ANA
„Zukunftsreise China“

Zu Gast bei Ctrip, Alibaba & Co. „Hier ist das Bargeld abgeschafft“

Print-Ausgabe 29. November 2019

„Mobile Payment“ dominiert in China – das gilt auch bei StraßenverkäuferInnen

China ist uns in Sachen Digitalisierung weit voraus – Eindrücke und Learnings aus der „Zukunftsreise“ von Österreich Werbung und Außenwirtschaft Austria ins Reich der Mitte

Dass die Uhren in China anders ticken als hierzulande, lernten TeilnehmerInnen der „Zukunftsreise“ vergangenen Juni bei unzähligen Gelegenheiten – etwa beim vollautomatisierten Check-In im Hotel oder bei der Begegnung mit Straßen­musikantInnen, die anstelle von Bargeld Onlineüberweisungen via Smartphone erwarten. In China ist die Digitalisierung sehr weit fortgeschritten, quer durch alle Bevölkerungsschichten.

Dass die Uhren in China anders ticken, spürten aber auch die NichtteilnehmerInnen der Reise. Denn ursprünglich wollten Außen­wirtschaft Austria (AWO) und Österreich Werbung (ÖW) auch MedienvertreterInnen mit auf die Fact-Finding-Mission ins Reich der Mitte nehmen. Nun fiel der Trip aber justament mit dem 30. Jahrestag der gewalttätigen Niederschlagung der Proteste am Tian’anmen-Platz zusammen – oder wie man in China sagt, mit dem „Zwischenfall vom 4. Juni“. Für die Erteilung von Visa seitens der übervorsichtigen chinesischen Behörden erwies sich das als nicht förderlich, weshalb es für die Medien inklusive T.A.I. hieß: Koffer wieder auspacken. Spannende Erkenntnisse mussten also die restlichen Mitglieder der Reisegruppe sammeln. T.A.I. hat sich bei ihnen umgehört.

Digitaler Vorreiter

Chinas Marsch an die Digitalisierungs-Weltspitze ist beeindruckend: Das Land hat eines der aktivsten digitalen Investitions- und Start-up-Ökosysteme der Welt. Es verfügt über den weltgrößten E-Commerce-Markt – knapp 55 Prozent aller weltweiten Internet-­Verkäufe werden heute in China getätigt. Und China zählt bei Schlüsseltechnologien wie Virtual Reality (VR), autonomem Fahren, 3D-Druck, Robotik, Drohnen oder künstlicher Intelligenz (KI) zur Weltspitze.

Die großen Player sind dabei aber nicht Facebook, Google oder andere westliche Internet-Riesen. Das „chinesische Internet“ haben sich Firmen wie Tencent und Alibaba aufgeteilt – zwei Unternehmen, die in Europa lange Zeit nur InsiderInnen bekannt waren und die alleine über ihre marktbeherrschende Stellung in China zu den acht mächtigsten Internetfirmen der Welt gehören.

Alibaba ist, wenn man so will, das chinesische Pendant zu Amazon. Neben Online-Retail besteht das Geschäft auch aus digitaler Werbung, Streaming- und Cloud-Diensten, Auto-Navigation u.v.m. Tencent – mit 400 Mrd. US-Dollar Marktkapitalisierung Chinas größtes Internet-Unternehmen – steht neben diversen Onlinediensten und -games vor allem für WeChat – DAS soziale Netzwerk der Chinesen.

Alles in einer App

Emanuel Lehner-Telič ist Region Manager Asien der ÖW. Seit drei Jahren erlebt er die Dynamik und Bewegung live vor Ort in Peking mit. Der Reisegruppe aus Österreich hat er schon im Vorfeld einen essenziellen Tipp mit auf den Weg gegeben: WeChat auf dem Smartphone installieren. Denn ohne Chinas Social Network Nummer 1 geht im Land der Mitte längst nichts mehr.

„Zu dieser Erkenntnis gelangt man hier relativ schnell“, so Lehner-Telič. Nämlich, wenn man ohne die App plötzlich seine kleinen Einkäufe oder den Strom nicht mehr bezahlen kann oder kein Taxi bekommt. „Vor allem im privaten Bereich geht es nicht mehr ohne WeChat. Und auch beruflich tauscht man längst keine Visitenkarten mehr aus, sondern scannt seine persönlichen QR-Codes. Einladungen und berufliche Kommunikation erfolgen eigentlich nur mehr per WeChat“, erklärt der ÖW Region Manager.

WeChat ist eben eine Art Schweizer Taschenmesser unter den Social-­Media-­Apps: Die ChinesInnen vereinbaren damit ihre Arzttermine, planen und buchen Reisen – und zahlen ihre Rechnungen. Wie sehr sich das Smartphone als Bezahl­methode durchgesetzt hat, zeigen die nackten Zahlen: WeChat Pay hat gut 900 Millionen UserInnen, Alibabas Konkurrenzdienst Alipay nutzen rund 520 Millionen ChinesIn­nen. AWO-Manager Christoph Plank attestiert: „Hier scheint das Bargeld abgeschafft. EuropäerInnen zahlen noch mit Plastik, ChinesInnen ziehen ihr Mobiltelefon aus der Tasche“.

Mit WeChat zum Erfolg

Natürlich möchten ChinesInnen auch im Ausland auf ihre gewohnten Zahlungsmethoden zurückgreifen. Und so macht es aus Sicht von TouristikerInnen sehr viel Sinn, WeChat Pay und Alipay anzubieten. „Die Erleichterung des Bezahlprozesses führt fast automatisch zu höheren Umsätzen“, erklärt Emanuel Lehner-Telič – ein Grund, warum die ÖW das Thema schon seit geraumer Zeit forciert, einerseits in China, wo es gelungen ist, dass Österreich bei der internationalen Expansion der chinesischen Zahlungsanbieter Priorität erhält, andererseits in Österreich, wo die ÖW die Vorteile einer Implementierung von Alipay und WeChat Pay in der Branche bewirbt.

„Die chinesischen Zahlungs­methoden anzubieten, ist keine Hexerei“, betont Emanuel Lehner-Telič. Zahlungsdienst­leister wie Wirecard oder Bluecode fungieren als Schnittstelle zwischen österreichischen und chinesischen Bezahlsystemen und übernehmen den Zahlungsintegrations- und -abwicklungsprozess. First Mover in Österreich waren übrigens unter anderem die Swarovski Kristallwelten und das Hotel Sacher.

WeChat ist aber mehr als eine bequeme Bezahlmöglichkeit für Gäste, die bereits auf Urlaub in Österreich sind. Es geht auch darum, sich potenziellen BesucherInnen schon in China als attraktive Destination zu präsentieren. Schloss und Zoo Schönbrunn nutzen diese Vorteile bereits. Der vor kurzem gestartete Auftritt innerhalb von WeChat wurde gemeinsam mit der ÖW entwickelt. Wenn Gäste in Schönbrunn Fotos machen, auf WeChat taggen und teilen, generiert das jedes Mal einen Werbe­wert in China, bei Gästen, die man mit herkömmlichen Websites nie erreichen würde.

Mehr Gäste aus China

Die chinesische Wirtschaft wächst rasant. Immer mehr ChinesInnen können und wollen es sich leisten zu reisen – und immer mehr tun das nach Österreich. Die Ankünfte und Nächtigungen aus China haben sich hierzulande zwischen 2010 und 2018 mehr als verfünffacht; seit 2016 ist China in Österreich Nächtigungs-Millionär. Auch heuer setzt sich dieser positive Trend fort. Mit Stand August  2019 beträgt das Nächtigungsplus 5,2 Prozent, das Plus bei den Ankünften 5 Prozent.

Was suchen die chinesischen Gäste? „Österreich ist aufgrund der Kombination aus dem reichhaltigen kulturellen Erbe und seiner Naturkulisse im Fokus. Über allem steht nach wie vor Österreich als Land der Musik. Österreich stellt eine Gegenwelt zu den rasch wachsenden Megastädten Chinas dar“, weiß Lehner-Telič.

90 Prozent der chinesischen Auslandsreisen führen übrigens in asiatische Destinationen. Bei den europäischen Ländern dominieren Frankreich, gefolgt von Großbritannien, Italien, Deutschland und der Schweiz. Österreich folgt an sechster Stelle.

Kampfansage an Booking

Ein weiterer Stopp führte die Reisegruppe natürlich in die Zentrale der Company, bei der die Chinesen ihre Reisen buchen: Ctrip in Shanghai. Täglich werden hier 50 Terabyte an Daten von und für die reiselustigen KundInnen verarbeitet. 500 DatenspezialistInnen sind mit Analyse und Aufarbeitung der Datenströme beschäftigt.

Nach Umsätzen betrachtet (2018 4,5 Mrd. US-Dollar) war Ctrip im Vorjahr nach Booking und Expedia die drittgrößte OTA weltweit. Jeder vierte chinesische Reisende sucht Flüge und Unterkünfte über Ctrip. Und das Unternehmen expandiert laufend, auch durch öffentlichkeitswirksame Akquisitionen im Ausland: Vor drei Jahren übernahm Ctrip den Metasearcher Skyscanner; im heurigen Frühjahr stieg man mit 49 Prozent beim indischen Marktführer MakeMyTrip ein. Das erklärte Ziel: Die Nummer eins der Welt vor Booking zu werden.

Die ÖW kooperiert mit Ctrip seit mittlerweile drei Jahren. Die Ankünfte aus China in Österreich haben sich während dieser Zeit mehr als verdoppelt. Bei Ctrip erfuhr die Österreich-Delegation dann auch, dass es für Bundesländer und Regionen noch Luft nach oben gibt, was die Markenbekanntheit angeht. In China würden lediglich „Österreich“ und „Wien“ als Marken wahrgenommen, hieß es. Plus Swarovski, das aber nicht mit Österreich assoziiert würde.

Beim E-Commerce-Riesen

Haben Sie schon von Hang­zhou gehört? Wenn nicht, dann aber sicher von Alibaba, dessen Hauptsitz in der chinesischen Provinzmetropole liegt. Alibaba ist Chinas Hightech-Gigant in Sachen E-Commerce, Einzelhandel, KI und elektronische Zahlungsdienste. Rund 1 Mrd. (!) Bestellungen und Lieferungen pro Tag werden von Alibaba abgewickelt – immer öfter auch ins Ausland. Rund 100 österreichische Partner-Firmen sind derzeit auf Alibaba gelistet. „Europa ist noch nicht so auf dem Radar, weil Amazon so stark ist“, weiß Christoph Plank.

Artificial Intelligence wird von Alibaba u. a. dazu genützt, Produktfälschungen zu identifizieren. Man greife da rigoros durch, behaupten zumindest die ChinesInnen. Wird jemand beim Anbieten gefälschter Produkte erwischt, fliegt er von der Plattform.

Riesensprünge macht Alibaba bezüglich Mobile Payment: Alipay kommt zwar nur auf rund drei Fünftel Prozent der Nutzer-Zahlen von WeChat Pay, wickelt aber 54 Prozent der mobilen Zahlungen ab und liegt damit vor dem Konkurrenten.

Alibabas „Hotel der Zukunft“

290 Zimmer bietet das „Fly Zoo“, das vor einem Jahr eröffnet wurde und Teil der Expansion von Alibaba ins Tourismusgeschäft ist. Es ist auch ein Ausflug in eine Guest Experience, die auf Technik statt persönlichem Kontakt beruht. Der Check-In erfolgt über einen QR Code. Hinter der Bar versehen – ebenso wie  im Rest des Hauses – Roboter ihren Dienst. Die Kommentare der Zukunfts-Reisenden? Von „ein interessanter Gag“ bis „kein prägender Eindruck“. Im heimischen Tourismus setzt man eben doch auf den persönlichen Kontakt. Und nicht alles, was technisch möglich ist, muss auch gemacht werden.

China ist nicht nur Alibaba

Natürlich ging es im Rahmen der Zukunftsreise nicht nur zu den bis über die Grenzen Chinas hinaus bekannten Technikriesen. Besucht wurden etwa auch OCT Vision in Shenzhen, der Innovationsführer für digitale Entertainment-­Systeme wie 4D-Kino oder VR. Chinas Gaming-affine TouristInnen lieben Freizeitparks. Herkömmliche Achterbahnen sind dabei out. Angesagt sind virtuelle Achterbahnen mit voll rotierbaren Plattformen vor 360-Grad-Screens, Bahnen kombiniert mit VR-Erlebnissen, Lasertag-Action oder ähnliches.

Im Muji Hotel Shenzhen (79 Zimmer) erfuhr die Delegation, wie in China das Thema Nachhaltigkeit vermarktet wird: Viel (recyceltes Alt-) Holz auf Böden sowie an Wänden. Im angeschlossenen Muji-Market gibt es nachhaltige Produkte zu kaufen.

Bei PCITech erfuhr die Delegation, was sich mit KI und Big Data anstellen lässt. Ausgetüfteltes Tracken von Besucherströmen in Echtzeit dank Gesichtserkennung für zielgenaues Marketing zum Beispiel. Gemessen werden Nachfrage, Kaufverhalten, das wirtschaftliche Potential und die Struktur von z. B. Touristenströmen. Allerdings, so die übereinstimmende Meinung der Zukunftsreisenden, sind die von PCITech gebotenen KI- und Big-Data-Anwendungen „in Europa so nicht umsetzbar“.

Abschließende Eindrücke

Generell zeigten sich Chinas Unternehmen sehr selbstbewusst in ihren Aussagen und sehr gut über Österreich informiert. „Sie wissen mehr über Österreich als wir über China“, stellte Claudia Riebler, Leiterin der Unternehmenskommunikation der ÖW, fest. Alle Präsentationen waren „hoch professionell“, in allen Unternehmen hatte man „mit unbeschreiblich gut ausgebildeten MitarbeiterInnen zu tun, die teilweise auch in Eliteschulen in Europa waren“.

Ausgeprägt in China, so Christoph Plank, sei eine gewisse Ellbogen-­Mentalität: „Einem Rettungsauto wird nicht Platz gemacht.“ Ebenso intensiv ist das Fortschreiten der E-Mobilität: „Ob in Shenzhen oder in Shanghai, überall sind alle Mopeds elektrisch, die Taxis zu 80 Prozent.“ Motorlärm hat sich damit aus den Städten großteils verabschiedet: „100 Mopeds fahren bei einer Ampel los und man hört nur ein leises Surren.“

Um allen TouristikerInnen, die nicht mit nach China gereist sind, die wichtigsten auf der „Zukunftsreise“ gewonnenen Inhalte zu vermitteln, hat die ÖW Interviews mit den TeilnehmerInnen über ihre „Learnings für Österreich“ geführt. Zu finden sind diese unter http://to.austria.info/china 

Im Hotel „FlyZoo“ der Alibaba Group kümmern sich Roboter um die Wünsche der Gäste
Bild: © Alibaba Group

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