ANA
T.A.I.-Exklusivinterview

„Die Konjunkturlokomotive Tourismus hat schon wieder an Fahrt aufgenommen“

Print-Ausgabe 11. September 2020

Diese Aussage von Wolfgang Kleemann, Generaldirektor der Österreichischen Tourismusbank (ÖHT), überrascht. Doch er kann sie mit konkreten Zahlen belegen: Die jüngste Kreditsitzung – dabei ging es um „normale“ Förderungen – war die betragsmäßig stärkste, welche die ÖHT jemals hatte. In dem Gespräch mit T.A.I. ging es neben der Corona-Krise auch um die Rollenaufteilung mit der OeKB (Österreichische Kontrollbank), um die KMU-Maß­nahmenpakete sowie um den kommenden Winter.

T.A.I.: Seit rund eineinhalb Jahren ist die OeKB Mehrheitseigentümerin der ÖHT. Wie hat sich das auf die Arbeit der ÖHT ausgewirkt?

Kleemann: „Da darf ich gleich mit den positivsten Auswirkungen des OeKB-Einstieges anfangen. Wir haben seither unvergleichlich bessere Refinanzierungsmöglichkeiten, die wir 1:1 an unsere Kreditnehmer weitergeben können. Dass ÖHT jetzt ‚10-Jahre-garantiert-zinsfreie‘ Kredite anbieten kann, wäre ohne OeKB nie möglich gewesen. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die dortige – verglichen mit uns – riesige Organisation natürlich ganz andere Möglichkeiten hat, sich z.B. hinsichtlich veränderter Regulato­rien am Letztstand zu halten und wir können an diesem Wissen partizipieren und beispielsweise Agenden der Prüfung von Geldwäscherei, Innenrevision, Mitarbeiterverrechnung etc. dorthin auslagern.
Dass mit dem Eigentümerwechsel auch Mehrbelastungen durch Dokumentationen, Reportings, Abstimmung von Prozessen etc. verbunden sind – na klar. Da müssen wir jetzt halt durch. Operativ – nämlich im Verhältnis zu unseren Kunden – hat sich genau nichts verändert. Da arbeiten beide Gesellschaften nach wie vor eigenständig und das ist auch gut so, weil unsere Klientel der Tourismus- und Freizeitwirtschaft eben ganz eigene und spezifische Anforderungen hat und wir diese seit Jahrzehnten verstehen.“

T.A.I.: Gab bzw. gibt es bei den Finanzierungen nicht die eine oder andere Überschneidung?

Kleemann: „OeKB und ÖHT agieren in der Unterstützung von Unternehmen ja doch ganz anders. OeKB hat günstige Möglichkeiten, den Hausbanken von Tourismusbetrieben Refinanzierungskredite zu geben, die diese dann zinsgünstig an die Betriebe weiterleiten können. Sie finanziert niemals direkt ein Unternehmen, sondern nutzt die Bank als Transferpartner.
Wir als ÖHT sind in der Direktfinanzierung – also wir vergeben unsere geförderten Kredite direkt an das investierende Unternehmen. Außerdem sind unsere Konditionen wesentlich besser – Null-Prozent fix auf die Dauer von zehn Jahren können halt nur wir.
Aber trotz dieser unterschiedlichen Zugänge profitiert die Tourismuswirtschaft von beiden Häusern. Einerseits – wie schon dargelegt – über die sensationellen Konditionen, mit denen wir unsere Mittel bei der OeKB aufnehmen können und andererseits, weil die Finanzierungen der OeKB keine Förderung darstellen und damit nicht in ein fallweise doch eher enges Förderkorsett passen müssen. Über die OeKB können dann ergänzend zu uns Finanzierungen erfolgen – z.B. der Ankauf eines Grundstückes über Mittel, die eine Hausbank über OeKB finanziert bekommt und die Errichtung des Hotels über uns. Oder: OeKB kann Großunternehmen finanzieren, das dürfen wir nicht – sie kann auch dann noch finanzieren, wenn mit einem Projekt schon begonnen wurde – können wir auch nicht. Alles in Allem also eine gute Ergänzung, aber keine Konkurrenzierung.“

T.A.I.: Der letzte ÖHT Bilanzvergleich der 3- bzw. 4/5-Sterne Hotellerie bezieht sich auf 2018. Wann werden die Ergebnisse für 2019 vorliegen? Welche Tendenzen zeichnen sich diesbezüglich ab?

Kleemann: „Wir haben erste Auswertungen für 2019 natürlich fertig, aber stehen bei einem Stand von ‚nur‘ 175 Bilanzen. Viele Unternehmen haben zur Zeit andere Sorgen, als sich um ihren Jahresabschluss zu kümmern und auch Steuerberatungskanzleien haben wegen Kurzarbeit und Homeoffice einen niedrigeren Auswertungsstand als sonst. Aber Trends sind schon ablesbar und lassen sich etwa so zusammenfassen: ‚Unsere‘ Unternehmen, – ich weise immer darauf hin, dass wir natürlich nur jene Unternehmen abbilden, die investieren und deren Investitionen finanzierbar sind … ich würde das einmal als ‚das obere Drittel‘ bezeichnen –, unsere Unternehmen also haben sich in allen Kennzahlen verbessert.“

T.A.I.: Die ÖHT fördert primär die Ferien- und weniger die Stadthotellerie. Verzerrt der ÖHT Bilanzvergleich da nicht das Gesamtbild?

Kleemann: „Wir haben unsere Bilanzvergleiche immer als Benchmarks für die ‚Zweisaison-Ferienhotellerie‘ definiert. Stadthotels sind in den Auswertungen nicht enthalten.“

T.A.I.: Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Corona-Pandemie auf den Bilanzvergleich 2020 auswirken?

Kleemann: „Uiii, das kann man nicht so pauschal beantworten und ich habe auch meine Kristallkugel heute nicht mit. Tendenziell wird sich zeigen, dass die Unternehmen Erlösrückgänge haben – ob sich daraus auch Ertragsrückgänge ableiten werden, hängt von Betriebstyp, Standort und Geschäftsmodell ab. Und mehr Schulden werden sie natürlich auch haben, weil ja die Aufrechthaltung der Liquidität über Überbrückungskredite sichergestellt wurde und die sind halt ‚Kredite‘.
Zumindest so als erstes Bauchgefühl würde ich sagen: Stadt- und Kongresshotellerie etc. ganz schlimm – deutlicher Umsatzrückgang und starker Ertragseinbruch; Ferienhotellerie in ersten Lagen – egal ob See oder Berg – Umsatzrückgang aber kaum Ertragseinbußen; Ferienhotellerie in ‚zweit- und drittbesten Lagen‘: Umsatzrückgang und leichte Ertragseinbußen.
Die Spitzengastronomie und auch die Landgastronomie – egal wo – werden kaum Umsatzrückgänge haben und einen konstanten Ertrag. Die Stadtgastronomie einen deutlichen Umsatzrückgang und starken Ertragseinbruch, die Nachtgastronomie eine Katastrophe.“

T.A.I.: Wie lange wird Österreichs Hotellerie Ihrer Meinung nach benötigen, um Corona-Dellen in den Bilanzen wieder auszugleichen?

Kleemann: „Unter der soeben getroffenen Differenzierung: Ein bis fünf Jahre.“

T.A.I.: Wie entwickeln sich die Covid-19 Förderpakete der ÖHT?

Kleemann: „Unsere Covid-Modelle sind allesamt Haftungsmodelle und zielen darauf ab, den Hausbanken der Unternehmen das Finanzierungsrisiko für die Einräumung von Überbrückungsfinanzierungen abzunehmen. Unterschiedlich sind die Haftungsquoten (80% | 90% | 100%) und die Laufzeiten (3 Jahre | 5 Jahre). Zuständig sind – und das halte ich für wirklich nicht sehr durchdacht – für kleine und mittlere Unternehmen wir, für große Unternehmen bis zu einem Finanzierungsbedarf von 500.000 Euro die AWS (Austria Wirtschaftsservice) und darüber die OeKB. Von einem ‚one-stop-shop‘, wie wir es seit Jahren propagieren, und von ‚Bürgerfreundlichkeit‘ ist das weit entfernt.“

T.A.I.: Wie sehen die konkreten Zahlen aus?

Kleemann: „Statistisch betrachtet ... also per heute – 9. 9. 2020 Stand 8:00 Uhr – haben wir genau 7.504 positiv abgewickelte Förderfälle mit einem gesamten Haftungsvolumen von 1.019 Mrd. Euro – damit wurden Überbrückungsfinanzierungen über 1,146 Mrd. Euro ermöglicht. In diesem Zusammenhang vielleicht auch interessant: Der Großteil der Förderanträge kommt aus dem Verpflegungsbereich – insgesamt rund 4.000 Anträge. Erst an zweiter Stelle stehen Beherbergungsbetriebe (2.587 Fälle), gefolgt von Reisebüros mit 332 Förderanträgen.“

T.A.I.: Ende Juli wurde das bis dahin für Klein- und Kleinstunternehmen geltende Ausschlusskriterium von ‚Unternehmen in Schwierigkeiten‘ (UiS) bezüglich der Haftungsmodelle aufgehoben. Was wurde durch diese Maßnahme bewirkt?

Kleemann: „Dass UiS als Kriterium gefallen ist, begrüße ich, weil ich diese Beurteilung für die Tourismuswirtschaft für ungeeignet halte. Sie basiert nahezu ausschließlich auf der (Eigen-)Kapitalausstattung eines Unternehmens und der Entwicklung des Eigenkapitals im Zeitablauf. Stille Reserven, die speziell bei langjährig bestehenden Hotelunternehmen so gut wie immer zu erkennen sind, bleiben unberücksichtigt. Vor allem für sehr anlageintensive Branchen – die Hotellerie zählt zu den anlageintensivsten überhaupt – ist dieser Zugang kein passender Indikator, aus dem die Ausfallsneigung bzw. -wahrscheinlichkeit eines Unternehmens abgeleitet werden könnte.
Auswertungen zeigen sehr plausibel, dass genau jene Unternehmern der Tourismuswirtschaft eine besonders gute Ertragslage zeigen, die regelmäßig investive Maßnahmen gesetzt haben. Diese werden – wie unsere Förderstatistiken über viele Jahre belegen – nahezu ausschließlich fremdfinanziert. Aufgrund des Auseinanderklaffens von Abschreibungsfristen, betrieblicher Nutzungsdauer und Kreditlaufzeiten wachsen somit quasi ‚ex-Steuergesetzgebung‘ wirtschaftlich sehr erfolgreiche Unternehmen in die UiS-Definition hinein und werden völlig zu Unrecht von einer Förderung ausgeschlossen.
Wir sehen in unserer aktuellen Förderpraxis, dass an die 35 % aller einreichenden Unternehmen die UiS-Kriterien nicht erfüllen könnten und damit, obwohl sie wirtschaftlich stabil sind bzw. jedenfalls vor der Covid-19-Krise waren, von einer Förderung ausgeschlossen blieben. Hinter diesen Unternehmen stehen Familien, die teilweise seit vielen Jahren erfolgreich den österreichischen Tourismus prägen und mitgestalten. Sie in ihrer Existenz gerade im Zuge der Covid-Krise im Stich zu lassen, kann nicht Wunsch der Bundesregierung sein und findet sich auch in den Ankündigungen zu einer offensiven Unterstützungspolitik nicht wieder.
Ich habe daher immer darum gekämpft und auch beim ersten ÖHT-Haftungsmodell (Haftungen bis 80 % auf Basis von De-minimis) alles getan, um statt der UiS-Definition auf die nationale Gesetzgebung des Unternehmensreorganisations-Gesetzes (UIG) abzustellen. Ich halte die dort definierten Kennzahlen – insbesondere die ‚fiktive Entschuldungsdauer‘ – für besonders geeignet, die Stabilität eines Tourismusunternehmens in dynamischer Hinsicht zu verifizieren und die Gefahr seines wirtschaftlichen Scheiterns einzuschätzen. Was ich dann aber nicht mehr verstanden habe ist, dass man letztendlich seitens der Richtlinien-Gebung alle Bonitätskriterien wegfallen hat lassen und wir jetzt auch ‚Leichen‘ fördern dürfen. Als einzigen Ausschließungsgrund zu definieren, dass ein Unternehmen sich nicht in einem Insolvenzverfahren befinden darf, macht wirklich keinen Sinn.“

T.A.I.: Wie bewältigt die ÖHT den – durch die über sie abgewickelten Covid-19 Förderpakete – gestiegenen Arbeitsaufwand?

Kleemann: „Wir haben genau rechtzeitig ein Team von 15 supertollen MitarbeiterInnen engagiert, diese samt EDV-Ausstattung und Infrastruktur in ein uns von der ARE Austrian Real Estate, einer 100%igen Tochtergesellschaft der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), zur Verfügung gestelltes Büro einquartiert und unter Supervising durch drei meiner besten Mitarbeiter zielgerichtet auf die Covid-Fälle eingeschult. Das hat toll funktioniert und die Stamm-Belegschaft hat aus dem Homeoffice Hotline, Vorlagen an die Haftungsgremien und das Tagesgeschäft gemanagt. Lassen Sie mich das einmal mehr sagen: So ein Team, wie das in der ÖHT, muss man erst einmal finden und ich kann nur voll Bewunderung sagen: Toll gemacht. War aber keine ganz ruhige Zeit!“

T.A.I.: Unabhängig von Corona laufen die ‚normalen‘ ÖHT-Förderprogramme weiter. Wie entwickelt sich heuer die Nachfrage danach?

Kleemann: „Das glaubt mir keiner, wenn ich es erzähle: Wir haben demnächst eine unserer quartalsmäßigen Kreditsitzungen und es wird die betragsmäßig stärkste, die wir jemals hatten. Die ‚Konjunkturlokomotive Tourismus‘ hat schon wieder Fahrt aufgenommen und wir werden am 22. September 2020 neuerlich Kredite über fast 100 Mio. Euro vergeben, mit denen Investitionen über mehr als 160 Mio. Euro getätigt werden. Insgesamt sind damit heuer bereits mehr als 210 Mio. Euro an geförderten Krediten in die Tourismus- und Freizeitwirtschaft geflossen und ‚unsere‘ Branche hat über 350 Mio. Euro investiert.
Auch unsere anderen Fördermodelle laufen wieder – Jungunternehmer gründen wieder und auch Kleininvestitionen finden statt – hier wird allerdings immer öfter eine Haftung der ÖHT nachgefragt. Was wir brauchen ist ein Modell zu einer eigenkapitalnahen geförderten Finanzierung und was wir noch brauchen ist eine Möglichkeit zur Übernahme von ÖHT-/Bundeshaftungen für Crowd-Finanzierungen. Mit diesen beiden Modellen könnten wir einen deutlichen ‚Finanzierungsmehrwert‘ anbieten und die Unternehmen noch besser unterstützen.“

T.A.I.: Bleibt als großes Fragezeichen der Winter. Der gilt für einen großen Teil von Österreichs Tourismus traditionell als Wertschöpfungsgenerator. Welche Einschätzung haben Sie diesbezüglich für die Wintersaison 2020/2021?

Kleemann: „Auch wieder so eine ‚Kristallkugel-Frage‘, ich bin da aber weit weniger skeptisch, wie viele Branchenvertreter: Also es wird sicher ein ruhigerer Winter. Wir werden ein ‚leises-après-ski‘ erfinden müssen und das lässt sich auch erfinden. Kleinskigebiete werden profitieren, ich glaube auch, dass kleinere Beherbergungsbetriebe profitieren werden und wir werden viel Wintertourismus außerhalb des klassischen Skitourismus erleben. Das Thema Skitouren wird sehr wahrscheinlich anziehen – Schneeschuhwandern wird noch so ein Thema. Jene Betriebe, die in der Vergangenheit Stammgäste aufgebaut haben und wo zwischen Unternehmerfamilie und Gästen ein Vertrauensverhältnis besteht, werden kaum verlieren. Und das ‚Problem‘ Bergbahnen? Nicht bös sein, aber das wird hochgespielt. Die Öffis in Wien sind da die größere Herausforderung. In keiner Gondel ist die Verweildauer länger als 15 Minuten und Masken wird man halt auch dort tragen müssen. Der Winter ist noch lange nicht gestorben.“

T.A.I.: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Bei der Präsentation des Neubaus des Hotels Kaiserhof in Annenheim am Ossiacher See meinten Sie, dies sei das schönste Projekt, das Sie in Ihrer Tätigkeit seit 1983 finanziert haben. Wieso?

Kleemann: „Darf ich Sie korrigieren: Ich habe nicht gesagt ‚das schönste Projekt‘ sondern ‚das tollste Projekt‘. Ich kenne tatsächlich keinen attraktiveren Hotelstandort und -standplatz, kenne wenig Häuser, die so ideal die Spange zwischen See und Berg leben und freue mich einfach, dass bei der Planung nicht bzw. nicht nur die unmittelbare Projektplanung, sondern vor allem auch die Schaffung von öffentlichem Raum im Vordergrund stand.“ 

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