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T.A.I. Exklusivinterview

Arbeitsminister Martin Kocher: „Arbeitskräftemangel im Tourismus wird sich bald einrenken“

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Das Thema ist nicht neu – auch nicht für den seit Jänner amtierenden Arbeitsminister Martin Kocher – aber es brennt Österreichs Tourismusbranche derzeit unter ihren Fingern wie noch nie: der Arbeitskräftemangel. Vor drei Jahren präsentierte Martin Kocher, damals noch Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), im Rahmen einer Veranstaltung der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft eine interessante Analyse zu dieser Problematik, samt einigen Lösungsvorschlägen (>>>). Grund genug für T.A.I., den nunmehrigen Arbeitsminister um ein Gespräch zu bitten.

T.A.I.: Herr Minister, Sie haben sich bereits als Chef des IHS (Institut für Höhere Studien) des Öfteren mit der MitarbeiterInnen-Thematik im Tourismus beschäftigt, wie z.B. vor drei Jahren beim legendären „Journalistenseminar“ der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in St. Johann im Pongau. Ist der Tourismus dadurch für Sie so etwas wie ein Heimspiel?

Kocher (lacht): „Nein, auch wenn es Gründe gibt, warum ich den Tourismus gut kenne. Ich habe einige Studien über die Branche gemacht und auch mein Elternhaus war im Tourismus tätig. Mein Vater Edmund Kocher war langjähriger Tourismusdirektor in Altenmarkt-Zauchensee.“

T.A.I.: Sie haben bei besagtem „Journalistenseminar“ bereits damals brennende Themen angesprochen, wie Fachkräftemangel, Lehrlingsmangel, hohe Fluktuation. Aktuell sind diese Probleme heißer denn je …

Kocher: „Die angesprochenen Themen haben sich vervielfältigt. Die Krise hat gezeigt, welche Abhängigkeiten im Tourismus vorherrschen. Die Frage lautet deshalb: Hat sich etwas geändert? Da zeigt sich, dass traditionell rund 40 % der MitarbeiterInnen alle zwei Jahre die Branche verlassen haben, aber immer ebenso viele hineingewechselt sind. 2021 war das anders: Es sind viel weniger in den Tourismus hinein. Das hatte mehrere Gründe: viele Saisonniers aus dem Ausland sind nicht zurückgekommen, es kam - atypisch - zu einer gleichzeitigen Öffnung von Saison- und Ganzjahresbetrieben, die alle auf das gleiche Arbeitskräftepotential zurückgreifen. Und es gab die Kurzarbeit. Die wurde im Juli 2021 abgeändert und soweit reduziert, dass sie – anders als noch Mai und Juni - keinen wesentlichen Einfluss mehr auf den touristischen Arbeitsmarkt hatte.“

T.A.I.: Es gibt aber nach wie vor einen Arbeitskräftemangel …

Kocher: „Ja, im Sommer zeigt sich noch der Arbeitskräftemangel. Aber wir rechnen, dass sich das im Laufe der nächsten Saisonen einrenken wird. Er wird nicht mehr so stark sein, wie im Mai und im Juni.“

T.A.I. Abgesehen vom Arbeitsmarkt: Wie stark wurde der Tourismusbranche in den zurückliegenden eineinhalb Jahren geholfen?

Kocher: „Rund 21 Prozent der Kurzarbeitsmittel kamen dem Tourismus zugute und es sind 35 Prozent aller Staatshilfen in den Tourismus geflossen, vom Umsatzersatz bis zum Ausfallsbonus. Das war auch richtig so, denn der Tourismus war von allen Branchen am stärksten betroffen.“

T.A.I.: Wie sieht es aus Ihrer Sicht mit dem Winter 2021/2022 aus?

Kocher: „Alle diskutieren über die Pandemie, niemand kann das voraussagen. Der Lockdown ist immer die ‚Ultima Ratio ‘, also der letztmögliche Weg. Aber wir haben genügend Mittel, um den Lockdown zu verhindern. Abgesehen davon wird eine entscheidende Frage für den Österreich-Tourismus sein, wie andere Länder agieren. Der Österreich-Winter ist ja stärker von ausländischen Gästen abhängig. Schauen wir, dass wir mit einer hohen Impfquote gut durch den Winter kommen!“

T.A.I.: Deutschland nimmt jetzt Kurs darauf, dass nicht mehr Inzidenzwerte über Einschränkungen des öffentlichen Lebens bestimmen, sondern die Hospitalisierung. Ist das ein Weg, der auch für Österreichs Bundesregierung gangbar erscheint?

Kocher: „Die Spitäler sind ein viel wichtigerer Wert. Wir haben als Bundesregierung schon in den letzten Monaten intensiv darauf geschaut. Auch in Österreich wird sich das Gewicht stärker auf die Belegung der Spitäler und Intensivstationen legen. Wie gesagt, wir haben das bisher schon gemacht. Es ist erwiesen, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt. Die Inzidenz ist nicht mehr der einzig bestimmende Faktor für das Gesundheitssystem.“

T.A.I.: Zurück zum Arbeitsmarkt. Welche Maßnahmen planen Sie diesbezüglich konkret für den Tourismus?

Kocher: „Wir haben bereits in den letzten Monaten versucht, in Branchen, die besonders betroffen sind, eine Reihe von Maßnahmen zu setzen und wir werden sie weiter setzen. So haben wir damit begonnen, die Vermittlung mit Fokus auf den Tourismus im Rahmen des AMS (Arbeitsmarktservice) zu intensivieren. Jetzt geht es um generelle Regelungen im Arbeitsmarkt, wie Arbeitslosengeld oder Zumutbarkeit. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, Menschen sehr gut abzusichern, wenn sie arbeitslos werden, und gleichzeitig zu motivieren, rasch wieder einzusteigen, wenn es Vermittlungsangebote gibt.“

T.A.I.: Vielen Dank für das Gespräch. Dürfen wir Sie speziell für den Tourismus noch um einen motivierenden Schlusssatz bitten?

Kocher: „Der Tourismus in Österreich hat eine große Zukunft, weil das Land viel zu bieten hat. Viele Regionen haben es sehr gut durch die Pandemie geschafft und sich neu positioniert. Sie versuchen sich neu zu erfinden, vor allem in Bezug auf Qualität. Krisen bieten immer auch Chancen und viele im Tourismus werden diese Chancen nützen.“

Kurzportrait Prof. Dr. Martin Kocher

Der gebürtige Salzburger (Altenmarkt-Zauchensee) Martin Kocher absolvierte nach der Matura ein VWL-Studium (Volkswirtschaftslehre) an der Uni Innsbruck und startete danach seine Karriere im Bereich der Wissenschaft, mit Professuren sowie Lehraufträgen an den Universitäten in München, Amsterdam, Innsbruck, East Anglia (Norwich), Brisbane, Göteborg und Wien.

2016 wurde Kocher Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), wo er auch als Leiter des Kompetenzzentrums für Verhaltensökonomie „Insight Austria" fungierte. Im Juni 2020 wurde Martin Kocher noch als IHS-Chef zum Präsidenten des österreichischen Fiskalrats (FISK) ernannt. Seit 11. Jänner 2021 gehört er der österreichischen Bundesregierung an, zunächst als Bundesminister für Arbeit, Familie und Jugend, seit Februar als Bundesminister für Arbeit.

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