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FH Wien der WKW

Welche Richtung schlägt der Tourismus ein? Drei mögliche Wege

Print-Ausgabe 18. März 2022

Der Erste ist „utopisch“ und deshalb unrealistisch; der Zweite mit „business as usual“ ist an seinem Ende; bleibt als drittes Szenario das „heterotopische“

Die Zukunft des Tourismus ist derzeit ein viel diskutiertes Thema, sowohl in akademischen als auch in nicht-akademischen Kreisen. Wobei die Kommentator*innen unterschiedliche Perspektiven darlegen. Einige beschwören optimistische Szenarien herauf, während andere eine eher pessimistische Perspektive vertreten. Viele Aktivist*innen, Praktiker*innen, Akademiker*innen und Politiker*innen bemängeln gleichzeitig das Fehlen eines substanziellen Engagements der Regierungen und der Indus­trie, um den „Modus Operandi“ der Tourismusindustrie zu verändern.

Doch was ist nun konkret davon zu halten? Um Antworten darauf zu finden, hat Xavier Matteucci, Dozent und Forscher im Bereich Tourism & Hospitality Management an der FHWien der WKW (Wirtschaftskammer Wien), drei mögliche Tourismus-Zukunftsperspektiven ausgemacht, die auf komplexen, von sozialen, kulturellen, politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Faktoren geprägten Konstellationen beruhen. Xavier Matteucci beschreibt diese drei Szenarien als „utopisch“, „dystopisch“ und „heterotopisch“.

Utopische Zukunft: Diese wäre durch globale „Degrowth“-Strategien (also Wachstumsrücknahme bzw. Wachstumswende) gekennzeichnet, die von post-anthropozentrischen (also nicht mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellenden), gemeinschaftsorientierten „Governance“-Modi und langsamen Tourismuspraktiken geleitet werden.

Doch während eine „utopische Zukunft“ viele der Probleme des Anthropozäns lösen würde (also jenes Zeitalters, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die Prozesse der Erde geworden ist), haben die vergangenen Jahrzehnte der Tourismuspolitik gezeigt, dass die politischen Entscheidungsträger*innen einem Wechsel ihres „Governance“-Paradigmas nur zögerlich gegenüberstehen. Darüber hinaus ist mit den Konjunkturpaketen am Horizont ein trügerisches Bild eines grünen Tourismuswachstums verbunden, das in Wirklichkeit ein nicht nachhaltiges Tourismussystem aufrechterhält. Es führt so nicht zu einer „utopischen“, sondern vielmehr zu einer möglichen dystopischen, nicht wünschenswerten Zukunft.

Die dystopische Zukunft: Diese wäre demnach eine, in der sich das Wohlergehen der Gemeinschaft weiter verschlechtert. Eine „Top-Down“-Tourismuspolitik würde dabei einen Bruchteil der mächtigen Interessengruppen auf Kosten der Mehrheit der Einwohner*innen begünstigen. Die durch den Übertourismus („Overtourism“) verursachten Probleme und Dilemmata würden fortbestehen und sich möglicherweise noch verschärfen. Es könnte außerdem zu zunehmenden Konflikten kommen, da die Abneigung der Einwohner*innen gegenüber Tourist*innen und dem Tourismus wächst.

Während die vorhin dargestellte utopische Zukunft vielleicht zu optimistisch erscheint, könnte eine dystopische Zukunft, die durch „Business-as-usual“-Praktiken gekennzeichnet ist, nicht mehr lange haltbar sein. Ausgehend von jahrzehntelangem Versagen des Tourismusmarktes sowie den jüngsten Tourismustrends und -debatten sieht Xavier Matteucci die Zukunft des Tourismus deshalb am ehesten als „heterotopisch“.

Heterotopische Zukunft: Das Konzept der Heterotopie wurde von dem französischen Philosophen Michel Foucault (1926 – 1984) entwickelt, der Heterotopien als Gegenorte oder Orte des Widerstands theoretisierte. Konkret bedeutet dies, dass eine heterotopische Zukunft den Unwägbarkeiten und den vielen Kämpfen und sozialen Bewegungen, die sich an vielen Orten entwickeln, besser Rechnung trägt, als die oben beschriebenen Modelle.

FH Wien-Dozent Matteucci geht davon aus, dass sich verschiedene Formen von Widerstandsnestern gegen den Mainstream des Tourismus bilden werden. Diese Widerstandsnester werden durch ethische Formen des Konsums und der Verwaltung sowie durch demokratische und egalitäre Beziehungen zwischen Tourist*innen und Gastgeber*innen gekennzeichnet sein. Da es unwahrscheinlich ist, dass ein Paradigmenwechsel in der Governance von einem Tag auf den anderen stattfindet, erwartet Matteucci, dass sich diese Blasen des ethischen Konsums langsam entwickeln, ausbreiten und zu Vorbildern für viele gemeinschaftlich geführte Tourismusinitiativen werden.

Für Xavier Matteucci steht damit fest, dass der „Tourismus nicht nur von unerbittlichen wirtschaftlichen Kräften bestimmt“ wird. Denn die Sichtweise Tourismus als sozial konstruiertes Phänomen zu betrachten, impliziere, „dass touristische Aktivitäten auf menschlichen Konventionen und Entscheidungen beruhen.“ Was bedeutet dies konkret für die Zukunft dieses Tourismuszweiges? Xavier Matteucci: „Wenn der Tourismus von menschlichen Konventionen abhängt, kann er verändert werden.“ Dies allerdings nur dann, „wenn sich die Entscheidungsträger*innen darüber verständigen.“

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