Print-Ausgabe 20. Mai 2022
Arbeitsminister Martin Kocher (l.) und ÖHV-Präsident Walter Veit wollen die Weichen am Arbeitsmarkt neu stellen
Beim ÖHV-Kongress 2022 unter dem Generalthema „Arbeitswelten neu denken“ sorgte Arbeitsminister Martin Kocher für einen vielbeachteten Vortrag
Den emotionellen Seiten des diesjährigen ÖHV-Kongresses (rund 700 Teilnehmer*innen) Anfang Mai war dessen Eröffnungsabend gewidmet – mit Verabschiedung der langjährigen Präsidentin Michaela Reitterer (Boutique Hotel Stadthalle, Wien) und ihrer Ehrung durch die mittlerweile zurückgetretene Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (mehr dazu auf Seite 16 dieser T.A.I.) –, den fachlichen Themen gehörten dann die folgenden eineinhalb Tage. Den Anfang machte der seit Jänner amtierende Präsident Walter Veit (4-Sterne Superior Hotel & Zirbenspa Enzian in Obertauern), der gleich „in medias res“ ging: „Wir wollen die Arbeitswelt neu denken und die Weichen neu stellen.“ Seine Kernforderung: „Weg mit Steuern auf Arbeit.“
Die Tatsache, dass an allen Ecken und Enden qualifizierte Mitarbeiter*innen fehlen, liege nicht an der Branche, denn „alle (Wirtschaftszweige) suchen Beschäftigte“. Bis zum Ausbruch der Pandemie verzeichnete die Tourismus- und Freizeitwirtschaft das größte Wachstum an Mitarbeiter*innen (mit +18,5 % um ein Drittel mehr als die Gesamtwirtschaft), doch durch die hohe Besteuerung (vor allem durch Lohnnebenkosten) „werden wir als Dienstleistungsbranche ständig dafür bestraft, dass wir Dienst am Kunden leisten wollen“.
Walter Veits Appel lautet deshalb unverändert gegenüber seinen Vorgängern: „Arbeit muss sich auszahlen.“ Und: „Mehr Netto vom Brutto. Gehen wir’s an, schnell und sofort.“ Denn bezüglich der hohen Steuern auf Arbeit läge „Österreich im internationalen Vergleich grottenschlecht“.
Wie schlecht, das verdeutlichte Margit Schratzenstaller, Senior Economist im Forschungsbereich „Makroökonomie und Europäische Wirtschaftspolitik“ des WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung), anhand eines europaweiten Vergleichs. Als Basis diente eine im Herbst 2021 durchgeführte Studie über Höhe und Struktur der Abgabenbelastung in Österreich. Demnach belief sich die Abgabenquote Österreichs im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 auf 42,5 %, in Europa waren es lediglich 36 %.
Wobei Margit Schratzenstaller betonte, dass viel wichtiger als die Abgabenquote selbst ein Vergleich darüber sei, „was der Staat mit den Geldern macht und wie die Abgabenstruktur konkret aussieht“. In beiden Fällen steht Österreich nicht sehr gut da: So liegt die Steuerquote auf Arbeit in Österreich bei 55,7 % (Jahresdurchschnitt 2007 bis 2019), in den EU-28 hingegen lediglich bei 46,7 % bis 46,9 %, also um rund ein Fünftel tiefer.
Vor allem „im mittleren Einkommensbereich hat Österreich sehr hohe Grenzabgabensätze. Das heißt, mehr Arbeiten zahlt sich nicht aus.“ Dies dämpfe Margit Schratzenstaller zufolge „das Arbeitsangebot vor allem der Frauen“. Die ab Juli in Kraft tretende Ökosoziale Steuerreform 2022 werde daran nichts ändern: „Sie hat Vieles gebracht, aber keine Lohnnebenkosten-Senkung.“ Deren gezielte Entlastung würde „vor allem bei bestimmten Problemgruppen, allen voran Älteren, Geringqualifizierten und Frauen, effektiver wirken als allgemeine Senkungen“.
Umso bemerkenswerter war die zuvor von Arbeitsminister Martin Kocher erfolgte Feststellung, dass die Zahl der unselbständig Beschäftigten in Hotellerie und Gastronomie mit März 2022 „fast wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat“ (rund 211.000 gegenüber 220.000 im März 2019). Wobei laut Martin Kocher die Branche traditionell von einer Besonderheit geprägt ist: „Sie hat den höchsten Anteil (aller Wirtschaftszweige) an Neueinsteigern. 40 % aller Beschäftigten wechseln alle zwei Jahre die Branche. Das heißt, sie muss jedes Jahr neue Arbeitskräfte finden.“
Dies sei kein österreichspezifisches Unikum, sondern „ähnlich wie in anderen tourismusintensiven Ländern“. Denn vor allem Junge und Studierende nutzen die Branche in den ersten Jahren ihrer Karrieren als Sprungbrett, ebenso Frauen vor ihren Baby-Jahren und natürlich Saisonniers. Für letztere wurden von Arbeitsminister Kocher die Quoten vor kurzem erhöht, doch „die strukturellen Probleme bleiben“. Zwar werde sich „in den nächsten zwei bis drei Jahren die Situation normalisieren“, doch ändere dies nichts an der demografischen Entwicklung: „Die Bevölkerung wird älter.“
Während die Zahl der unter 20-Jährigen „relativ stabil bleibt, wird die Gruppe der erwerbsfähigen Bevölkerung von 80 % auf über 70 % zurückgehen.“ In konkreten Zahlen stünden bis 2030 bundesweit um rund 200.000 weniger Arbeitskräfte zur Verfügung als gegenwärtig (laut Mikrozensus 4,3 Millionen), bis 2050 sogar um 400.000 bis 500.000. Kocher: „Im Bereich der Dienstleistung wird das nur schwer durch Automatisierung zu ersetzen sein.“
Für Martin Kocher lautet deshalb die Devise, das Potential an arbeitsuchenden Menschen im Inland besser auszuschöpfen. Zwar würden vom aktuellen Arbeitslosen-Potential zwei Drittel entweder eingeschränkt oder gar nicht vermittelbar sein, „aber einige 10.000 könnten in die Beschäftigung gebracht werden“. Dass dabei in vielen Fällen die regionale Komponente mit berücksichtigt werden müsse, sei „kein neues Problem“.
Das Potential der älteren Bevölkerung zu heben sei nicht einfach, „da auf allen Ebenen Unterstützung notwendig ist“, als Positivum in diesem Zusammenhang sieht Martin Kocher aber den Umstand, dass „die (älteren) Menschen gesünder sind (als früher)“.
Überaus wirkungsvoll wäre es, die Teilzeitquote zu heben. Um dies zu bewerkstelligen, sei aber die Senkung der Lohnnebenkosten unumgänglich. Eine Linderung (sprich: bessere Ausschöpfung des Potentials von außerhalb Österreichs) verspricht sich Arbeitsminister Kocher von der in Umsetzung befindlichen Gesetzesvorlage, der zufolge es für ausländische Arbeitskräfte leichter werden soll, dort wo Mängelberufe gegeben sind, eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu erhalten (so auch für Stamm-Saisonniers).
Fazit für Martin Kocher: „Es wird sicher nicht leichter werden, aber wenn es gelingt, das Potential Schritt für Schritt zu nützen und der Standort attraktiv bleibt, dann bin ich optimistisch, dass das Fachkräfte-Problem machbar und managebar ist.“
Erstellt am: 20. Mai 2022
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