ANA
Exklusiv-Interview mit Christian Kresse

„Potenzial für neue Gäste deutlich höher, als durch die Pandemie verloren ging“

Print-Ausgabe 18. Februar 2022

Wenn man, wie Kärnten, im zweiten Corona-Jahr gemessen an den Nächtigungen gegenüber 2019 nach dem Burgenland (- 20,3 %) mit - 23,5 % die geringsten Einbußen verzeichnet (der gesamtösterreichische Durchschnitt lag mit - 47,9 % doppelt so hoch), so ist das durchaus bemerkenswert. Dies hat u.a. damit zu tun, dass Kärnten (neben dem Burgenland) in Normaljahren die ausgeprägteste Sommerlastigkeit aller Bundesländer aufweist, was im Vorjahr durch den Komplettausfall der Wintersaison kein Nachteil war. Doch es spielen auch andere Gründe mit hinein. Welche, darum ging es im T.A.I.-­Interview mit dem Geschäftsführer der Kärnten Werbung, Christian Kresse, der auch einen Ausblick auf 2022 gab.

T.A.I.: Minus bleibt Minus. Wie zufrieden sind Sie trotzdem angesichts der anhaltenden Pandemie mit dem Nächtigungs-Ergebnis 2021?

Christian Kresse: „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, aber es bleibt ein blaues Auge und nicht mehr. Wir haben jedoch gesehen, dass die Krisen-resistenten Themen, die wir in den letzten 10 Jahren aufgebaut haben, in den zurückliegenden zwei Jahren sehr gut aufgegangen sind. Wir haben relativ unaufgeregt viel Kraft in diese Themen investiert.“

T.A.I.: Um welche Themen handelt es sich?

Christian Kresse: „Es geht dabei um den ‚Natur-Aktiv-Urlaub‘ in all seinen Ausprägungen, wie etwa dem Radurlaub. Das Land Kärnten, die Tourismusregionen, alle zusammen haben das Radwegenetz und die Rad-Infrastruktur ausgebaut, 65 E-Bike-Sta­tionen errichtet, die alle miteinander verbunden sind, wir haben in der Allianz mit den ÖBB Bahn-Verbindungen, wie den ‚Tauernsprinter‘ hergestellt, der mit Waggons für mehr als 200 Fahrrad-Stellplätze ausgestattet ist, inklusive Anschluss-Zügen aus den Kärntner Tälern und Städten, ergänzt um die Bahn-Verbindung Udine – Villach für den ‚Alpe-Adria-Radweg‘ … also unzählige Dinge. Da hat sich wahnsinnig viel getan. Dasselbe gilt für das Wander-Thema, mit dem ‚Alpe-Adria-Trail‘ als Flaggschiff, der heuer 10 Jahre wird. Im Vorjahr hatten wir erstmals 180.000 Etappenwanderungen. Das sind Zahlen, die ihn laut ‚National Geographic‘ zu den zehn attraktivsten Weitwanderwegen der Welt machen.“

T.A.I.: Verzeihen Sie die Zwischenfrage: Sind die ‚Alpe-Adria-Trails‘ für Radler und Wanderer ident?

Christian Kresse: „Nein, es handelt sich um zwei komplett eigenständige Angebote. Und es gibt auch nicht zwei Trails, sondern nur einen: den ‚Alpe-Adria-Trail‘, der sich nur auf den Weitwanderweg bezieht und der eine eingetragene Marke ist. Er ist in Summe 750 km lang und führt von Heiligenblut über das Mölltal, Gmünd und den Millstätter See nach Bad Kleinkirchheim, über die Gerlitzen und den Ossiacher See nach Velden, an den Faaker See, weiter nach Kranjska Gora, durchs Soča-Tal nach Cividale del Friuli und Muggia. Die Alpe-Adria-Route für Rad-Gäste, sprich der ‚Ciclovia Alpe-Adria Radweg‘, führt im Gegensatz dazu über 410 km von Salzburg über Gastein und Mallnitz nach Spittal und Villach sowie weiter über Tarvis nach Udine bis Grado.“

T.A.I.: Welche Ausprägungen hat der ‚Natur-Aktiv-Urlaub‘ noch für Kärnten?

Christian Kresse: „Ganz wichtig: Die Kulinarik. Hier haben viele Partner gemeinsam mit Slow Food Kärnten eine Vorzeigeinitiative der weltweit größten Bewegung umgesetzt, die für bewusste Esskultur und nachhaltige Lebensmittelproduktion steht. Eine breite Initiative hat im Vorjahr die ‚Slow Food Cooks‘-Alliance, der 15 Kärntner Spitzenköch*innen angehören, also mit den besten der Besten gestartet, die das leben und auch so einkaufen. Es wurden die ‚Slow Food Villages‘ mit elf Dörfern entwickelt, von Obervellach bis Bad Kleinkirchheim, wir arbeiten mit ‚Slow Food Produzenten‘, die den Geschmack dieser Destinationen prägen und wir haben die meisten Betriebe, die nach dem QHS (Qualitäts- und Herkunftssicherungssystem) zertifiziert sind. Kärnten ist das einzige Bundesland, das sich gänzlich diesem QHS-Zertifikat des ‚Netzwerk Kulinarik‘ verschrieben hat. Auf den Punkt gebracht: Da ist eine ganz wichtige Bewegung drin und das entscheidende Wort dabei ist ‚fair‘: Es geht um faire Preise für Lebensmittel, so dass die Menschen auch davon leben können. Kurz: Meine Partner sind die Stars, also die Wirte und die Lebensmittelproduzenten. Sie machen für den Gast, der nach Kärnten kommt, alles auch erlebbar.“

T.A.I.: Wie sieht es mit dem ‚Slow Food Guide‘ aus?

Christian Kresse: „Der ist der perfekte kulinarische Reisebegleiter für Kärnten-Reisende. Wir werden ihn heuer wieder in neuer Auflage herausbringen – wir hätten im Vorjahr eigentlich von dem Guide eine viel größere Auflage produzieren lassen können. 2021 wurden 110 ausgewählte Restaurants, 50 Buschenschenken und Almhütten, 80 Hofläden und Spezialitätengeschäfte, Märkte und Feste sowie die Slow Food Travel Regionen und Slow Food Villages präsentiert. Was mich besonders freut: Es kommen so viele junge Menschen nach, die sehen, dass immer mehr Gäste kommen, die die Regionalität der Lebensmittel verstehen und dafür faire Preise zahlen – da hat die Pandemie stark positiv gewirkt! Sie hat bei den Menschen einen enormen Lernprozess ausgelöst.“

T.A.I.: Wie steht es um die Zusammenarbeit mit der ‚Slow Food International‘-Organisation?

Christian Kresse: „Kärnten ist für ‚Slow Food International‘ seit mittlerweile sieben Jahren Entwicklungspartner für weltweit viel beachtete Projekte, wie zum Beispiel der ersten ‚Slow Food Travel Destinationen‘ und der ‚Slow Food Villages‘. Im Mai 2022 sind wir mit der Region Millstätter See/Bad Kleinkirchheim Austragungsort des hochkarätig besetzten Treffens von Europas ‚Slow Food‘-Expert*innen. Neben den nationalen ‚Slow Food‘-Organisationen werden rund 100 Vertreter*innen der ‚Slow Food Convivien‘ aus 20 europäischen Ländern, Führungskräfte von ‚Slow Food Europe‘ und ‚Slow Food International‘ sowie Vertreter*innen internationaler Medien anreisen.“

T.A.I.: Bei ‚Natur-Aktiv‘ geht es nicht zuletzt um eine höhere Wertschöpfung. Spielt noch ein weiterer Aspekt mit hinein?

Christian Kresse: „Ja. Es geht um die Verbindung von Natur und aktiver Bewegung – beides ist unheimlich gewachsen, auch im Winter. Eine wichtige Rolle dabei spielt aber auch der Genuss, die kuli­narische Seite eines Natur-Aktiv-Urlaubes. Zu viele Menschen verstehen das Thema österreichische Küche nicht. Es ist eine ganz besondere Form von Gemütlichkeit und Geselligkeit, in Verbindung mit gesunden Lebensmitteln.“

T.A.I.: Welchen Nutzen zieht Kärnten daraus, außer – angesichts der Pandemie – den relativ erfreulichen Nächtigungs- und Ankunftszahlen?

Christian Kresse: „Vor allem eine höhere Gästezufriedenheit. Die hat 2021 deutlich zugenommen. Der Konsument hat das ‚schneller, weiter, größer‘ über Bord geworfen. Es geht ihm vermehrt darum, sich selbst Zeit zu geben und etwas Gutes zu tun. Jeder Urlaub ist damit Kultur­urlaub, die erste Erfahrung dabei ist das Essen und dessen Zubereitung. Wir müssen also mehr Bewusstsein und Verständnis für diese Bereiche entwickeln und finden.“

T.A.I.: Was erwarten Sie von 2022?

Christian Kresse: „Es ist sicher kein Jahr NACH, sondern ein weiteres MIT Corona. Wir vermerken neben hoffentlich noch ein paar Wochen im Vergleich mit dem Vorjahr relativ guten Winters – er ist eine extreme Prüfung für alle Skigebiete – eine sehr starke Nachfrage für den Sommer. Ich sehe da ein großes Potenzial, nicht nur für Kärnten, sondern für ganz Österreich. Der sichere Urlaub in der Nähe wird ein hohes Gut sein, plus für uns wichtige internationale Märkte, die auch wieder in Betracht kommen. Da wird es einen großen Nachhol­effekt geben. Natur-Aktiv-Urlaube und Camping werden boomen. Kärnten hat ja über 42 % Marktanteil des österreichischen Camping-Angebotes. Das ist übrigens kein Billig-Produkt: Der Camping-Gast ist sehr Ausgaben freudig und verlangt Qualität.“

T.A.I.: Wo sind die Problembereiche?

Christian Kresse: „Nach wie vor große Herausforderungen werden wir im Bereich Kongresse, Seminare und bei Gruppen-Urlauben haben.“

T.A.I.: Wie lautet also generell Ihre Einschätzung für 2022?

Christian Kresse: „Das Potenzial für neue Gäste ist deutlich höher, als die durch die Pandemie verloren gegangenen Urlauber*innen. Österreich wird an Bedeutung gewinnen. Die Frage ist, ob wir dieses Potenzial abschöpfen können. Die größte Herausforderung für die Reisebranche in den nächsten fünf Jahren ist aber, dass der Bestandswert von Hotelobjekten deren Ertragswerte deutlich übersteigt. Das heißt, der Verkauf eines Hotels bringt derzeit und in den kommenden Jahren weit mehr, als in den nächsten 30 Jahren erwirtschaftet werden kann. Da ist jetzt die Politik gefordert. Sie muss dringend mit Lenkungsmaßnahmen Hand anlegen. Ein Hotel ist von sich her noch kein Produkt, sondern nur eine reine Immobilie. Erst durch den Hotelier und die Mitarbeiter*innen wird es mit Leben erfüllt und zum Genussort für Gäste und damit für die Region. Dessen sollten wir uns alle bewusst sein!“

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