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FHWien der WKW

Verständnis der Destinationspersönlichkeit

Print-Ausgabe 16. September 2022

Klaus Fritz & Xavier Mateucci, Lehrende und Forscher an der FHWien der WKW

Klaus Fritz (l.) und Xavier Matteucci, Lehrende und Forscher an der FHWien der WKW


 

Um Herausforderungen für Mensch, Umwelt und Gesellschaft gewachsen zu sein, müssen Reiseziele das Konzept der „Destination Personality“ neu definieren

In zunehmendem Maße erkennen Destination Management Organisationen, wie wichtig es ist, das Konzept der Destinationspersönlichkeit („Destination Personality“) in ihre Marketingaktivitäten einzubeziehen. Insbesondere in Zeiten von globalen Pandemien und weltweiten Konflikten sind Reiseziele besonders gefordert, um unbeschadet durch den Sturm zu kommen und sich von der wirtschaftlichen Ausnahmesituation zu erholen.

Der Begriff „Destination Identity“ findet seinen Ursprung im Konzept der Markenpersönlichkeit. Bei der Markenpersönlichkeit handelt es sich um Assoziationen menschlicher Eigenschaften mit einer Marke. Ähnlich verhält es sich mit der „Persönlichkeit“ eines Reiseziels. Darunter wird die Gesamtheit der menschlichen Eigenschaften verstanden, die aus der Sicht von Reisenden mit einer Destination verbunden sind. Neueste Erkenntnisse aus der Forschung zeigen, dass die wahrgenommene Persönlichkeit eines Reiseziels die Entscheidungen der Tourist*innen, ihre Einstellungen, ihr Gefühl der Zufriedenheit und ihre Besuchs­absichten beeinflusst. Darüber hinaus kann die Schaffung einer „Destination Personality“ mit menschlichen Eigenschaften eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung wirksamer Positionierungsstrategien spielen.

So wurde aus Sicht von Reisenden beispielsweise Spanien als „freundliches“ Reiseziel, London (England) als „aufgeschlossen, unorthodox, lebendig und kreativ“ und Paris (Frankreich) als „romantisches“ Reise­ziel vermarktet. Interessanterweise spiegelt jedoch keines dieser Merkmale die Ansichten der Einwohner*innen der Reiseziele wider. Xavier Matteucci und Klaus Fritz, Lehrende und Forscher an der FHWien der WKW, erklären, weshalb diese auf Tourist*innen ausgerichtete Konzeptualisierung problematisch ist.

Matteucci argumentiert, dass das Verständnis der Destinationspersönlichkeit aus touristischer Sicht auf der vorherrschenden Philosophie der Marktorientierung beruht, die davon ausgeht, dass der beste Weg touristisches Wachstum zu generieren in der Befriedigung der Bedürfnisse der Tourist*innen liegt. Was bei dieser Sichtweise nicht berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass Reiseziele auch gleichzeitig Heimat für viele Menschen sind und dass eine entsprechende Lebensqualität der Einheimischen eine Voraussetzung für qualitativ hochwertige touristische Erfahrungen ist.

Angesichts des Problems stark konzentrierter Tourismusströme und den damit einhergehenden Herausforderungen für Mensch, Umwelt und Gesellschaft ist ein größeres Bewusstsein auf Seiten der Vermarktung von Reisezielen erforderlich. Es gilt vom markt­orientierten Denken wegzukommen und eine gesellschaftliche Marketingperspektive einzunehmen, so die FHWien-Experten.

Eine gesellschaftliche Marketingperspektive („Societal Marketing“) ist eine, bei der die Tourist*innen die Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse mit der Sorge um das Gemeinwohl in Einklang bringen. Klaus Fritz merkt an, dass der Tourismus zunehmend in das soziale und räumliche Gefüge des täglichen Lebens eingebettet ist und in dieses eingreift. Es scheint daher mehr als gerechtfertigt, die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Mittelpunkt des Destinationsmarketings zu stellen. Die Einheimischen sollten in der Lage sein, eine aktive und führende Rolle bei der Entscheidungsfindung zu übernehmen, da sie – anders als Tourist*innen und Vermarkter – die Integrität des Reiseziels selbstlos schützen wollen. Wenn die Identität der Gemeinschaft die Grundlage für die Entwicklung des Tourismus sein soll, muss die Destinationspersönlichkeit die Ansichten und Wünsche der ansässigen Bevölkerung widerspiegeln.

Xavier Matteucci und Klaus Fritz sind sich einig, dass der Erfolg von Reisezielen von ihrer Fähigkeit abhängt, einen positiven Wandel zu bewirken, der den lokalen Gemeinschaften in hohem Maße zugutekommt. Um den Nutzen der touristischen Entwicklung für die lokalen Gemeinschaften zu maximieren, sollte das marktorientierte Denken einem gesellschaftlichen Marketingdenken weichen, das eine pluralistische, kulturell verankerte Ethik des Ortes und der Fürsorge für Mitmenschen fördern kann. Eine Neudefinition des Konzepts der Destinationspersönlichkeit, die sich auf die Sichtweise der Einwohner*innen konzentriert, ist ein wichtiger Schritt in Richtung dieses Ziels.

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