ANA
Künstliche Intelligenz im Tourismus

Komplexe Frage, „schnelle“ Antwort! Knowledge Graph zähmt die Datenflut

Print-Ausgabe 28. Februar 2020

V.l. Alexander Wahler, Dieter Fensel und Markus Schröcksnadel gaben Einblicke ins Projekt „MindLab“


 

Feratel, die Uni Innsbruck und das StartUp Onlim haben sich mit „MindLab“ an die Spitze der touristischen KI-Forschung gestellt – die Praxis wird davon profitieren

Künstliche Intelligenz (KI) ist vom Schlagwort zur Realität geworden: Ende 2019 legten laut einer Studie der „Jungen Wirtschaft“ in Österreich an die 40 Startups ihren Fokus auf KI, beschäftigten sich 42 Prozent der Unternehmen mit dieser Thematik, 13 Prozent nutzten KI-Anwendungen und 29 Prozent befanden sich in einer Entwicklungs- und Testphase. Zu den Speerspitzen des Geschehens aus touristischer Sicht zählt „MindLab“, eine der größten Forschungseinheiten Österreichs im Bereich der KI.
Von der STI Uni Innsbruck, Onlim und feratel Ende 2018 gegründet verfolgt „MindLab“ das Ziel, der touristischen Praxis qualitativ hochwertige Daten, Methoden und Werkzeuge zur automatisierten Dialogführung über Chatbots und Sprachassistenten zur Verfügung zu stellen. Basis bildet eine als „Knowledge Graph“ (KG) modellierte systemoffene Wissensdatenbank. Was es damit auf sich hat und wie der Status quo im Forschungs­projekt „MindLab“ aussieht, darum ging es im Gespräch von T.A.I. mit Dieter Fensel (STI – Semantic Technology Innsbruck), Onlim-Chef Alexander Wahler und feratel-CEO Markus Schröcksnadel.

T.A.I.: Was kann man sich unter Knowledge Graph vorstellen?

Wahler: „Unter Knowledge Graph – sprich Wissensgraph – versteht man eine Systematik, anhand der Informationen gesucht und miteinander verknüpft werden. Auf diese Weise kann dem Nutzer eine passende Information zu seiner Anfrage geboten werden. Viele Unternehmen verwenden Knowledge Graphen, um Produkte und Services zu verbessern: Facebook, um sein soziales Netzwerk und die Interaktio­nen zwischen Personen und ihren Interessen zu speichern, Netflix, um Filmempfehlungen auszusprechen, Google nutzt den KG für die verbesserte Suche und das Anzeigen von Ergebnissen und der Springer-­Verlag, um Autoren, Bücher, Zitierungen und wissenschaftliche Artikel zu speichern und suchbar zu machen.“

T.A.I.: Welchen Vorteil bringt ein KG für Chatbots und Sprach­assistenten?

Wahler: „Die Verwendung eines KG für Conversational (Sprach) Interfaces bietet zwei direkte Vorteile – eine verbesserte Daten­integration und Konversations­optimierung. Durch Modellierung der Daten im Hintergrund ist es darüber hinaus möglich, direkt im Chatbot Rechenoperationen durchzuführen. Fragestellungen wie z. B. ‚Was kosten mich 3 Tage Skifahren für 2 Erwachsene ab Freitag in der Hauptsaison‘ oder ‚Was kosten mich zwei Standardzimmer im Hotel XY für 3 Nächte‘ können direkt beantwortet werden.“

T.A.I.: Wie viele Anbieter gibt es aktuell im deutschsprachigen Raum, die das seriös anbieten?

Schröcksnadel: „Nur sehr wenige – vor allem in Kombination mit Conversational AI gibt es kaum welche.“

T.A.I.: Das Thema ist nicht neu, warum aber gerade jetzt interessant?

Schröcksnadel: „Die letzten Jahre sind von einer immer größeren Menge an Daten geprägt. Eine der vordringlichsten Aufgaben ist es deshalb, diese riesigen Datenmengen automatisch zu verwerten. KI spielt dabei eine wichtige Rolle.“

Wahler: „Die Herausforderung liegt darin, die gesammelten Daten uneingeschränkt maschinenlesbar zu machen. Die Knowledge Graphen werden KI-Systeme dabei auf die nächste Entwicklungsstufe heben.“

T.A.I.: Google hat den KG bereits 2012 eingeführt. Worin liegt der Unterschied zwischen Ihrem KG und jenem von Google?

Wahler: „Onlim entwickelt Knowledge Graphen mit Detailwissen in spezifischen Branchen, wie z. B. Tourismus, Finance, Retail oder Energieversorgern, d. h. die Datentiefe und Datenqualität macht den Unterschied.“

T.A.I.: Was ist das Spezielle an einem touristischen KG?

Schröcksnadel: „Das Besondere ist weniger der Graph, sondern die vielen verschiedenen, sehr heterogenen Daten, die von unterschiedlichen Anbietern in unterschiedlicher Qualität zur Verfügung gestellt werden. Das macht es oft schwierig, eine zentral verfügbare Datenquelle zu erstellen. Genau dies ermöglicht aber der Knowledge Graph.“

T.A.I.: Wer profitiert davon und in welcher Weise?

Schröcksnadel: „Natürlich die Betriebe und Organisationen, die diese Daten abrufen können, um ihren KundInnen bzw. Interessenten diese auf verschiedene Art zur Verfügung zu stellen. Und die KundInnen profitieren, weil sie bequem und einfach alle relevanten touristischen Daten z. B. über Conversational Interfaces abfragen können. Gäste in einem Skigebiet können bspw. ganz konkret die gerade verfügbaren Skipreise in einer sehr komplexen Anfrage wie ‚Ich suche einen Skipass für 3 Personen in Skigebiet X für 3 Tage und bin nicht Tiroler‘ abfragen.“

T.A.I.: Gibt es Verknüpfungen zu Google bzw. werden die Datenbanken untereinander vernetzt?

Wahler: „Ja, die Daten des KG sind für Google lesbar.“

T.A.I.: Wo steht derzeit die Entwicklung und was wird in Zukunft möglich sein?

Fensel: „Das Forschungsprojekt ‚MindLab‘ widmet sich diesem Thema und entwickelt Methoden sowie Software zur Modellierung und Implementierung von skalierenden Knowledge Graphen. feratel und Onlim bieten den dialogbasierten Zugriff auf touristische Informatio­nen, Produkte und Dienstleistungen. Bedeutungsvolle Dialoge erfordern viel maschinell verarbeitbares Wissen. Aufgabe der universitären Forschungsgruppe ist deshalb die Entwicklung von Wissensgraph­technologie, um dieses Ziel effizient zu erreichen. Nach Ablauf der zwei Jahre Forschungsarbeit, also 2021, sollen Informationsanbieter einen für ihren Inhalt relevanten Wissensgraphen erstellen können.“

Wahler: „Die totale Vernetzung und Abfrage vor allem über Sprache wird die Zukunft prägen. Dies erfordert die Aufbereitung der Daten als KG zur maschinellen Verarbeitung.“

T.A.I.: Wie sieht das bisherige Fazit aus?

Schröcksnadel: „Es ist ein spannendes Projekt und wir sind mittendrin, wesentlich die Weichen zu stellen, und letztendlich damit der Touristikbranche den entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu bieten.“
Wahler: „Für uns ist es ein atemberaubendes Projekt, das die effiziente Verzahnung von Wissenschaft, Wirtschaft und touristischer Expertise auf eine neue Ebene bringt.“

Fensel: „Wer noch mehr wissen will, sei auf ‚D. Fensel u. a.: Knowledge Graphs: Methodology, Tools and Selected Use Cases‘ verwiesen, das heuer im Springer-Verlag erschienen ist. Es gibt einen substantiellen Einblick in die angesprochenen Fragestellungen und fasst die Ergebnisse unserer Kooperation zusammen.“ 

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