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Linz Tourismus

Linzer Drei-Schritt: „Wir müssen die Welt vom ‚Touristen‘ befreien!“

Print-Ausgabe 17. Juli 2020

Diese Aussage klingt zunächst seltsam, im T.A.I.-Gespräch wird alles genau erklärt

Seit April 2007 steht Georg Steiner an der Spitze des Linz Tourismus. Der gebürtige Bayer übernahm die Stadt mit rund 685.000 Jahres-Nächtigungen. „Heuer hätten wir die Million geschafft“, meint er beiläufig im Gespräch mit T.A.I., das aber einen ganz anderen inhaltlichen Schwerpunkt hatte: den neuen „Drei-Schritt“ des Linz Tourismus. Dabei geht es um die Weiterentwicklung von touristischen Produkten, um Transformation. 

Diese „Transformation“ erfordert eine nähere Erklärung. Die liefert Steiner postwendend: „Touristiker sind zu sehr Aufzähler und nicht Erzähler. Sie glauben, dass das Programm Erlebnis ist.“ Der Linzer „Drei-Schritt“ diene dazu, das zu überwinden. Also die Transformation „vom Aufzählen, zum Erzählen (die Narrative dahinter), das dann im Erlebnis münden soll.“ Georg Steiner: „Es geht um ein Erlebnis in vollkommenster Form, das so stark berührt, dass es etwas auslöst. Wir wollen jedem Gast etwas mitgeben.“ Nachsatz: „Das kann auch eine banale Geschichte sein.“ 

Für Georg Steiner ist „Wikipedia auf zwei Beinen“, wie er es nennt, zu wenig. Deshalb nimmt er auch die Austria Guides in die Pflicht, damit diese ihre Führungen erlebnisorientierter ausgestalten. Das Ziel sei es, „dass die Gäste Linz ein bisschen verändert verlassen.“ 

Die Basis dazu wurde bereits in den Vorbereitungen zum Kulturhauptstadtjahr 2009 gelegt. „Ich musste mich damals neu erfinden im Vergleich zu dem, was ich zuvor gemacht habe“, erinnert sich Georg Steiner. Es war der erste Schritt in Richtung „Linz verändert“ (so lautete der Kulturhauptstadt Claim). Steiner: „Bis dahin wurde Linz immer als Industriestadt definiert.“ Seither gilt die ganzheitliche Sicht, dass Linz neben Industrie auch in den Bereichen Natur und Kultur Akzente setzt: „Das war etwas Neues“, so Steiner, „ohne diese Veränderung wäre nie die Brücke zu den Kultur-Leuten entstanden.“

Diese Brücke hat sich als tragfähig erwiesen und sie gibt Linz die Möglichkeit, sich neu zu positionieren: „Der Städtetourist ist jemand, der dorthin fährt, wo früher Erfolg war. Linz kann aber nicht 500 Jahre warten, bis die Leute auf jene Zeit zurückschauen, als der Georg Steiner Tourismusdirektor war. Deshalb sind wir dazu übergegangen, Linz als Stadt der Gegenwart zu präsentieren.“ 

Das beginnt bei den erwähnten Guides: „Sie sollen nicht nur Rückwärtsgewandtes und Historisches zeigen, sondern das, was Linz immer schon erfolgreich gemacht hat: Lebensqualität, Lebensfreude und Lebenskunst.“ Der Linz Tourismus hat bereits vor über vier Jahren ein Buch aufgelegt, das in 24 Geschichten „das etwas andere Erleben einer Stadt“ aufzeigt (von Gedanken über die Dankbarkeit, über die Kulturgeschichte des Schweines, bis hin zu Sex, denn Linz regt an, ganz im Sinne von „Linz verändert“). Den Gästen wurde das Lesebuch in den Hotel-Zimmern als „Geistige Minibar“ angeboten. 

Typisch für den neuen Weg sind auch die „Zeit-Reisen“, die mit der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ (Auflage 500.000 Stück, 1,72 Mio. LeserInnen) aufgelegt werden. Eine davon („Kulturstadt Linz – Impulse zur Lebenskunst“, 21. Oktober 2020, 5 Tage, max. 14 Anzahl TeilnehmerInnen) begleitet Georg Steiner höchstpersönlich: „Wir werden kein Museum besuchen, aber z.B. die Tabakfabrik.“ Auf dem Programm steht u.a. ein Kamingespräch mit dem Linzer Philosophen Prof. RobertPfaller. Steiner: „Ziel ist es, dass die Gäste Kunst, Kultur und Veränderung in Linz erleben sowie Natur und kulinarische Köstlichkeiten genießen.“ 

Der Guide müsse „zum Moderator für Begegnungen“ werden. Deshalb überreicht ihnen der Linz Tourismus seit fünf Jahren ein Manual mit dem jeweiligen Jahresschwerpunkt, an dem sie sich orientieren sollen. Steiner: „Wir erhalten dafür tolle Resonanzen.“ 

In Zukunft will Georg Steiner die Rolle der Donau noch stärker ins Tourismusgeschehen der OÖ Landeshauptstadt und vieler „Second Cities“ rücken, die am Strom liegen: „Es geht um die Positionierung der Donau als Kulturreiseweg, mit dem Auto, Bus oder Bahn, und um das Entwickeln von Reisegründen, warum man fünf Tage über 800 Kilometer die Donau entlang fahren soll.“ 

Wichtig bei all dem sei es, „einen anderen Zugang zu finden, als der Lehrbuch-mäßige Tourismus, der durch das Festhalten an alten Abläufen ins Gerede gekommen ist“, so Steiner. Bisher habe man sich nur vor Overtourismus versteckt, jetzt brauche der Tourismus eine neue Thematik: „Wir dürfen keine Touristiker mehr einstellen, deren Fokus auf die Kommunikation von Basisdaten wie Öffnungszeiten gerichtet ist. Wir müssen die Welt vom ‚Touristen‘ befreien!“

Der Linz Tourismus gehe diesbezüglich voran. Das diesjährige Konzept rückt deshalb „den Menschen in den Mittelpunkt und schafft Begegnungen für die Zukunft“, so Georg Steiner, der im nächsten Atemzug den griechischen Staatsmann Perikles aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert zitiert: „Die Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt.“ Deshalb müsse die Schlussfolgerung lauten: „Je digitaler, desto menschlicher müssen Aktivitäten werden. Digital haben wir am Handy. Wir zeigen deshalb: hier sind Menschen, hier arbeiten Menschen.“

Es ist der dritte Schritt im „Linzer Drei-Schritt“. Der erste wurde mit dem Kulturhauptstadtjahr gesetzt, der zweite dann in den Jahren danach. Für den dritten lieferte die Key­note von B. JosephPine beim „7th Global Summit on Urban Tourism“ der UNWTO (World Tourism Organisation) im September 2018 die Initialzündung bezüglich Weiterentwicklung von touristischen Produkten bzw. Transformation. Georg Steiner: „Wir haben viel vorgedacht und experimentiert. Ich fühle mich durch Corona bestätigt.“  

Prof. Dr. Wolfgang Georg Arlt
19. 7. 2020
Wir müssen die Welt vom ‚Touristen‘ befreien!“
Ein völlig richtiger Ansatz. "Es muß wieder mehr um den Wert der Begegnung gehen. Je mehr uns die persönliche Begegnung fehlt, umso mehr wissen wir, wie wichtig es ist, im Gespräch zu sein, sich auszutauschen, neue Menschen kennen zu lernen. Reisen ist nicht nur Besichtigen" schreibt Prof. Steiner dazu auf LinkedIn. Das betrifft - Überraschung! - nicht nur europäische Gäste, auch die "neuen" chinesischen Gäste suchen genau nach dieser Wertschätzung als Mensch und dem Austausch. COTRI veröffentlicht dazu am 4.8. ein neues eBook.
Prof. Dr. Arlt, CEO China Outbound Tourism Research Institute

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