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Städte-Tourismus

Wiederbelebung des Städte-Tourismus: „Schweinebauch-Marketing“ und „Klinkenputzen“

T.A.I. 24 TOP News

Ein hochkarätig besetztes ZOOM-Meeting veranstalte am Montagabend die Berliner Sektion von SKÅL International. Das Thema: „Wiederbelebung des Städte-Tourismus - Pläne und Visionen“. Auf dem virtuellen Podium – also von ihren Städten aus zugeschaltet – waren die vier Städtetourismus-Chefs Burkhard Kieker (VisitBerlin), Geraldine Knudson (München Tourismus), Norbert Kettner (WienTourismus) und Martin Sturzenegger (Zürich Tourismus).

Unter den 140 TeilnehmerInnen aus der entferntesten Region zugeschaltet war Margaret Anne Grantham (Leiterin der Marketing- und Vertriebsagentur Brasilien, Centro de Turismo Alemão). Prominenteste Mitdiskutantin war Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus.

Die Statements der vier Städte-Manager waren erfrischend von positiver Sicht getragen, auch wenn keine/r davon ausgeht, dass das Vorkrisenniveau rasch wieder zu erreichen sei. Das Gegenteil ist der Fall und das Städte-Marketing steht vor komplett neuen Herausforderungen.

Berlin mit „Schweinebauch-Marketing“

„Wir konkurrieren nicht mehr mit New York und Tokio, sondern mit dem Hochschwarzwald und Usedom“, brachte es Burkhard Kieker, Geschäftsführer VisitBerlin sowie Berlin Tourismus & Kongress GmbH, auf den Punkt. Dafür wurde das gesamte Marketing umgestellt, wofür „mehre Millionen Euro“ von der Stadt zur Verfügung gestellt werden.

„Wir machen Schweinebauch-Marketing“, keine ausgefeilten auf Zielgruppen abgestimmte Kampagnen, „sondern brachial mit der Aussage: ‚Kommt nach Berlin‘.“ Das Motto lautet „Berlin. Grün und Blau“, der Slogan „Berlin. Auch das“. Damit sollen „überraschende Seiten der Stadt“ gezeigt werden. Berlin könne zwar „nicht den Schwarzwald toppen, aber zeigen, dass jeder, der in die Stadt kommt, etwas erleben kann.“

Von den zuletzt 34,1 Millionen Übernachtungen werden heuer bestenfalls 30% bis 40% bleiben, „wenn wir Glück haben.“ Hier spielt vor allem der deutsche Inlandsgast eine wichtige Rolle. Der wird durch die Aktion „Erlebe Deine Hauptstadt“ mit speziellen Packages angesprochen (3 Nächte inkl. Bahnanreise, Berlin-Wellcomeback Card).

Für Burkhard Kieker hat jede Krise auch ihre positiven Seiten. Jene für den Tourismus liege darin, dass die Politik „die Bedeutung unserer Branche erkannt hat.“

München mit „entspannter Urbanität“

In München kamen zuletzt 50% der Gäste aus dem Ausland, bei 50% lag auch der Anteil des Geschäftstourismus. Beides liegt derzeit flach, aber: „Wir sind nicht mehr im Krisenmodus, sondern im Modus, wo wir wieder vorwärts schauen“, so Geraldine Knudson, Leiterin München Tourismus. Sie betonte die Strategie Münchens“, nicht mit dem Preis runter zu gehen und nicht zu verramschen“, sondern auf hochwertige, vertiefende Angebote zu setzen. Das Motto lautet „Entspannte Urbanität.“

Konkret gehe es jetzt darum, Vertrauen aufzubauen. Hygiene und Sicherheit sind dabei wichtige Elemente. Angesprochen werden mit der Kampagne „Wiedersehen in München“ vor allem hochwertige Zielgruppen. Die werden nach Ansicht von Geraldine Knudson „schneller wieder reisen.“ Allgemein werde die Erholung aber nicht schnell gehen, „nicht vor 2023“ werde das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht.

Wien-Warnung vor Rabattschlacht

Wien war mit 83% Anteil ausländischer Gäste von allen vier Städten am internationalsten aufgestellt. Aktuell sind laut Norbert Kettner, Geschäftsführer des WienTourismus, nur 20% der Hotels geöffnet. Im Juli sollten es 50% sein. Fest steht für Norbert Kettner, dass das Jahr „wirtschaftlich nicht mehr zu retten ist.“ Wien hatte für heuer 13 Kongresse mit über 5.000 TeilnehmerInnen gebucht, die nun nicht stattfinden.  

Jetzt setzt die Stadt auf eine „modular ausbaubare Kampagne“, die derzeit in der DACH-Region läuft und dann „schnell (auf andere Märkte) ausgebaut werden kann.“ Ergänzt wird dies durch eine „Experience Edition“ der Vienna Card. Norbert Kettner rechnet aber nicht mit einer Erholung vor Mitte 2021. Das Niveau von 2019 dürfte nach derzeitiger Einschätzung frühestens 2024 erreicht werden.

Äußerst skeptisch beurteilt Kettner die aktuelle „Werbeschlacht“ um den Inlandsgast: „Die Destinationsspots im TV sehen alle sehr ähnlich aus.“ Die WienTourismus-Chef fürchtet eine Rabattschlacht, da es den Betrieben aktuell vor allem um Cash Flow geht. „Die Frage ist: wie schnell kommen wir da wieder raus.“

Langfristig ist Norbert Kettner aber überzeugt, dass „die Sehnsucht nach Live-Erlebnissen immer größer wird. Reisen ist eine Errungenschaft, die nicht mehr abgeschafft werden kann.“ Daran werde die Digitalisierung, die während der Corona-Krise ihre Wichtigkeit und ihre Stärken deutlich gezeigt hat, nichts ändern: „Sie kann das Live-Erlebnis nicht ersetzen.“

Allgemein bestehe ein Trend zu sinnstiftendem Reisen. Die vier Städte beim Skal-Meeting waren diesbezüglich „immer vorne dabei.“ Am Ende werde Wien, so die Überzeugung von Norbert Kettner, „internationaler sein, als wir es je waren.“

„Klinkenputzen“ in Zürich

Mit 71% ausländischen Gästen ist Zürich ebenfalls stark international ausgerichtet, mit einem entscheidenden Unterschied: mit den USA, vor Deutschland, UK, China und Indien liegen vier der fünf größten Quellmärkte in Übersee. Martin Sturzenegger, Direktor Zürich Tourismus: „Wir sind extrem auf Langstrecken-Flugverbindungen angewiesen.“

Derzeit sind drei Viertel aller Hotels geschlossen. Jene, die offen haben, arbeiten mit Belegungszahlen im einstelligen Bereich. Und am Flughafen sehe es von den Besucherfrequenzen aus, „wie nach einem atomaren Schlag.“

Für Martin Sturzenegger werde das „M“ der DMOs (Destination Marketing Organisation), also das „Marketing“, wieder an Kompetenz gewinnen. Die letzten Jahre waren eher von „margen-Optimierung mit feinen Botschaften“ geprägt. Jetzt gehe es darum, „wer am schnellsten zurückkommt. Wir müssen wieder Klinkenputzen.“

Digitales Ansprechen der Kunden werde konzentrierter erfolgen, als zuletzt: „1 + digital = 3“ laute die neue Formel, denn „Geld ist nicht mehr so da, wie für drei, vier Jahren.“ Es gehe um den Mehrwert.

Dies betreffe auch die Wertschöpfungsketten. Hier müsse geprüft werden, „wo verdiene ich Geld und wo keines.“ In den letzten Jahren war man im Unterschied dazu vorrangig damit beschäftigt, wie man am besten die Kundenströme lenkt.  

Ganz wichtig in Zukunft sei das Stammkunden-Thema: „Da sind wir in den Destinationen noch schwach auf der Brust aufgestellt. Das ist jetzt eine riesen Chance.“ Für die Post-Corona Werbung haben Kanton und Stadt Zürich eine Sonderfinanzierung in Höhe von rund 12 Mio. CHF zur Verfügung. Diese wolle man vorrangig dazu einsetzen, den „früheren Einheitsbrei zu unterlaufen.“ Sahen sich Städte zuletzt mit dem Schlagwort „Overtourism“ konfrontiert, wird Zürich dies in seiner Werbung nun „pointiert umkehren.“ Bevölkerte Berggipfel versus leere Stadtzentren.

Hartmut Pirl
09. 6. 2020
Skal Meeting
Toll, dass alle so zielführend mitgemacht haben!

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