Print-Ausgabe 1. Juni 2018
Die neue Bundesregierung macht sich nach den geschlagenen Länder-Wahlen jetzt an die Umsetzung ihrer Reformvorhaben. Welche Prioritäten aus Sicht von Österreichs Top-Hotellerie zu setzen wären, darum ging es in einem Doppelinterview mit der Präsidentin der ÖHV (Östereichische Hoteliervereinigung), Michaela Reitterer, und ÖHV-Generalsekretär Markus Gratzer.
T.A.I.: Die Wintersaison ist hervorragend gelaufen, die Mehrwertsteuer-Erhöhung auf Logis wird zurück genommen. Wie sieht es angesichts dieser Entwicklung mit weiteren Forderungen der Hotellerie an die Politik aus? Können überhaupt noch welche gestellt werden?
Reitterer: „Wir sind nicht fertig mit den Forderungen.“
Gratzer: „Bei der Mehrwertsteuer war es die Rücknahme eines Fehlers. Es gibt viele andere Themen, die jetzt abgearbeitet werden müssen.“
Reitterer: „Zum Beispiel die Mitarbeiter-Problematik.“
Gratzer: „Der Arbeitsmarkt, die Rahmenbedingungen, alles was im Regierungsprogramm steht, wie Regionalisierung, Senkung der Lohnnebenkosten, Mangelberufsliste und vieles andere, damit Dienstleistung auch leistbar wird. Ein zweites Thema sind natürlich die steuerlichen Rahmenbedingungen, um die Betriebe zum Investieren zu animieren, dazu die Abschreibung, die KÖSt… all das steht auch im Regierungsprogramm drin.“
T.A.I.: Wann rechnen Sie mit einer Umsetzung des Regierungsprogramms?
Gratzer: „Das Doppelbudget 2018/2019 ist beschlossen, jetzt geht es um die weiteren Planungen. Realistisch ist aus unserer Sicht eine Umsetzung ca. um 2020.“
Reitterer: „Das hoffen wir, so ist es auch in den Gesprächen kommuniziert worden.“
T.A.I.: In wieweit ist die ÖHV mit eingebunden?
Gratzer: „Wir sind eingebunden, Vorschläge zu erörtern und vorzulegen. Im Unterschied zur Vorgängerregierung wird mehr zugehört und Praxiswissen abgefragt.“
Reitterer: „Zu den bereits genannten Themen ist noch die Digitalisierung hinzuzufügen. Da geht es um den Ausbau des Breitband-Internet auf 5G. Wir reden da nicht von Wien, sondern von der digitalen Infrastruktur bis in die letzte Talschaft. Das sind die Rahmenbedingungen, die es bei internationaler Vermarktung braucht.“
Gratzer: „Hier spielt auch der ‚Plan T‘, also die angekündigte Tourismusstrategie hinein: wo setzt man mittelfristig die Eckpfeiler ein, welche Maßnahmen braucht der Tourismus, wie setzt man sie um.“
Reitterer: „Das Thema ‚Marke Österreich‘ gehört auch dazu. Österreich hat viel zu bieten. Wir müssen als kleines Land hinausgehen und all das miteinander verkaufen und darstellen, die Industrie gemeinsam mit dem Tourismus und der Landwirtschaft. Der Tourismus ist dabei die emotionale Trägerrakete, weil er die Bilder und Stories liefert. Der Tourismus lädt die Marke Österreich emotional auf und transportiert sie in die Welt. Andere können diesen emotionalen Kern nützen. Es ist an der Zeit, dass wir hier konzertiert vorgehen. Wir sind zu klein, als dass wir uns getrenntes Agieren leisten können.“
T.A.I.: Hier spielt die Internationalisierung mit hinein. Die findet aber nicht statt: der Inlandsgast hatte 2017 bei den Nächtigungen mit 27 Prozent denselben Anteil wie 2007. Wo bleibt die viel gerühmte Internationalisierung?
Reitterer: „Dafür müsste man viel Geld in die Hand nehmen. Die Rahmenbedingungen sind ja so: der ÖW wurde real das Budget Jahr für Jahr gekürzt. Damit kann man keine internationalen Märkte bearbeiten. Wir müssen deshalb die Kräfte bündeln. Das wäre eine Aufgabe für den neuen Wirtschaftskammer-Präsidenten.“
Gratzer: „Unsere Erwartung an Plan T ist es auch, die Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Regionen kritisch zu hinterfragen und neue Konzepte zu erarbeiten.“
Reitterer: „Wenn wir es nicht einmal als österreichischer Tourismus schaffen, die Kräfte zu bündeln, wie soll man das dann branchenübergreifend schaffen?“
T.A.I.: Stichwort Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und den Regionen: wie sieht es mit der ÖHV-Destinationsstudie aus?
Gratzer: „Die macht Pause, wohl wissend, dass wir mit dem aktuellen Zahlenmaterial nicht in die Tiefe gehen können, die sinnvoll wäre. Das Online-Tool von Manova für Regionen und Destinationen gibt es aber weiter, weil strategisch sinnvoll.“
T.A.I.: Wann wird es die Destinationsstudie „neu“ geben?
Gratzer: „Wenn das Erheben von Wertschöpfungsdaten auf Regionsebene möglich ist, damit man auch ein Benchmarking machen kann. Es geht eben nicht um quantitative, sondern um qualitative Ziele. Der erste Schritt wäre, das Tourismussatellitenkonto des WIFO für die Bundesländer einheitlich zu machen.“
Reitterer: „Derzeit ist ja bestenfalls ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen möglich. Von den qualitativen Daten zeigt der WienTourismus am besten, was möglich ist, weil die Ortstaxe hier parallel zum Umsatz eingehoben wird. Die Frage ist, wie wir zu ähnlichen Daten der Bundesländer kommen. Das wäre ein Ansatz für die Forschung, welche Systeme hier am besten geeignet wären. Es gibt viele Daten im österreichischen Tourismus. Es ist erschreckend, wie wenig wir trotzdem wissen. Unsere Vision ist es: alles als ‚open data‘ für die Branche zur Verfügung zu stellen.“
Erstellt am: 01. Juni 2018
Foto oben: Michaela Reitterer und Markus Gratzer
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