Veranstalterinterview

„Wir sind der Konkurrenz wissenschaftlich enteilt“

Dynamisch, innovativ, erfolgreich – das Team der ESR (European Society of Radiology) setzt im Bereich medizinischer Gesellschaften und Kongresse weltweit Maßstäbe – der diesjährige ECR European Congress of Radiology (ECR) bildete dabei keine Ausnahme.

Er zählt zu den Highlights im weltweiten Kongress-Geschehen und das hat nicht nur mit seiner Größe zu tun: der European Congress of Radiology (ECR). Ende Februar/ Anfang März 2018 ging er mit rund 28.000 TeilnehmerInnen über die Bühne und sorgte laut einer aktuellen Berechnung des IHS (Institut für Höhere Studien und wissenschaftliche Forschung) für eine Bruttowertschöpfung in Wien von 17,13 Mio. Euro bzw. 27,66 Mio. Euro in Österreich.

Grund genug für das ACB-Magazin, das aktuelle Veranstalter-Interview mit dem Geschäftsführer der ESR (European Society of Radiology), Peter Baierl, durchzuführen. Doch Baierl – ein bekannt kritischer Denker – winkte höflich, aber bestimmt ab: Es würde nicht unbedingt jeden freuen, was er zu sagen habe – etwa, dass trotz der erwähnten, ansehnlichen Wertschöpfung die Kongressförderung der Bundeshauptstadt gerade Mal 40.000 Euro betrage –, und verwies auf jenen Mann in seinem Team, „der den ganzen Kongress organisiert“: Konrad Friedrich. Er gehört seit 2000 zum Team von Peter Baierl und ist seit November 2004 Head of Conference Management & Marketing beim ESR.

Erreicht haben wir Konrad Friedrich vier Tage vor Kongress-Beginn an einem Samstagmittag und zwar – wie konnte es zu diesem Zeitpunkt anders sein – im ACV, wo der Aufbau für den ECR auf Hochtouren lief.

ACB-Magazin: Im Vorjahr wurde der Vertrag zwischen ESR und dem ACV über die Austragung des ECR bis 2025 verlängert. Was waren die Gründe dafür?

Friedrich: „Das hatte mehrere Gründe. Der erste: es ist ein riesen Vorteil, wenn ein Kongress kein Wanderzirkus ist, vor allem in unserer Größe. Wir sind von unserem ESR-Büro in 10 Minuten mit der U-Bahn im ACV. Damit sind wir bei der Infrastruktur: wir reisen viel, aber wo in der Welt und in Europa gibt es so viel öffentlichen Verkehr, wo kommt man so schnell von einem Punkt zum anderen? Ein weiterer Punkt, der für Wien spricht, sind die Sozialpartnerschaft und der soziale Friede. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt in Österreich ein kapitaler Streik war. Wir erleben das öfters in anderen Destinationen, z.B. in Barcelona und selbst in Deutschland. Das Kulturangebot und die Kulinarik sind ebenfalls ein Grund. Es gibt wenige Destinationen in Europa mit einem derartigen Preis/Leistungsverhältnis. Wir haben viele Kongresse in Barcelona gemacht. Vor zehn Jahren konnte man dort um 10 Euro gut essen, jetzt sind es 30 Euro und die Qualität hat abgenommen. Die Leute schätzen Wien auch sehr wegen des guten Essens. Auch die zunehmenden Angebote für jüngere BesucherInnen sprechen für Wien. Aber dazu wollten wir ja später kommen.“

ACB-Magazin: Dann ziehen wir die Frage vor.

Friedrich: „Unser Publikum ist jung geworden, im Durchschnitt beträgt das Alter beim ECR jetzt 41,2 Jahre. Das ist für einen medizinischen Kongress sehr niedrig. Bei Ärzte- Kongressen liegt das Durchschnittalter bei 50 Jahren und darüber. Wir haben mit 45 Prozent auch einen sehr hohen Frauenanteil. Das ist bei medizinischen Kongressen sehr selten. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Radiologie ein ziemlich frauenfreundliches Fach ist. Last but not least: das Thema Sicherheit. Wir haben mit einigen anderen Destinationen verhandelt. Auch bei der Sicherheit hat Wien deutliche Vorteile.

Die Kooperation mit den Vereinten Nationen ist ebenfalls ein Grund, der für Wien und das ACV spricht. Wir erhalten seit vier, fünf Jahren von den Vereinten Nationen für die Dauer des Kongresses ein Gebäude zur Verfügung gestellt. In welcher anderen UNO-Stadt wäre „Wir sind der Konkurrenz wissenschaftlich enteilt“ Dynamisch, innovativ, erfolgreich – das Team der ESR (European Society of Radiology) setzt im Bereich medizinischer Gesellschaften und Kongresse weltweit Maßstäbe – der diesjährige ECR European Congress of Radiology (ECR) bildete dabei keine Ausnahme das möglich? Gehen Sie nach New York und fragen dort, ob sie das UNO-Building für ein paar Tage mieten können! Das M-Building verfügt sogar über einen Übergang zum Austria Center. Es wurde von der Republik für die Vereinten Nationen während der Asbest- Sanierung gebaut, mittlerweile wird es voll genutzt und für die Dauer des ECR haben wir fünf Vortragssäle darin.“

ACB-Magazin: Wird der Platzbedarf für den ECR denn größer?

Friedrich: „Ja, wir sind einer der wenigen Großkongresse, die nicht schrumpfen, sondern wachsen. Als ich 2000 beim ECR begonnen habe, hatten wir 10.000 Teilnehmer. Jetzt sind es 28.000 Teilnehmer in 29 gleichzeitig bespielten Räumen über fünf Tage, in denen über 3.000 Präsentationen vorgetragen werden. Wenn man unsere Peers, also andere medizinische Kongresse, ansieht, dann haben diese ziemliche Probleme ihr Volumen zu halten. Bei uns ist das Gegenteil der Fall, weil wir auch sehr stark in die Jugend investieren und 2013 den Mut hatten, einen interessanten Schritt zu wagen.“

ACB-Magazin: Welchen?

Friedrich: „Wir haben damit begonnen, live zu streamen. Im ersten Jahr aus vier Vortragsräumen, seit 2014 streamen wir das gesamte Kongress-Programm und das gratis! Andere haben gesagt: ‚ihr seid wahnsinnig, wer soll da noch auf den ECR kommen?‘ Peter Baierl war mutig genug, seine Idee trotzdem umzusetzen, und die Sache ist voll aufgegangen.“

ACB-Magazin: Worin liegt der Sinn des Live-Streamings?

Friedrich: „Es geht u.a. darum, viele, die wegen Problemen mit Visa, aus finanziellen oder anderen Gründen nicht kommen können, in das Kongress-Geschehen einzubinden. Das

Live-Streaming startet mit Beginn des Kongresses, danach stehen die Inhalte zwei Jahre lang online. 14.000 Menschen sind bereits im Vorfeld registriert, einige haben auch ein Kongress-Ticket, sind aber nicht alle vier Tage auf dem Kongress. Es sind rund 8.000 bis 10.000, die sich jährlich neu registrieren, 6.000 von ihnen haben kein Kongress-Ticket, und übers Jahr kommen 4.000 bis 5.000 weitere dazu und schauen wirklich regelmäßig. Wir messen bis zu 8 Terabytes pro Monat in den ersten Monaten, danach sind es 1 bis 2 Terabytes. Im Durchschnitt sind die User 23 Minuten online.“

ACB-Magazin: Das sind tolle Werte, die sind sicher gut vermarktbar?

Friedrich: „Das Monetarisieren des Ganzen ist schwierig, es kommt aber langsam. Damit wir es frei anbieten können, brauchen wir die Unterstützung der Industrie. Im Moment zahlen wir noch drauf. Es ist mehr Sozialprojekt als Geldmaschine. Der Aufwand ist enorm. Während des ECR sind fünf Firmen in das Live-Streaming involviert. Jeder hat aber dadurch die Möglichkeit, den gesamten Kongress von zu Hause mitzuerleben, mit dem Effekt, dass die Menschen irgendwann einmal zum ECR kommen wollen und zu zahlenden Besuchern des Kongresses werden.“

ACB-Magazin: Gibt es heuer beim ECR Neuerungen?

Friedrich: „Ja, einige, unser Wachstum zwingt uns, laufend neue Wege zu gehen. Man kann ja das ACV nicht vergrößern. Wir haben uns deshalb in der näheren Umgebung umgesehen: Mit der ‚Wolke 21‘ haben wir einen zusätzlichen Vortragsraum, in dem wir ein neuartiges Session-Format umsetzen: ‚MyT3‘, das ist die Abkürzung für ‚my thesis in three minutes‘. Es wird spannend, komplexe Themen sehr kurz zu erklären. Und für die Dauer des ECR haben wir die Donau-City Kirche gleich neben der U-Bahn Station beim Übergang zum ACV gemietet und in ‚Cube‘ umbenannt. Im Keller – der Kirchenbetrieb oben bleibt ja aufrecht – gibt es Seminarräume, wo Interventional Radiology- Workshops stattfinden, um jungen Teilnehmern die Gelegenheit zu geben, zu sehen, was die Welt der IR alles bietet, und um sie kennenzulernen. Wir haben dazu die 15 bis 20 größten IR-Firmen eingeladen; es hat noch nie einen Kongress gegeben, wo so eine große Menge an Simulatoren und Phantomen aus dem Bereich der interventionellen Radiologie zur Verfügung gestellt wurde. Dazu kommen laufend Verbesserungen, z.B. mit der Firma ‚Waytation‘, mit denen wir seit drei Jahren im Bereich der Nutzerstatistik zusammenarbeiten.“

ACB-Magazin: Worum geht es da?

Friedrich: „Es wird mittels Bluetooth-Tag gemessen, wie viel Zeit jemand auf dem Kongress verbringt. Waytation hat mit uns das Tracking personalisiert, um mehr Nutzen für die Teilnehmer zu generieren. Das System funktioniert auf freiwilliger Basis; wir können die Hälfte der Teilnehmer mit diesen Tags ausstatten. Im ersten Jahr waren es 1.500, im zweiten 4.500 und heuer ist unser Ziel 7.000 Tags auszugeben. Ärzte erhalten bekanntlich CME (Continuing Medical Education)-Punkte, wenn sie einen Kongress besuchen, und wir können mit diesem System CME-Punkte relativ einfach vergeben bzw. gutschreiben. Das funktioniert digital und wir haben das System mit dem Bluetooth-Tag vereinfacht. Der Teilnehmer erhält eine E-Mail, die den Besuch einer Session bestätigt, und eine weitere EMail, die ihn informiert, dass er Punkte erhalten hat. Es ist eine ‚Susi-Sorglos-Lösung‘. Heuer haben wir das aufgrund der DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung der EU) ausgebaut. Die Leute müssen bestätigen, dass sie damit einverstanden sind. Wir spielen da nicht NSA (Anm.d.Red.: National Security Agency der USA), sondern wollen Trends ablesen, die für künftige Kongresse wichtig sind. Neu ist heuer auch, dass wir eine dritte Stakeholder-Gruppe damit bedienen: die Aussteller.“

ACB-Magazin: In welcher Form geschieht das?

Friedrich: „Sie erhalten demographische Daten über die Halle, in der sie sich befinden, Analysen über den Stand, welche Produktgruppen auf besonderes Interesse gestoßen sind, und über die Verweildauer etc. Das erfolgt alles natürlich streng anonymisiert und ist nicht mit persönlichen Daten versehen.“

ACB-Magazin: Wird der ECR auch als Green Meeting organisiert?

Friedrich: „Ja und zwar bereits das dritte Jahr. Das ist für einen Kongress in unserer Größenordnung

nicht selbstverständlich. Der ECR wird als Green Meeting geführt. Das bedeutet u.a. den kompletten Verzicht auf Einweg in der Gastronomie. Es gibt keine Dosen, kein Plastik, sondern Ökostrom und recycelbares Papier. Und wir geben 50.000 Wasserflaschen gratis an die Teilnehmer und zwar aus Glas.“

ACB-Magazin: Wie sieht es beim ECR mit dem Stellenwert von Rahmenprogrammen aus?

Friedrich: „Das ist ein Compliance-Thema. Ein Kongress darf nicht mit Side-Events werben, solange sie gratis sind. Wir machen ein Charity-Dinner mit anschließend einer riesen Party in der Marx-Halle, wo wir 4.000 Teilnehmer erwarten, die sich die Teilnahme selbst bezahlen. Side-Events haben einen großen Stellenwert, aber wir haben keine Übersicht über den Großteil des Geschehens, da die Firmen das selbst organisieren.

ACB-Magazin: Viele spielen das Thema Rahmenprogramme herunter …

Friedrich: „Eines steht fest: Hintergrund, um auf einen Kongress zu kommen, sind immer

Fort- und Weiterbildung. Aber Networking und KollegInnen zu treffen ist und bleibt ein wesentlicher Grund und dafür ist Wien die perfekte Location. Die Destination macht den Unterschied. Wien ist eine wichtige Stadt, weil sie zentral in Mitteleuropa liegt und ein Tor zum Osten ist. Man setzt sich in den Zug und ist in zwei, drei, vier Stunden in Wien. TeilnehmerInnen aus Osteuropa kommen in großer Zahl zu uns. Dasselbe gilt für TeilnehmerInnen aus dem Nahen Osten bei der Anreise mit dem Flugzeug; sie können sich zwischen dem ECR und dem Kongress der RSNA (Radiological Society of North America) entscheiden. Radiologen aus dem Nahen Osten fahren immer öfter nach Wien. Das gilt auch für den asiatischen Markt und zwar nicht nur für China. Auch Korea und Japan sind sehr stark beim ECR vertreten. Es gibt einen Wandel. Wir sind zur großen Konkurrenz für Amerika geworden.“

ACB-Magazin: Wie sehen Sie die weitere Zukunft des ECR bis 2025 und darüber hinaus?

Friedrich: „Das ist eine schwierige Sache. Wer weiß, was 2025 ist? Ich glaube weiter an Wachstum. Wir bewegen uns jedes Jahr

bei 7 bis 10 Prozent Plus. Das gesamte Team im Büro der European Society of Radiology macht einen sehr guten Job. Der ECR ist wissenschaftlich der Konkurrenz enteilt. Bei uns ist die acceptance rate, also die Chance, dass Abstracts genommen werden, 35 Prozent und damit nicht sehr hoch. Bei den Ausstellern erwarte ich einen gegenläufigen Trend, aber nicht weniger Aussteller, sondern die, die kommen, werden kleinere Ausstellungsflächen buchen. Das macht uns keine Sorge, da wir derzeit viele Aussteller ablehnen müssen, da wir jedes Jahr bereits im Mai/Juni ausverkauft sind. Der generelle Trend: die Firmen reduzieren Standfläche, da der finanzielle Aufwand enorm ist. Was wir deshalb seit Jahren mit den Firmen versuchen umzusetzen, ist ein Konzept, um Mehrwert für 365 Tage zu schaffen, nicht nur für fünf Kongresstage.“

ACB-Magazin: Wie gelingt Ihnen das?

Friedrich: „Mit dem Live-Streaming oder mit unseren e-Learning-Plattformen. Die sind redaktionell betreut. Wir haben die größte wissenschaftliche Radiologie-Poster-Plattform der Welt. Sie wurde 2003 von einer physischen auf eine digitale Datenbank umgestellt. Jedes Jahr kommen fast 4.000 neue Poster dazu und die Plattform wird zunehmend intensiv genutzt, wir haben schon ca. 50.000 User pro Monat. Das hat auch mit unserer günstigen Membership zu tun. Ein Full Member bei der ESR zahlt 11 Euro Mitgliedsbeitrag im Jahr. Das kann sich jeder auf der Welt leisten. Bei anderen Gesellschaften werden 300 Euro verlangt. Das ist extrem viel, angesichts der Einkommensschere allein in Europa. Wir haben eine große Inhomogenität innerhalb unseres Kontinents.“

ACB-Magazin: Wird Wien über 2025 hinaus für den ECR ein Thema sein?

Friedrich: „Wir haben jetzt einmal bis 2025 geplant. Wer weiß, wie sich der Kongress entwickelt. Wenn das Wachstum so weiter geht, dann wird’s einmal eng. Wir machen uns aber wenig Sorgen, es gibt auch außerhalb des ACV Standorte. Unser Plan: das ACV bleibt das Zentrum des ECR und wird um umliegende Standorte ergänzt. Die Zukunft gehört dem hybriden Meeting; Virtual Reality wird zunehmend ein Thema. Wir arbeiten daran, Leute von zu Hause in den Kongress-Saal zu bekommen.“

DIE EUROPEAN SOCIETY OF RADIOLOGY (ESR) IN STICHWORTEN

Die Geschichte der European Society of Radiology (ESR) reicht bis ins Jahr 1962 zuruck, als die European Association of Radiology (EAR) gegrundet wurde. Funf Jahre spater, 1967, wurde von ihr der erste European Congress of Radiology (ECR) abgehalten, zunachst alle vier Jahre und das an jeweils einem anderen Austragungsort.

Mitte der 1980er Jahre wurde eine Reorganisation eingeleitet: der ECR sollte in einen Zweijahres-Rhythmus wechseln und ein fixer Veranstaltungsort gewahlt werden. Fur letzteren erhielt Wien den Zuschlag und in der Wiener Medizinischen Akademie, zu deren MitarbeiterInnen Peter Baierl gehorte, wurde ein Organisations-Team etabliert. Premiere fur den „neuen“ ECR war 1991 im Austria Center Vienna (ACV) mit 9.000 TeilnehmerInnen aus aller Welt. 1992 wurde Baierl mit der Geschaftsfuhrung betraut. Seither hat sich der ECR zu einem der grosten medizinischen Kongresse Europas und zum zweitgrosten Radiologie-Kongress der Welt entwickelt.

Aufgrund der rapiden technologischen Entwicklung in der Radiologie wurde 1999 entschieden, den ECR jahrlich auszutragen. 2005 kam es zur Fusion des ECR-Organisationsteams und der European Association of Radiology (EAR). Die daraus entstandene Gesellschaft ist die European Society of Radiology (ESR) mit Sitz in Wien, Geschaftsfuhrer ist Peter Baierl. An der Spitze des Board of Directors steht als Chairperson aktuell Bernd Hamm (Deutschland), Prasident ist Lorenzo E. Derchi (Italien). Der ESR gehoren aktuell 75.500 Mitglieder aus 157 Landern an. www.myESR.org

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