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Interview mit Susanne Kraus-Winkler

„Wege finden, damit wir nicht mehr zusperren müssen!“

Print-Ausgabe 14. Mai 2021

Der Übergang vom Krisenmodus in die Marktwirtschaft stellt Österreichs Hotellerie vor große Herausforderungen. Auf der einen Seite sind Eigenkapital und Liquidität ausgedünnt und es fehlt an MitarbeiterInnen, auf der anderen ändern sich Umfeld und Nachfrage. Wie dieser Vielfach-Spagat zu bewältigen ist, was bisher erreicht wurde und wo jetzt die Prioritäten anzusetzen sind, darüber sprach T.A.I. mit Susanne Kraus-Winkler, Obfrau des Fachverbandes Hotellerie in der WKO und Multi-Hoteliere (u. a. Cofounder und Partner der Loisium Resorts in Langenlois, der Steiermark und im Elsass, Managing Partner der auf Hotelimmo­bilien Entwicklung- und Beteiligungen spezialisierten Merimee Holding sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Harry‘s Home Hotels).

T.A.I.: Ursprünglich wollten Sie sich nach ihrer zweiten Amtszeit als HOTREC Präsidentin von allen öffentlichen Ämtern zurückziehen. Dann übernahmen Sie überraschend die Aufgabe der Obfrau des WKÖ Fachverbandes Hotellerie und der Fachgruppe Hotellerie in NÖ. Haben Sie bereut, damals „Ja“ gesagt zu haben?

Kraus-Winkler: „Als mein Vorgänger Siegfried Egger im Sommer 2018 mitten in der Periode aufhören wollte, war ich seine Stellvertreterin. Ich wollte nicht übernehmen, aber alle Bundesländer sahen in mir die einzige Option, hatten Vertrauen in meine Kompetenz und in die demokratische Art, wie ich die Arbeit mache. Ich habe die Position weder angestrebt, noch geplant. In Niederösterreich war eine ähnliche Situation: dort waren viele neue Junge in der Fachgruppe und es entstand der Druck, ob ich das nicht nochmal übernehmen könnte. In Niederösterreich besteht eine sehr vertrauensvolle Verflechtung durch Mario Pulker (Obmann der Fachgruppe Gastronomie), weil Gastronomie und Beherbergung eng zusammenarbeiten müssen. Ich habe intensiv begonnen, Änderungen voranzutreiben. Dann kam Corona. Das ist über uns drüber gefahren wie ein Tsunami, und schlagartig gab es Krisensitzungen auf allen Ebenen. Es war und ist eine unglaubliche Herausforderung.“

T.A.I.: Eine besteht in der großen Bandbreite von Kleinsthotels bis zu Großbetrieben. Wie meistern Sie das?

Kraus-Winkler: „Ich vertrete im Fachverband 16.000 Mitglieder, von denen etwas mehr als 14.000 aktiv sind. Man muss also die Struktur des österreichischen Tourismus und der Hotellerie verstehen. Als erstes konnten wir neben der Umsatzsteuer-Senkung erreichen, dass die Pauschalierung von 240.000 auf 400.000 Euro Umsatz angehoben wurde. Das trifft auf 67,6% Hotelbetriebe zu. Weitere 25,1% erwirtschaften Umsätze von bis zu 2 Mio. Euro, 5,1% bis 5 Mio. Euro, 1,1% bis 8 Mio. Euro und nur 1% oder 146 kommen auf mehr als 8 Mio. Euro Jahresumsatz. Das heißt, Österreichs Hotellerie ist sehr fragmentiert, was den Umsatz betrifft.
Und nicht nur das: 20% aller Betriebe beschäftigen 80% aller MitarbeiterInnen. Es sind aber vor allem die ganz Kleinen, die Wohlstand in Regionen bringen, die ansonsten wenig Arbeitsplätze haben. Der Tourismus bietet dort die Chance, Arbeit zu finden. Man muss also alle mitnehmen. Eine weitere Struktur, die zu berücksichtigen ist: der Unterschied zwischen Ferienregionen und Städten. Auch in den Städten gibt es viele kleine Hotels mit um die 20 Zimmer. Die Großen, die Leuchtturmprojekte, sind die, die den Markt bearbeiten und ziehen. Alle Beteiligten müssen ihren Platz finden und bedient werden.“

T.A.I.: Was war vorrangig zu tun, als die Krise losging?

Kraus-Winkler: „Zunächst das Thema Unterstützungen. Was machen wir mit den MitarbeiterInnen? Wie können wir in einer Situation, in der alle Betriebe geschlossen sind, mit welchen Unterstützungen helfen? Hier hat Harald Mahrer von Anfang an mitgezogen. Ich habe noch nie einen WKO-Präsidenten erlebt, der sich so gemeinsam mit der Branche um Lösungen in der Regierung engagiert hat. Wir konnten mit ihm von Anfang an alle Ideen, die wir hatten, besprechen. Er öffnete uns die Türen und so konnten wir mit der Politik und den Kabinetten alle Maßnahmen direkt besprechen. Das gilt auch für Karlheinz Kopf, den Generalsekretär der WKO, der auch im Parlament sitzt (Anm.d.red: Kopf ist Abgeordneter im Nationalrat) und so andere Kontakte hat.“

T.A.I.: Ist ein derartig direkter Draht zur Politik nicht üblich?

Kraus-Winkler: „Als Fachverband treten wir normal nicht direkt an die Politik heran. Das macht die Sparte. Wir hätten aber in der besonderen Situation durch Corona viel Zeit verloren, wenn wir die üblichen strukturellen Wege gegangen wären. Die ÖHV (Österreichische Hoteliervereinigung) macht das auch für ihre Mitglieder, wir tun das auf breiterer Basis und stimmen uns immer mit der ÖHV ab, um nicht falsche oder gegensätzliche Vorschläge zu positionieren. So kann jeder dann die eigenen Dinge als Erfolg verkaufen und manchmal gemeinsam. Was am Ende zählt, ist, wie die Branche die Krise meistert.“

T.A.I.: Sie haben einen guten Überblick zu anderen Ländern. Wie sehen die in Österreich für die Hotellerie gesetzten Maßnahmen im Vergleich mit dem Ausland aus?

Kraus-Winkler: „Die österreichischen Unterstützungsmaßnahmen sind wesentlich weiter, als in anderen europäischen Ländern. In Frankreich setzt man vor allem auf Kurzarbeit, in der Schweiz auf Kurzarbeit in Kombination mit Unterstützungsmaßnahmen, aber die sind nicht so groß wie bei uns. Touristische Betriebe in der Schweiz konnten aber im Winter offen halten, dadurch war es für sie möglich, Umsatz zu erzielen. In Deutschland sind die Hilfen anfangs sehr schwach angelaufen, es gab nur Kurzarbeit und die war viel bürokratischer. Jetzt gibt es die Überbrückungshilfe 3, aber die Auszahlungen funktionieren nicht so, also noch viel schlechter, als zuletzt in Österreich. Das große Problem ist hier das Epidemiegesetz. Die Betriebe brauchen Liquidität!“

T.A.I.: Jetzt geht es um die Wiederöffnung. Welche Schritte sind hier in der ersten Phase besonders wichtig?

Kraus-Winkler: „Die ab 19. Mai in Kraft tretende Öffnungsverordnung beinhaltet neben den üblichen Vorgaben, wie Abstand und Maskenpflicht, nun neu auch Eintrittstests und bei längeren Aufenthalten Nachtests. Die Tests werden derzeit vom Bund bezahlt. Limits wie die 20 m² Regel in Wellnessbereichen, die 22 Uhr Gastro-Sperrstunde und die Personenlimits gelten vorerst bis Ende Juni und werden dann hoffentlich wieder gelockert und den Erfahrungen des letzten Sommers angepasst, vor allem, da bis dahin viel mehr ÖsterreicherInnen geimpft sein werden.“

T.A.I.: Wie sieht es dann längerfristig aus?

Kraus-Winkler: „Das Wichtigste ist, dass wir Wege finden, damit wir nicht mehr zusperren müssen. Man hat in anderen Ländern, wie z.B. Israel, gesehen, dass die Inzidenz-Zahlen auch bei hohen Durchimpfungsraten von 60-65 % wieder nach oben gehen können. Da sind dann Maßnahmen notwendig, wie die Verschärfung der Maskenpflicht etc. Für uns ist wichtig, dass die Betriebe nicht mehr gesperrt werden! Sicherer Urlaub wird auch dann möglich sein.

Wolfgang Jenewein (Anm.d.Red.: Professor an der Uni St. Gallen) hat das in seinem Impulsvortrag beim ‚Kick-off‘ zur ‚Auf geht’s‘-Initiative gut gesagt: ‚Nehmen wir der Krise den Beigeschmack der Katastrophe.‘ Wir müssen Wege finden, das Reisen wieder zu ermöglichen und wie wir mit dem Auf und Ab der Infektionen umgehen. Es wird möglicher Weise nicht so schnell wieder Konzerte mit 20.000 TeilnehmerInnen geben und Events mit Massenandrang in Großdiscos und auch keinen Massentourismus, wo ewiges Wachsen und Größe das Modell waren. Wir müssen, wie Jenewein richtig gesagt hat, ‚neue Geschichten schreiben.‘

T.A.I.: In welcher Form?

Kraus-Winkler: „Der Trend in den USA geht bereits in diese Richtung: Dort haben Hotels mit weniger als 300 Zimmern viel mehr Buchungen als Großhotels. Man spürt also schon diese Tendenzen. Viele, die Hully Gully wollen, werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass das vielleicht nicht mehr zurückkommt. Wahrscheinlich werden viele andere Dinge stärker werden. Viele hybride Formen werden bleiben, was auch den Geschäftstourismus verändert. Es wird einen Shift geben. Bisher gab es in der Wirtschaftstheorie zwei Wege, die zur gleichen Wertschöpfung geführt haben: große Menge bei kleinem Preis oder höherer Preis bei geringerer Menge. Der Tourismus wäre so oder so an seine Grenzen gestoßen, die ihn vor neue Herausforderungen stellen. Das sieht man jetzt in der Hotellerie: Dort gehen die Preise rauf. Es ist gut, wenn wir dadurch den CO2-Abdruck verringern und die Umwelt schonen. Österreich hat hier durch die Kleinstrukturiertheit des Tourismus einen Vorteil. Das wurde vorher als Nachteil angesehen. Jetzt ist es eine große Chance. Wir müssen aber auch die Preise auf ein faires Niveau erhöhen, fair in punkto Wertschöpfung, dass der Preis auch das widerspiegelt, was man auch bietet und nicht Wertschöpfung über die Masse erzielen.“

T.A.I.: Welches sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Schritte für den Übergang ins „neue Normal“?

Kraus-Winkler: „Der Übergang vom Krisenmodus zurück in die wirtschaftliche Unabhängigkeit muss klug gemanagt werden. Es braucht sicher da und dort weitere Hilfen.

1. Sicheres Offenhalten und Reisefreiheit: zunächst auf europäischer Ebene und dann wieder sichere Reisemöglichkeiten aus Fernmärkten. Wenn es in Europa Reisefreiheit gibt, ist schon viel gewonnen. Und es geht darum, sinnvolle Umsätze zu machen, mit denen wir auch wieder wirtschaftliche Deckungsbeiträge erzielen können.

2. Unsere Geschäftsmodelle anpassen: Es wird sicher die eine oder andere neue Idee geben – die österreichische Hotellerie ist da sehr kreativ, mit neuen nachhaltigeren Produktideen.

3. Das Mitarbeiter-Thema: ohne MitarbeiterInnen können wir keinen Umsatz machen. Wir müssen mehr Verständnis für den Wert der persönlichen Dienstleistung erzeugen, diese eventuell anpassen, nicht mehr 24/7 persönlich da zu sein. Dienstleistung kostet, wenn sie fair ist. Wir müssen Dienstleistung neu denken, ohne dass die Qualität schlechter wird. Das wird einige ärgern, aber es ist der einzige Weg in die Zukunft. Der Gast ist König, aber es muss ein faires Miteinander geben. Das muss man vorsichtig artikulieren. Es geht also um Dienstleistung, um Führungsqualität, um die Kultur des Miteinanders und die gesamte Palette des Arbeitsmarktes.“

T.A.I.: Und der finanzielle Aspekt?

Kraus-Winkler: „Wir haben als Fachverband zusammen mit Roland Haslauer von der GFB Unternehmensberatung sowie Willfried Holleis (Holleis Hotels) eine Art Marshall-Plan für den Tourismus zusammengestellt und an den Finanzminister geschickt. Konkret geht es darum, dass man Covid-­abhängige Schulden und Stundungen in Stabilisierungskapital mit Eigenkapital-ähnlichem Charakter umwandelt. Das soll idealerweise über eine Tourismus-Anleihe laufen, die der Staat aufnimmt und Betrieben in Form von langfristigem Kapital zur Verfügung stellt.“

T.A.I.: Was wären ihre drei Wünsche an eine Fee, wo Österreichs Hotellerie am Ende der nächsten Wintersaison steht?

Kraus-Winkler: „Der erste wäre, dass Österreichs Hotellerie von den Gästen als beliebtes, sicheres, gastfreundliches und innovatives Land gesehen wird. Wir sind gut und können mit Herzlichkeit und Professionalität punkten, weswegen man immer gerne zu uns kommt. Der zweite Wunsch wäre, dass wir weiterhin beweisen, dass Hotellerie und Gastronomie sichere Aufenthalte auch in Corona-Zeiten bieten. Und der dritte: Dass wir unseren MitarbeiterInnen zeigen, dass wir eine Branche sind, in der es Freude macht, zu arbeiten, mit fairer Bezahlung, passenden Dienstzeiten und guter Kultur des Miteinanders. Es gibt Situatio­nen, wo es nicht lustig ist, aber das kommt in jeder Familie und in jedem Job vor. Wenn der Rest stimmt, dann ist alles akzeptabler und handelbar! Von Seiten des Fachverbandes habe ich noch den Wunsch, dass die Branche sieht, wie intensiv wir für Überleben, Wiederöffnen und die Zukunft arbeiten. Nicht alles gelingt, aber wir arbeiten so professionell, strukturiert und vorausschauend, dass der österreichische Tourismus einen Weg in die Zukunft hat!“

Kurzportrait Susanne Kraus-Winkler

Die gebürtige Niederösterreicherin stammt aus einer Marchfelder Gastronomie- und Bauernfamilie, nach 30 Jahren im elterlichen Betrieb, dem Hotel am Sachsengang, leitete sie den City Club in Vösendorf während der Restrukturierungsphase und eröffnete das Kohl & Partner Tourismusberatungsbüro in Wien. Susanne Kraus-Winkler ist Mitgründerin der LOISIUM Wine & Spa Hotels, Vorstandsvorsitzende und Aktionärin der Harry’s Home Hotel AG sowie Mitglied des Advisory Boards der MRP Hotels. Als erfahrene Unternehmerin und langjährige Expertin im österreichischen Tourismus hält sie zahlreiche Funktionen in touristischen Fachvertretungen in Österreich und repräsentierte bis 2018 als Präsidentin der HOTREC, dem Europäischen Dachverband der Hotellerie und Gastronomie in Brüssel, die Branche auf EU-Ebene.

Aktuell ist Susanne Kraus-Winkler als Obfrau des Fachverbands Hotellerie in der Wirtschaftskammer Österreich für die Fachvertretung von rund 16.000 Beherbergungsbetrieben zuständig. Sie ist Vortragende bei nationalen und internationalen Kongressen und Gastlektorin im Real Estate Masterlehrgang der Donauuniversität. Susanne Kraus-Winkler ist seit über 30 Jahren mit Michael Kraus verheiratet und hat fünf Enkelkinder.

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