und setzt sich mit voller Kraft, wo es geht, für den Tourismus ein: der Salzburger Hotelier und Gastronom Sepp Schellhorn. T.A.I. traf ihn in seinem Wiener Büro zu einem Interview, das an Brisanz nichts zu wünschen übrig ließ.

T.A.I.: Der Tourismus verzeichnete 2015 abermals ein Nächtigungsplus, die Hotellerie kann die Preissteigerungen aber nicht an die Gäste weitergeben. Wie sehen Sie die Situation?

Sepp Schellhorn: „Ich kann Jubelmeldungen über Nächtigungsrekorde nicht mehr hören. Jeder weiß, dass der Aufwand viel höher geworden ist, um diese Zahlen zu erreichen und auch das ist nur mehr bei Kaiserwetter zu schaffen. Die durchschnitliche Verweildauer liegt heute bei 3,4 Tagen, 2005 waren es noch 4,1 Nächtigungen pro Gast. Die wahre Statistik sagt auch, dass die Zuwächse in den Städten erfolgen und nicht in der Ferienhotellerie. Dort gehen die realen, also inflationsbereinigten Umsätze stetig zurück, die Gäste geben im Urlaub weniger aus. Die betriebswirtschaftlichen Zahlen sind entsprechend. Das müsste auch dem Wirtschaftsminister klar sein.“

T.A.I.: Was müsste Minister Reinhold Mitterlehner Ihrer Meinung nach tun?

Schellhorn: „Wir brauchen andere Strategien, wir brauchen Veränderungen. Der Minister ist verantwortlich, Rahmenbedingungen zu setzen und das große Bild zu projizieren. Das fehlt uns. Auch der Klimawandel spielt da hinein, ebenso die Arbeitswelten. Helmut Peter (Anm.d.Red: gemeint ist der frühere ÖHV-Präsident) bezeichnete den Tourismus als ‚Gesamtkunstwerk, das man auch verstehen muss‘. Die Regierung hat hingegen die falschen Parameter gesetzt. Die Registrierkasse wurde zur Resignier-Kasse. Immer mehr Betriebe haben Schwierigkeiten damit, innerhalb der Familie noch einen Nachfolger zu finden. Das hat mit dem gesamten Paket zu tun, das dem Tourismus aufgehalst wurde, inklusive der extrem aufwendigen Bürokratie.“

"Nehmen wir die EU-Pauschalreiserichtlinie: Sie ist ein Paradebeispiel dafür, die Wirtschaftskammer in Frage zu stellen. Die weiß schon lange, worum es geht und hat nicht gehandelt."

T.A.I.: Ist die Politik wirklich so wirtschaftsfeindlich?

Schellhorn:
„Ja, extrem. Ein Beispiel sind die Allergene: hier wird den Betroffenen die Eigenverantwortlichkeit genommen. Ich bin im Parlament dagegen aufgetreten und habe seither vier Kontrollen in meinem Betrieb gehabt. Es gibt eine ganze Truhe solcher Beispiele, wo Unternehmer gepiesackt werden.

Oder nehmen wir die EU-Pauschalreiserichtlinie: Sie ist ein Paradebeispiel dafür, die Wirtschaftskammer in Frage zu stellen. Die weiß schon lange, worum es geht und hat nicht gehandelt. Erst jetzt, wo alles unter Dach und Fach ist, macht sie eine Umfrage unter den Betrieben – das ist ein komatöses Verhalten, nur damit ein Betrieb künftig zwei Gewerbescheine mehr hat.

Es herrscht kein wirtschaftlicher Sachverstand, auch nicht in der Regierung. Deutschland hat die Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent gesenkt, jetzt haben sie das fünfte Rekordjahr in Folge und es wurde ein großer Investitionsschub ausgelöst. Die fahren uns seit fünf Jahren um die Ohren und urlauben immer mehr im eigenen Land. In Deutschland ist die Entwicklung positiv dramatisch, bei uns dramatisch negativ.“

T.A.I.: Sie verlangen von der Regierung andere Strategien. Wie sollen die aussehen?

Schellhorn: „Etwa, wie wir den Tourismus 2040 stattfinden lassen wollen. Es muss einen Innovationsschub geben. Denn die Belastungen werden zum Bumerang, wie z. B. die Sektsteuer deutlich gezeigt hat: Die Regierung hat 2015 Einnahmen von 30 Mio. Euro prognostiziert, geworden sind es 18 Mio. Euro. Laut Schlumberger/Kattus ist der Sektmarkt um ein Fünftel zurückgegangen.

Im Tourismus sollte hinterfragt werden, was wir mit den Länderkompetenzen machen und was mit den LTOs? Sollten wir nicht besser auf Destinationen setzen? Ein Nationalpark endet nicht an den Landesgrenzen. Österreichs Tourismus steht an der Kippe. Jetzt geht es darum, ob er wieder ein Erfolgsmodell wird oder ob die Branche niedergeht, weil ihr von den handelnden Personen in der Steuergesetzgebung die Motivation genommen wird, um wirtschaftlich positiv zu reüssieren. Der schon bisher niedrigen Marge von durchschnittlich 3 Prozent steht jetzt ein noch viel höherer Aufwand, eine höhere Besteuerung und eine längere Abschreibung ins Haus, da bleibt unter dem Strich nichts mehr übrig.“

T.A.I.: Wie sieht es mit den Investitionen aus? Sind die niedrigen Zinsen nicht ein Vorteil?

Schellhorn: „Die kommen in der österreichischen Hotellerie nicht an. Die Banken haben Basel 4 vor Augen und mit den Niedrigzinsen geht es nicht mehr lange weiter. Es herrscht eine große Verunsicherung, die Betriebe stehen auf der Bremse, trotz Niedrigzinsen und gesunkenen Energiekosten. Sie müssen jetzt Reserven bilden, um vielleicht künftig wieder einmal investieren zu können, und bauen jetzt Fremdkapital ab – diese Investitions-Zurückhaltung wird eine gewaltige Welle auslösen, in ganzen Tälern werden Handwerksbetriebe weniger Aufträge erhalten. Das zeichnet sich schon jetzt ab. Schelling und Mitterlehner sind sich dessen nicht bewusst. Man muss aber nicht auf die WU gegangen sein, um das zu erkennen.“

T.A.I.: Sie sprachen vorher von einem Innovationsschub. Wie sieht es damit aus?

Schellhorn: „Innovation ist absolut begrüßenswert und muss unterstützt werden, etwa bezüglich 365 Tage Tourismus im Jahr. Aber es darf nicht ‚Innovation statt Investition‘ sein, doch so verhalten sich die Betriebe derzeit. Sie suchen nach Modellen, wie es gelingen könnte, dass sie überleben. Jeder spricht von ‚Downsizing‘. Diese Investitionszurückhaltung wird sich schon 2017 auswirken. Die Mitarbeiter kosten mehr denn je, die Beschäftigung wird zurückgehen und es wird noch weniger investiert. Das ist eine Kettenreaktion. Wir brauchen mehr ‚netto von brutto‘, trotz Lohnsteuerreform. Mitarbeiter kosten zu viel und verdienen zu wenig. Wir brauchen eine Entrümpelung der Gewerbeordnung, einen radikalen Abbau der Bürokratie und ein Fällen der Lohnnebenkosten. Das kann nur durch eine komplette Schubumkehr geändert werden.“

Kurzportrait Sepp Schellhorn

Der 49-jährige Multi-Unternehmer, dreifache Familienvater und Absolvent der Hotelfachschule in Bad Hofgastein übernahm nach Aufenthalten in Italien, den USA und Frankreich 1996 den elterlichen Betrieb, das 4-Sterne Hotel Der Seehof in Goldegg inkl. zwei Hauben-Restaurant „HECHT! r120“. Darüber hinaus betreibt Schellhorn u.a. das Restaurant M32 auf dem Salzburger Mönchsberg sowie das Schirestaurant Angertal 1180 in Bad Hofgastein.
Von 2003 bis 2013 war Schellhorn Präsident der ÖHV. Seit Juli 2014 ist er Abgeordneter zum Nationalrat (NEOS) und hat seither über 60 Reden im Parlament gehalten. Schellhorn ist bei den NEOS Sprecher für Energie, Land- und Forstwirtschaft, Tourismus, Wirtschaft und Industrie.

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Erstellt am: 14. März 2016

Sepp Schellhorn © Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Mike Ranz

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