T.A.I. Exklusiv-Interview

„Es geht darum, wie wir den Tourismus am besten in die entscheidenden Kabinette bringen“

Print-Ausgabe 13. September 2024

Ob Staatssekretariat oder Ministerium ist einerlei – wichtig ist es, diesen Wirtschaftszweig in der Politik und bei deren Entscheidungsträger:innen fest zu verankern und die Durchsetzungskraft zu stärken

Dem Tourismus kommt bei den Nationalratswahlen am 29. September 2024 eine besondere Rolle zu: Mit Susanne Kraus-Winkler gibt es ein eigenes Staatssekretariat, das mit einer absoluten Branchenspezialistin besetzt ist. Und durch die Mitte April gegründete „Initiative Zukunft Tourismus“ gibt es erstmals eine schlagkräftige Gruppierung von acht Top-Institutionen (u. a. BÖTM, ÖHV, ÖRV, Austrian Leading Sights sowie Urlaub am Bauernhof), die den Tourismus nicht nur in seiner kompletten Vielfalt abbilden, sondern gemeinsam mit der Politik konkrete Schritte für die touristische Wertschöpfung Österreichs bis 2040 festlegen. Sprecher:innen der „Initiative Zukunft Tourismus“ sind Michaela Reitterer (Chefin des Boutiquehotels Stadthalle und langjährige ÖHV-Präsidentin) und Paul Blaguss (Blaguss-Unternehmensgruppe). T.A.I. bat die drei zu einem Gespräch.

T.A.I.: Frau Staatssekretärin, ist die Wahrnehmung des Tourismus in der Bundespolitik durch Ihre Tätigkeit gestiegen?

Susanne Kraus-Winkler: „Ja. Es braucht die Verankerung des Tourismus auf politischer Ebene, egal ob als Ministerium oder als Staatssekretariat. Man hat dadurch die stärkste Durchsetzungskraft, weil man so in den Kabinetten (Anm.d.Red.: der Ministerien) ist. Wir brauchen diese Kabinetts-­Ebene, da diese auch miteinander interagieren.“

T.A.I.: Warum ist dies gerade für den Tourismus so entscheidend?

Susanne Kraus-Winkler: „Weil dieser Wirtschaftszweig hierzulande dominierend ist wie in wenigen anderen Ländern der Welt. Österreich ist in Relation zu den Einwohner:innenzahlen Tourismus-Weltmeister, der Tourismus löst Arbeitsplätze und Wohlstand aus, und viele Kultur- und sonstige Institutionen könnten nicht existieren, wenn der Tourismus nicht so stark wäre.“

Michaela Reitterer: „Wir hatten in den letzten zweieinviertel Jahren das Glück, eine Expertin als Staatssekretärin zu haben. Jetzt müssen wir an die Zukunft denken.“

Paul Blaguss: „Ich fände deshalb ein eigenes Tourismusministerium wichtig! Nur dann kommt man in den Ministerrat. Mit dem Staatssekretariat ist vieles gut gelungen und man kann darauf aufbauen. Es geht jetzt aber um viele neue Herausforderungen, die angegangen werden müssen. So hatte Österreich zum Beispiel in Europa die höchste Lohnsteigerung zu verzeichnen. Wir brauchen deshalb die eine oder andere Maßnahme, um bei den gleichen Bruttokosten mehr netto für die Mitarbeiter:innen zu erhalten.“

T.A.I.: Ist Ihrer Meinung nach zu wenig passiert?

Paul Blaguss: „Gott sei Dank ist viel passiert! Aber Abkommen anderer Länder – ich denke hier an jene von Kroatien oder Ungarn bezüglich Fremdarbeiter:innen – waren klar besser. Wir brauchen hier die Wertschöpfung, sonst können wir uns den Sozialstaat nicht leisten.“

T.A.I.: In das Thema „höchste Lohnsteigerung“ spielt auch die Inflation hinein. Hat hier der Tourismus – in diesem Fall Hotellerie und Gastronomie – übers Ziel geschossen? Er wurde mehrfach als „Preistreiber“ angeprangert …

Susanne Kraus-Winkler: „Wir beobachten permanent, wie sich die Preise im Tourismus entwickeln. Anfang 2022 betrugen die Preissteigerungen im Tourismus 6,3 %. Die Inflation kletterte dann im April 2023 auf 14,2 %. Seitdem hat sich die Inflation im Tourismus mehr als halbiert und lag im Juli bei 6,6 %. Wir sind also fast wieder dort, wo wir Anfang 2022 waren. Das zeigt sehr deutlich, wie gut die Anti-Teuerungsmaßnahmen der Regierung wirken. Sowohl was die Betriebe als auch den Erhalt der Kaufkraft in der Bevölkerung betrifft.“

T.A.I.: Wie steht es um die Akzeptanz des Tourismus in der Bevölkerung?

Susanne Kraus-Winkler: „Abgesehen von einigen wenigen Hotspots haben wir es gut geschafft, eine Balance zwischen der Bevölkerung und dem Tourismus herzustellen. Balance ist ganz wichtig für die Tourismusakzeptanz! Ein weiteres Thema, das wir gut abarbeiten betrifft die Nachhaltigkeit. Hier haben wir mit der Neuausrichtung der gewerblichen Tourismusförderung und dem ESG-Data Hub (Anm.d.Red.: ESG steht für Environmental Social Governance) ein gutes Modell umgesetzt. Wir müssen diese Werkzeuge weiter pushen. Auch die Zertifizierungs-Strategie ist deutlich, und zwar inklusive der Regionen. Toll ist das neue RESY-Dashboard (Anm.d.Red.: RESY steht für Regionales Informations- und Monitoringsystem). Da sind bereits die Daten von über 600 Regionen und allen 2.093 Gemeinden drin. Bei digitalen Daten haben wir übrigens die Österreich Werbung (ÖW) als Treiber auf die Meta-Ebene genommen. Das muss dann auf die betriebliche Ebene runtergebracht werden. “

T.A.I.: Stichwort ÖW: Welchen Stellenwert hat sie in der Politik?

Susanne Kraus-Winkler: „Hier muss es eine viel engere Vernetzung zwischen ÖW und Tourismuspolitik geben. Es geht darum, das Land gemeinsam voranzutreiben. Die OeHT (Österreichische Hotel- und Tourismusbank) gehört natürlich auch dazu!“

T.A.I.: Wie steht es um den Arbeits­markt?

Susanne Kraus-Winkler: „Hier ist die Saisonnier-Thematik wichtig. Wir sprechen uns für die Öffnung des Arbeitsmarkts für die saisonale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen im Tourismus aus, sofern keine einheimischen Arbeitskräfte gefunden werden. Wir brauchen die Mitarbeiter:innen aus dem Ausland, und zwar die richtigen! Dazu kommen noch die Themen Lehre und Berufsschulen im Tourismus – hier müssen wir die Zukunft neu denken. Wie können wir die Lehre für junge Menschen attraktiver machen? Wie können wir die Berufsschulen abseits neuer Lehrpläne besser unterstützen? Gerade in der Gastronomie und Hotellerie brauchen wir auch gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter:innen aus Österreich.“

Michaela Reitterer: „Susanne Kraus-Winkler hat sehr detailliert dargestellt, wo die Prioritäten liegen. Saisonniers und Berufs­schule sind ganz wichtig. Ein ebenso wichtiges Thema betrifft die Betriebsübergabe. Da gibt es einfache Lösungen. Ich denke da an etwas ähnliches wie die Abwrackprämie für Autos: Wenn wir zum Beispiel die Schulden vorher abziehen könnten und danach die Steuern zahlen, dann kann man mit einer einfachen Maßnahme die Betriebsübergabe erheblich erleichtern. Es ist halt so: Kleinteilige Strukturen brauchen kleinteilige Maßnahmen. Wir müssen alle verver werden!“

T.A.I.: Was meinen Sie damit?

Michaela Reitterer: „Wenn es einen konkreten Plan gibt, dann kann man Maßnahmen vorantreiben, weil es gemeinsame Überschriften gibt. Diesen Plan haben wir im Tourismus dank Plan-T. Jetzt geht es darum, ihn mit einer Timeline aufzumotzen und mit Budget zu unterlegen, damit wir die festgelegten Ziele auch erreichen.“

Susanne Kraus-Winkler: „Ich habe sehr detailliert dargestellt, wo un­sere Prioritäten liegen. Als ich als Staatssekretärin begonnen habe, habe ich mir auch Ziele gesteckt. Vieles konnten wir umsetzen, manches liegt in der Hand einer neuen Regierung. Entscheidend ist, dass man die Themen mit Nachdruck bearbeitet, denn Politik ist das Bohren harter Bretter. Der Plan-T ist ein Erfolg. Wir müssen ihn nur anpassen und weiter abarbeiten.“

Michaela Reitterer: „Vielleicht habe ich mich eben falsch ausgedrückt: Es müssen Ziele der Branche sein und nicht der Politik. Deshalb haben wir ja auch heuer die ‚Initiative Zukunft Tourismus‘ ins Leben gerufen.“

Paul Blaguss: „Frau Staatssekretärin, Sie sprachen zuvor das Thema Nachhaltigkeit an, also die Dekarbonisierung. Hier sind die Unternehmen mit unheimlich vielen Vorschriften konfrontiert, was für sie eine riesen Herausforderung darstellt. Wenn es uns gelingt, ein eigenes Tourismusministerium zu bekommen, dann wäre das gut. Es gibt viele Dinge, die gelöst werden müssen!“

T.A.I.: Wäre also ein Ministerium besser als ein Staatssekretariat?

Michaela Reitterer: „Ein eigenes Ministerium ist wichtig. Aber primär geht es um die Frage, wie wir den Tourismus am besten in die Kabinette bringen.“

Susanne Kraus-Winkler: „Wir haben das deutlich gemerkt. Wir müssen in den Kabinetten mit den Expert:innen reden. Es ist sicher von Vorteil, wenn Minister:innen gewisses Expertenwissen haben! Letztendlich sind es sie, die die Entscheidungen treffen.“

Paul Blaguss: „Man muss die Sachen auch verstehen.“

T.A.I.: Tourismus gilt als Querschnittsmaterie. Welchen anderen Bereich sollte ein Ministerium, das den Namen Tourismus führt, mit abdecken?

Susanne Kraus-Winkler: „WKÖ-Präsident Harald Mahrer spricht von mehreren Möglichkeiten, etwa Regionen, Verkehr und Kreislaufwirtschaft. Wichtig ist aus Sicht des Tourismus, dass man sich nicht kannibalisiert. Die Landwirtschaft etwa (Anm.d.Red.: in diesem Ministerium war von 2018 bis 2022 der Tourismus angesiedelt und auch in der Bezeichnung fest verankert, zunächst als BMNT und dann als BMLRT) ist ein unbeschreiblich komplexes Thema. Man hat da als Minister:in kaum Möglichkeiten und Zeit für den Tourismus.“

Paul Blaguss: „Wir brauchen im Tourismus die Partnerschaft mit der Landwirtschaft, aber wir sind an dieser Konstellation erstickt. Ein Zusammengehen mit dem Verkehr wäre gut, aber dort dreht sich viel um Infrastruktur und die ÖBB. Ich glaube, dass wir auch da ersticken würden. Fest steht, wir stehen vor der riesen Aufgabe, den Tourismus zu gestalten. Wir müssen mit allen eng zusammenarbeiten.“

T.A.I.: Wie sieht es mit möglichen Koalitionen nach den Wahlen aus?

Michaela Reitterer: „Nachdem die SPÖ nicht mit der FPÖ will, wird die ÖVP ziemlich sicher in der nächsten Regierung sein. Die Frage ist, in welcher Stärke.“

Paul Blaguss: „Wir haben viele Herausforderungen und die Zeiten sind sehr spannend. Wir haben aber die besten Chancen. Deshalb brauchen wir eine Regierung, die das auch möglich macht – eine Koalition, die Breite hat.“

Michaela Reitterer: „Bei der SPÖ habe ich die Befürchtung, dass dann die Vermögenssteuer kommt.“

Paul Blaguss: „Das wäre ein Wahnsinn, eine Wohlstands-, Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung.“

Susanne Kraus-Winkler: „Ziel ist es, dass die ÖVP wieder in der Regierung ist. Wir brauchen die Mitte und wir brauchen keine Experimente. Wir müssen im Herzen Europas reüssieren können, da wir auch ein Tourismus-Land sind. Wir müssen den Weg der Nachhaltigkeit so gehen, dass man den Menschen nicht die Luft zum Atmen nimmt. Es geht darum, dass Betriebe und Menschen den Weg mitgehen können. Unsere Aufgabe ist es, positive Stimmung für den Tourismus zu machen!“

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