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FHWien der WKW

Kreativer Tourismus im Vormarsch! Doch was wollen „Kreativ-Gäste“ wirklich?

Print-Ausgabe 14. Juni 2024

„Kreative Tourist:innen bleiben in der Regel länger am gleichen Ort“, berichtet Xavier Matteucci

Antworten darauf liefert der Tourismus-Forscher Xavier Matteucci – ein großer Vorteil liegt auch darin, dass es sich um eine nachhaltigere Form des Tourismus handelt

In den vergangenen Jahren hat das Konzept des kreativen Reisens als eine nachhaltigere Form des Tourismus stark an Zugkraft gewonnen. Auch in Österreich gibt es mittlerweile viele kreative Angebote für in- und ausländische Besucher:innen, die etwas Neues oder Anderes lernen wollen und sich mit leidenschaftlichen und sachkundigen Einheimischen austauschen möchten. Doch trotz des Trends zur Entwicklung kreativerer touristischer Aktivitäten in Reisezielen gibt es nur wenige Informationen darüber, wer die kreativen Touristen wirklich sind. Xavier Matteucci, Forscher an der FHWien der WKW, hat die letzten Jahre damit verbracht, dieses Thema zu untersuchen.

Die Antwort auf die Frage, warum kreatives Reisen oder kreativer Tourismus eine nachhaltigere Form des Tourismus ist, liegt für ihn auf der Hand: „Kreativtouristen bleiben in der Regel länger am gleichen Ort als andere Touristen, und da ihr Konsumverhalten dem der Einheimischen ähnelt, kommt das von kreativen Touristen ausgegebene Geld der Allgemeinheit zugute. Außerdem können die auf Kultur und Kreativität basierenden Beziehungen zwischen Einwohnern und Touristen die Lebensqualität der Einwohner verbessern.“

Zu den Vorteilen könnte auch eine kulturelle Wiederbelebung gehören, die den lokalen Stolz und die Identität stärkt. Da die Touristen die Kreativität und das Fachwissen der Gastgeber:innen nutzen, wird die Begegnung zwischen Touristen und Gastgeber:innen als gleichberechtigt empfunden. Ein weiteres Argument ist, dass sowohl die Besucher:innen als auch die Einheimischen durch ihre Interaktion ihr Sozialkapital aufbauen können.

In seinem neuen Buch „The Creative Tourist: A Eudaimonic Perspective“ (Emerald Publishing), das er zusammen mit Co-Autorin Melanie Smith auf Englisch schrieb, hat Matteucci eine Definition festgelegt: Kreativtourismus ist demnach eine partizipative Form des Kulturtourismus, die sich in erster Linie auf das immaterielle Erbe und die traditionellen Praktiken indigener Gemeinschaften stützt und von dem Wunsch angetrieben wird, zu lernen, zu teilen und zu schaffen. Laut Matteucci wollen Kreativtouristen wie andere Touristen Spaß haben, dennoch liegen authentische und kulturelle Begegnungen sowie Selbsterkundung und Identitätsentwicklung im Fokus ihrer Reise.

Die beiden Autoren Matteucci und Smith wollen in ihrem Buch zeigen, dass sich Kreativtouristen nicht nur mit ortsspezifischen Ressourcen beschäftigen, um sich selbst zu verwirklichen, sondern auch, um ihre eigene Identität zu pflegen und zu finden. Matteucci: „Diese Suche ist an sich schon ein lustvoller kreativer Prozess.“ Die immersive, aktive und sinnliche Auseinandersetzung mit heterogenen Räumen sei ein zentrales Merkmal der kreativen touristischen Erfahrung. Matteucci: „In unserem Buch haben wir gezeigt, dass heterogene kreative Tourismusräume – z. B. private Wohnumgebungen, Straßenmärkte – dazu beitragen, stärkere Emotionen bei den Reisenden zu stimulieren.“ Alternativ zu kommerziellen Umgebungen, bieten heterogene Räume Platz für fantasievolles und Kreatives kennenlernen der Kultur.

Xavier Matteucci argumentiert weiter, dass „die Gefühle von Authentizität und Intimität inhärente Qualitäten heterogener, kreativer Tourismusräume“ sind. Die Erfahrungen von Authentizität und enge Beziehungen in kreativen touristischen Räumen fördern das Wohlbefinden des Gastes. Darüber hinaus wird das Wohlbefinden durch Empower­ment, Bindung sowie Selbsttransformation gefördert.

Ein neuer und vielleicht überraschender Aspekt der von Matteucci durchgeführten Forschung ist die Beschreibung des kreativen Tourismus als „Raum des Widerstands“. Warum sieht er die kreative touristische Erfahrung als „einen Raum des Widerstands mit emanzipatorischen Kräften“? Die Antworten liegen für ihn auf der Hand: Erstens sei es so, dass „das Wesen und der Wert der krea­tiven touristischen Erfahrung aus relationalen Begegnungen mit Menschen, Praktiken, Orten, dem Kulturerbe und einer Vielzahl anderer nicht-menschlicher Elemente stammen“.

Zweitens öffne die „affirmative Philosophie, die dem kreativen Tourismus zugrunde liegt, die Tür zu gleichberechtigteren Beziehungen zwischen den Touristen und Gastgeber:innen, die beide einander brauchen, um in ihren jeweiligen Gemeinschaften gedeihen zu können.“

Und drittens bekommen die Menschen in kreativen touristischen Räumen ein besseres Gefühl für die Welt: „Sie lernen, tauschen Ideen und Erfahrungen aus, arbeiten zusammen, lassen sich inspirieren und erweitern ihre eigenen Netzwerke.“ Solche relationalen Begegnungen sind daher geeignet, die lokale Wissensproduktion, die Kreativität, die Pflege und Erhaltung des kulturellen Erbes sowie den verantwortungsvollen Umgang damit zu fördern.

Alles in allem kommt Matteucci zu dem Schluss, dass „kreativer Tourismus die Möglichkeit bietet, die Kontrolle über unser Leben, unsere Freiheit und die Aussicht auf ein gutes Leben zurückzugewinnen.“ Auch wenn diese Perspektive eher utopisch erscheinen mag, liefern Matteucci und Smith viele reale, überzeugende Beispiele, die ihre kühnen Argumente veranschaulichen. „Vielleicht inspiriert die Lektüre dieses Buches dazu, den nächsten Urlaub im eigenen Land zu planen und die spannenden Kreativangebote auf der Webplattform von Kreativ Reisen Österreich zu durchstöbern“, meint Xavier Matteucci abschließend. Die Internetplattform Kreativ Reisen Österreich (www.kreativreisen.at) beispielsweise bringt Reisende mit kreativen Fachleuten zusammen, die handwerkliche und kulinarische Workshops und viele andere kulturelle und künstlerische Aktivitäten anbieten, die eine aktive Teilnahme und Kreativität erfordern.

The Creative Tourist: A Eudaimonic Perspective

ISBN: 978-1-83753-405-0

Mehr Informationen finden sich unter

www.emerald.com/insight/publication/doi/10.1108/9781837534043

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