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T.A.I. Hintergrundgespräch mit ÖHV und ÖRV

„Gutschein statt Storno“: Kein Allheilmittel, aber starke Wirkung für die Branche

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„Das Modell ‚Gutschein statt Stornos‘ ist kein Allheilmittel für Hotellerie, Reiseveranstalter und Reisebüros. Es ist aber auch nicht nur homöopathisch. Es wirkt wie ein Fieberzäpfchen.“ Das ist – auf den Punkt gebracht – die Kernaussage des Zoom-Hintergrundgespräches zum Thema „Gutscheine statt Stornos: Österreichs Tourismus-KMU-retten", zu dem die Präsidentin des ÖHV (Österreichische Hoteliervereinigung), Michaela Reitterer, und der Präsident des ÖRV (Österreichischer ReiseVerband), Josef Peterleithner, gebeten hatten. Moderiert wurde das Gespräch von Martin Stanits, dem Unternehmenssprecher der ÖHV.

Der Vergleich mit dem Fieberzäpfchen stammt von Michaela Reitterer (Bild). Josef Peterleithner konnte dem nur voll und ganz zustimmen: „Es ist eine Unterstützung der Branche und ein Commitment des Kunden an das Reisebüro. Der Gutschein schafft auch eine Kundenbindung, denn er kann den Gutschein wieder im gleichen Büro einlösen. Er signalisiert Vertrauen ins Reisebüro. Wichtig ist die Absicherung durch den Staat.“

Nachsatz: „Die Regierung muss ein Bekenntnis dazu abgeben, sie muss Druck auf die EU machen, damit Brüssel das absegnet. Es geht um den Reisemarkt der EU. Wichtig ist, dass Europa zusammensteht.“

Die Ausgangslage in der Hotellerie …

Die Tourismusbranche (Hotellerie, Reiseveranstalter und Incoming- wie Outgoing-Reisebüros) sind durch die Corona-Krise zum Großteil mitten in der Liquiditäts-schwächsten Zeit des Jahres getroffen worden. Michaela Reitterer: „Die Stadt- und Sommerhotellerie hat wie immer im Jänner und Februar kräftig investiert. Die Kriegskassen sind geleert, damit im Sommer alles schön ist. Wir waren alle auch toll gebucht, es hat sich eine sehr gute Saison abgezeichnet. Jetzt kommen die Kunden und wollen ihr Geld zurück.“

Laut ÖHV sehen sich die Mitgliedsbetriebe zu 36,3 % mit Stornos konfrontiert (= Kunden erhalten ihr Geld zurück), 16,9 % haben eine Umbuchung akzeptiert (im Boutiquehotel Stadthalle von Michaela Reitterer sogar 90 %). Reitterer: „Alle internationalen Buchungen aus Übersee wurden komplett storniert. Die wissen nicht einmal, ob sie nächstes Jahr kommen können. Bei den europäischen Buchungen ist es so, dass sie sich eine Umbuchung überlegen.“

… und in den Reisebüros

In der Touristik verhält es sich bezüglich leerer Kriegskassen ähnlich: In den drei Buchungsmonaten Jänner bis März werden in Österreichs Reisebüros rund 40 % des Jahresvolumens an Flugpauschalreisen gebucht. Heuer war der Start im Jänner laut TAIPURA (T.A.I. Pauschalreise Buchungsradar, der auf Daten von Amadeus basiert) bereits schwächer als im Vorjahr. Im Februar gab es dann ein 30-prozentiges Minus. Im März (die Zahlen sind aus verständlichen Gründen von Amadeus derzeit ausgesetzt) kam das Geschäft an Neubuchungen dann zum völligen Erliegen. Die Situation ist damit deutlich angespannter, als sie es in den Vorjahren gewesen wäre.

Neubuchungen, – selbst mit dem Angebot vieler Veranstalter, jederzeit kostenlos stornieren zu können –, gibt es kaum. „Die werden nur wenig in Anspruch genommen“, so Peterleithner.

Was fehlt, ist die Liquidität

Bezüglich Liquidität veröffentlichte das ORF Magazin „Eco“ Anfang April ernüchternde Zahlen: Laut Studie der KMU Forschung Austria (die Klein- und Mittelbetriebe machen 90 % aller Unternehmen aus) verfügen 53 % der KMUs über einen finanziellen Atem von maximal einem Monat. Bei weiteren 12 % reicht die Liquidität ein bis zwei Monate (siehe Grafik).

Peterleithner: „Ich war erschüttert, als ich das gesehen habe. Wenn die Einnahmen wegbrechen, gibt es null Reserven.“ Reitterer: „Mehr als die Hälfte kommt nicht einmal einen Monat aus.“ Ihr Appell an die Regierung: „Bitte kommt’s in die Gänge!“

Derzeitige Hilfe kommt nicht in den Betrieben an

Ihre Forderung lautet: „Es muss nicht nur ein spezielles Tourismuspaket geschnürt werden, es muss bei den Betrieben auch ankommen.“ Es vergehe kein Tag, an dem die ÖHV nicht von Betrieben – darunter auch jene, die nicht Mitglied sind – ersucht wird, ihnen gegenüber den Banken zu helfen. Doch den Banken dürfe man keine Schuld daran geben, dass sie die vom Staat garantierten Kredite nicht so ohne weiteres gewähren. „Die Banken müssen gesetzeskonform arbeiten.“ Selbst ein Nachjustieren der Maßnahme half bislang wenig: Anfangs waren die Überbrückungskredite durch das Corona-Paket zu 80 % besichert, dann zu 90 %, jetzt heißt es 100 %. „Die Frage lautet hier: Kann sich die FMA bewegen?“

Der Ausblick auf die nahe Zukunft

Eine rasche Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Laut ÖHV-Unternehmenssprecher Martin Stanits fallen „internationale Gäste auf Monate aus.“ Josef Peterleithner: „Die Reisefreiheit, wie wir sie kennen, wird es, so der Bundeskanzler, so schnell nicht mehr geben. Es gibt aber auch Länder, in denen keine Reisewarnung besteht. Es bedarf einer klaren Kommunikation der Bundesregierung, wann in welche Länder oder Regionen wieder gereist werden kann bzw. aus welchen Ländern wir wieder Gäste in Österreich begrüßen dürfen. Wir brauchen Planungssicherheit. Denn, die ÖsterreicherInnen wollen reisen, sie können es im Moment nur nicht.“

Nach derzeitigem Zeitplan soll es im Juni eine EU-Vereinbarung geben, aus der hervorgeht, ob und wann es wieder eine Reisefreiheit geben wird. Peterleithner: „Selbst wenn Österreich dann als sicher gilt, muss das nicht für alle anderen Länder gelten. Wir müssen wissen, wohin man reisen kann, selbst wenn es ein Stufenplan ist.“ Reitterer: „Wir sind, so wie es aussieht, eine Insel der Seligen. Aber niemand kann reisen, weder herein noch hinaus.“

Doch der Fokus auf den Inlandsgast stellt sogar in der Hotellerie nur eine sehr begrenzte Alternative dar. Reitterer: „Ich habe in jedem Interview darauf hingewiesen, dass selbst wenn alle ÖsterreicherInnen in Österreich Urlaub machen, dies die Arbeitsplätze im Tourismus und in nachgelagerten Industrie- bzw. Wirtschaftsbereichen nicht rettet.“

Warum ist das so? Reitterer: „Wir haben 152 Millionen Nächtigungen pro Jahr, 79 Millionen davon im Sommer (Anm. d.Red.: 29,4 % bzw. 23,2 Mio. davon sind Inlandsgäste) und die 5 Millionen ÖsterreicherInnen, die jetzt reisen können, sind teilweise in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit. Die allein können die über 100.000 Arbeitsplätze in der Hotellerie nicht retten.“

Dreiviertel Million Arbeitsplätze in Gefahr

Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Arbeitsplätze in Hotellerie und Touristik. Laut WKO arbeiten in Österreichs Tourismus und Freizeitwirtschaft rund 226.000 Menschen (Vollzeitäquivalente). Volkswirtschaftlich betrachtet sind 750.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt von Tourismus und Freizeitwirtschaft abhängig – das ist jeder fünfte Vollzeitarbeitsplatz.

Was ist an besonderen Unterstützungs-Maßnahmen nötig?

Aus all dem geht hervor, dass der Tourismus andere, spezielle bzw. ergänzende Maßnahmen gegenüber der Allgemeinwirtschaft benötigt. Reitterer: „Es wird finanzielle Unterschiede geben müssen. Mit Staatsgarantien für Bankkredite werden wir nicht leben können. Das wird nicht ausreichen. Das wird sich nicht ausgehen.“

ÖRV-Präsident Josef Peterleithner (Bild) stimmt dem voll und ganz zu: „Was bei uns im Tourismus – sowohl in Hotellerie als auch bei den Reiseveranstaltern und in den Reisebüros – dazu kommt: Es gibt keine Einnahmen, sondern nur Ausgaben. Jeder Kunde, der schon gebucht hat, kann bis dato bis Ende April kostenlos stornieren. Die 20 % bis 25 % Anzahlungen, die er geleistet hat, müsste er retour bekommen.“

Das ist die geltende Rechtslage. Die Ausgabe von Gutscheinen anstelle von Stornos (und Geld zurück) sieht diese nicht vor. Da sind die Arbeiterkammer (AK) und der VKI (Verein für Konsumenteninformation) in ihren Aussagen sehr konsequent. Sie sagen, das dürfen wir nicht, wir müssen die Anzahlung retournieren.“ Peterleithner: „Deshalb ist unsere Forderung an die Bundesregierung (so wie in anderen Ländern schon umgesetzt) die Möglichkeit, Gutscheine ausgeben zu dürfen. Mit staatlicher Absicherung – zum Schutz des Konsumenten und zur Schaffung von Liquidität in der Tourismusbranche. Zu den Stornokosten: Ein kostenloses Rücktrittsrecht ist erst eine Woche vor der Reise möglich, wenn klar ist, wie die Situation vor Ort ist und die Leistungserbringung möglich ist.

Es gibt keine weltweite Reisewarnung

Wurde vom Außenministerium nicht Mitte März eine weltweite Reisewarnung erlassen? „Nein“, stellt Peterleithner klar. „Österreich hat von 6 Stufen die Stufe 4 (hohes Sicherheitsrisiko für ein Land) gewählt. Das ist keine Reisewarnung. Die gibt es erst ab Stufe 5 (partielle Reisewarnung), und das wurde teilweise gemacht. Stufe 6 gilt für ein ganzes Land, derzeit sind es ca. 29 Länder, darunter Italien.“

Eine Reisewarnung (Stufe 5 und 6) bedeutet laut Josef Peterleithner, dass „ein kostenloses Rücktrittsrecht besteht, aber es ist für den Konsumenten zumutbar, zu warten, wie sich die Situation in der Urlaubsregion bzw. im Urlaubsland entwickelt. Man geht hier von einem Zeitraum bis zu einer Woche vor Reiseantritt aus.“

Reitterer: „Das gilt auch für Österreichs Hotels. Wir im Boutique Hotel Stadthalle sperren am 15. Mai auf – das haben wir so am Anfang der Krise kommuniziert und damit einen guten Riecher gehabt –, aber ob das möglich sein wird, wissen wir nicht. Derzeit sieht’s aber so aus.“

Gutscheine derzeit im rechtlosen Raum

Airlines sind mit der Ausgabe von Gutscheinen vorgeprescht. Aus gutem Grund: Sie haben laut IATA (International Air Transport Association) derzeit weltweit rund 35 Mrd. Euro an vereinnahmten, aber noch nicht abgeflogenen, Flugtickets in ihren Büchern stehen, davon Lufthansa laut Geschäftsbericht 2019 rund 4 Mrd. Euro.

ÖRV-Präsident Josef Peterleithner: „Die Airlines behalten ihre Anzahlungen ein und geben Gutscheine aus. Die machen das ohne rechtliche Gegebenheit. Rechtlich sind diese Gutscheine nicht abgesichert.“

Auch Reiseveranstalter geben laut Peterleithner teilweise Gutscheine aus, „aber auch das ist derzeit rechtlich nicht gedeckt.“ Deshalb lautet die Forderung des ÖRV: „Gutscheine ja, aber der Staat muss sie absichern!“ Dazu müsse das Pauschalreisegesetz geändert werden. Peterleithner: „Die deutsche Bundesregierung hat dazu ihr Commitment abgegeben. Jetzt muss die EU ihre Zustimmung geben. In den BeNeLux-Staaten, Frankreich, Italien und Spanien haben das die Regierungen bereits beschlossen. Aber auch das hätte von der EU genehmigt werden müssen.“

Bis wann ist mit einer EU-Entscheidung zu rechnen? Bezüglich einer konkreten Antwort muss Peterleithner passen: „Pah … ich rechne damit, dass Druck von den Ländern gemacht wird. Vielleicht in einer Woche, vielleicht in zwei Wochen. Ich werde eine zeitliche Einschätzung beim DRV einholen.“

Gutscheine nur Tropfen auf heißen Stein?

Bei all dem bisher Gesagten und angesichts der mehr als extrem angespannten Liquidität stellt sich Frage, ob die Gutschein-Lösung der Weisheit letzter Schluss sei? Für Michaela Reitterer steht fest: „Es ist ein Commitment, ein erster Schritt. Er hilft für die Liquidität in den Betrieben.“

Aber andere, ergänzende Maßnahmen werden notwendig sein. Peterleithner: „Eine Forderung der WKO geht in Richtung Wegfall der Lohnsteuer.“ Reitterer: „Da ist die Frage, ob es komplett ausgesetzt wird oder ob sie nur gestundet wird.“

Wie auch immer eine Zuwendung im Rahmen eines Corona-Paketes für die Reisebüros und die Hotellerie aussieht, für Michaela Reitterer steht eines fest: „Wir können nicht noch mehr Schulden machen. Die Ferienhotellerie hat Kredite, die Stadthotellerie Mietkosten. Wir haben definitiv ein Fixkosten-Problem.“

Wirkung wie ein Fieberzäpfchen

Deshalb also die Gutschein-Lösung als erste und am einfachsten umsetzbare konkrete Maßnahme für Hotellerie und Touristik. ÖHV-Unternehmenssprecher Martin Stanits (Bild): „Jeder 1.000 Euro-Schein, den ein Kunde gezahlt hat und der im Betrieb bleibt, ist eine Hilfe. Der Bund muss diese 1.000 Euro nicht zuschießen, sondern er muss nur haften. Wenn ein Kunde nicht darauf verzichten kann, dann muss der Härtefonds eingreifen.“ Reitterer: „Es ist eine Aktion ‚linke Tasche, rechte Tasche.‘ Das kostet nichts.“

Josef Peterleithner: „Deutschland sieht vor, dass die Gutscheine bis Ende 2021 gültig sind. Wenn der Kunde bis dahin nicht reist, soll der Gutschein zurückgezahlt werden. Wichtig ist die Absicherung durch den Staat.“

Stanits: „Eines möchte ich noch betonen: Wir – also die Mitgliedsstaaten – sind die EU. Das ist nicht etwas Losgelöstes. Wenn die Mitgliedsstaaten diese Maßnahme (sprich: Änderung der Pauschalreiserichtlinie, um das Gutschein-Modell rechtlich abzusichern) wollen, dann müssen sie es tun.“ Reitterer: „Es ist kein Allheilmittel für die Hotellerie, Reiseveranstalter und Reisebüros. Aber es ist auch nichts Homöopathisches. Es ist wie ein Fieberzäpfchen.“

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