ANA
T.A.I. vor Ort in Tschechien

Puppenspiel & Altkladruber: Tschechien als UNESCO-Großmacht

Print-Ausgabe 18. November 2022

Bericht einer eindrucksvollen Tour durch die Regionen Vysočina (Böhmisch-­Mährische Höhe) & Pardubice (Ostböhmen) auf den Spuren von UNESCO-Weltkulturerbestätten

Tschechien gehört – im Verhältnis zur Fläche und Einwohnerzahl – zu den Ländern mit der höchsten Konzentration an Welterbestätten der UNESCO. Ganze 16 davon (15 Weltkulturerbestätten, ein Weltnaturerbe) sowie 7 immaterielle Kulturerben) kann die Republik aufweisen, alle im Umkreis von knapp 300 km gelegen. Jene, die in den Regionen Vysočina (Böhmisch-­Mährische Höhe) und Pardubice (Ostböhmen) beheimatet sind, konnte T.A.I. auf einer von CzechTourism organisierten Reise Anfang Oktober besuchen.

Basilika und jüdisches Viertel

Den Anfang machte Třebíč. Die dort gelegene romanisch-gotische St. Proskopius Basilika der rund 200 km nördlich von Wien und 60 km westlich von Brünn im Böhmisch-Mährischen Hochland gelegenen Stadt wurde 2003 in die Liste der UNESCO Weltkulturerbestätten aufgenommen. Anfangs der Jungfrau Maria und später dem Heiligen Prokop gewidmet (er lebte um 1000 n.Chr., gründete das Kloster Sázava und gehört zu den böhmischen Landespatronen), war die im 13. Jahrhundert errichtete Kirche Teil eines Benediktiner Klosters. Sie gilt heute, trotz zwischenzeitlicher Zerstörungen und Umbauten, als ein Meisterwerk mittelalterlicher Architektur.

Nicht nur die Basilika, sondern ein ganzer Stadtteil von Třebíč gehört zu den UNESCO-Welterbestätten. Verantwortlich dafür sind das jüdische Viertel und der jüdische Friedhof. Třebíč galt früher als eines der Zentren jüdischer Kultur, deren älteste Spuren auf das 14. Jahrhundert zurückgehen, als Christen und Juden gemeinsam in der Stadt lebten. Das Ghetto Zámostí („Hinter der Brücke“) entstand am linken Ufer des Flusses Jihlava, während die Christen auf der rechten Seite siedelten. Anfang des 19. Jahrhunderts bestand rund ein Viertel der Stadtbevölkerung aus Jüd*innen. Erst nach 1875 entfiel die Aufenthaltsbeschränkung. Viele von ihnen verließen daraufhin die Stadt, das ehemalige Judenviertel entwickelte sich zu einem Armenviertel. Die Terrorherrschaft der Nazis überlebte nur eine Handvoll Menschen jüdischer Herkunft, die meisten wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Heute sind noch 120 Gebäude des jüdischen Viertels erhalten, darunter zwei Synagogen: Die „Hintere Synagoge“ wurde um 1669 erbaut und mit barocker Malerei aus dem 18. Jahrhundert verziert. Der jüdische Friedhof wiederum stammt aus den 20er-Jahren des 17. Jahrhunderts. Er ist mit ca. 12.000 m² einer der größten in Tschechien.

Wallfahrtskirche und Schlossmuseum

Weiter ging’s ins rund 50 km nördlich von Třebíč gelegene Žďár nad Sázavou (Saar): Auf dem Grünen Berg kann dort die Wallfahrtskirche des Hl. Johannes von Nepomuk besichtigt werden, die seit 1994 zum UNESCO-Welterbe zählt. Nepomuk war in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Prager Generalvikar und wurde der Legende nach zum Märtyrer, weil er dem damaligen König Wenzel verweigerte, das Beichtgeheimnis der Königin zu brechen. Darum wurde er von der Karlsbrücke in die Moldau gestürzt und ertränkt.

Seine im Wasser treibende Leiche soll der Legende nach von fünf Flammen bzw. „hellglänzenden Wunderzeichen“ umsäumt gewesen sein. In der vom Architekten Johann Blasius Santini-Aichl zwischen 1719 und 1722 erbauten Wallfahrtskirche spielt die Zahl 5 deshalb auch eine große Rolle. So wurde sie z. B. auf dem Grundriss eines fünfzackigen Sternes errichtet. Santini-­Aichl verband beim Bau gotische und barocke Elemente, weshalb der Stil auch als barocke Gotik bezeichnet wird. Die Kirche wurde im Vorfeld zum heuer stattfindenden 300 Jahre-Jubiläum ihrer Einweihung renoviert und zeigt sich seither in ihrer ganzen Pracht.

Gleich nebenan gewährt das „Museum der neuen Generation“ im Schloss von Žďár nad Sázavou Einblicke in die 800-jährige Geschichte des Anwesens, das 1252 als Zisterzienserkloster gegründet wurde. Ende des 17. Jahrhunderts richtete ein Großbrand verheerende Schäden an, weshalb Johann Blasius Santini-Aichl und weitere Künstler mit der Sanierung beauftragt wurden. Im Zuge der Josephinischen Reformen wurde das Kloster aufgelöst und sukzessive in ein Schloss umgebaut. 1992 wurde das Schloss dem Adelsgeschlecht Kinský restituiert, das sich seit damals um das Anwesen kümmert. Dank eines Audioführers werden Besucher*innen des Museums durch multimediale Elemente ins Geschehen der letzten 800 Jahre miteinbezogen.

Faschingsumzüge im Freilichtmuseum

Weitere rund 30 km nördlich erleben Gäste in der Region um Hlinsko die seit 2010 zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe zählenden, stets sechs Wochen vor Ostern stattfindenden Faschingsumzüge im Freilichtmuseum Veselý Kopec. Charakteristik und Aussehen der Masken sind seit 100 Jahren unverändert geblieben. Es gibt schöne und hässliche, jede von ihnen hat eine besondere Bedeutung und nimmt im Festumzug einen ganz bestimmten Platz ein. Die Männer ziehen von Haus zu Haus, geben ein Ständchen, wünschen Glück sowie Gesundheit und erhalten dafür Faschingskrapfen und Schnaps. Zum Abschluss findet ein großes altböhmisches Schlachtfest statt.

Das Freilichtmuseum Veselý Kopec ist Schauplatz für dieses und noch viele andere Spektakel. Es verfügt über eine Sammlung von über 30 Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert. Die überwiegend holzgezimmerten Gehöfte der Kleinbauern aus der Region Vysočina dokumentieren die Lebensweise der einzelnen Familien und ihre soziale Stellung. Bei einem beschaulichen Rundgang durch das malerische Dorf können auch eine Ölmühle und die Ausstattung einer Gerberei besichtigt werden.

Sgraffito-Verputz und Smetana-­Festival

Etwa 50 km östlich befindet sich das nächste UNESCO-Weltkultur­erbe: das Renaissanceschloss in Litomyšl. Der einstige repräsentative Herrschaftssitz des Adelsgeschlechts der Pernsteins blieb bis heute praktisch unverändert erhalten. Im 16. Jahrhundert errichtet besticht das Schloss besonders durch seinen dem Stuckhandwerk zugerechneten Sgraffito-Verputz an den Fassaden: Keines der 8.000 Sgraffitis gleicht dem anderem. Der Innenhof des Schlosses ist an drei Seiten von einem dreigeschossigen Arkadengang umgeben und die Nordwand mit Chiaroscuro-Verzierungen (Malereitechnik, die starke Licht-Schatten-Effekte simuliert) antiker und biblischer Szenen geschmückt.

Sehenswert ist ebenfalls das 1798 eröffnete barocke Schlosstheater. Es zählt zu den ältesten noch erhaltenen Theatern Mitteleuropas und wartet mit Original-Bühnenbildern und -Dekorationen auf. Im Schlosskeller erwartet Besucher*innen dann ein Weinkeller mit Verkostungsmöglichkeit, sowie eine Dauerausstellung mit den beeindruckenden Statuen des tschechischen Bildhauers Olbram Zoubek.

Die Stadt Litomyšl selbst war Geburtsort des Komponisten Bedřich Smetana (1824–1884), dessen bekanntestes Werk „Die Moldau“ 10 Jahre vor seinem Tod entstand, als Smetana bereits vollständig ertaubt war. Ihm gewidmet ist das jährliche Opernfestival „Smetanová Litomyšl“, das zu einem europaweiten Highlight unter den Klassik-Musikveranstaltungen zählt. Die Stadt darf sich außerdem eines der längsten Marktplätze des Landes rühmen: Der 500 Meter lange Smetana Platz ist von prächtigen Stadthäusern umgeben und wird von schattigen Laubengängen umrahmt.

Puppenspiel & Puppentheater

Zum immateriellen Kulturerbe zählt seit 2016 das tschechische Puppenspiel. Es kann auf eine mehrere Jahrhunderte zurückreichende Tradition zurückblicken, was die UNESCO dahingehend würdigte, indem sie diese Tradition unter ihren Schutz stellte. Über die Geschichte des Marionettentheaters in Tschechien und der ganzen Welt informiert das Marionettenmuseum im ostböhmischen Chrudim. Den Grundstein dafür bildete die Privatsammlung von Jan Malík, einer der noch heute aktiven führenden Persönlichkeiten der tschechischen Puppenspielkultur.

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts – die Tradition reicht aber bis in das frühe Barock – reisten die auf Tschechisch (nicht Deutsch!) spielenden Marionettenspieler*innen von Stadt zu Stadt. Schrittweise entstand dadurch die Tradition von Puppenspieler-Familien, in denen das Betreiben des Puppentheaters als Handwerk weitervererbt wurde. Drehten sich die Aufführungen einst um Volkstraditionen, ist das Puppentheater heutzutage beinahe nur noch auf Kinder als Publikum ausgerichtet und hat seinen Platz auch im Fernsehprogramm gefunden.

Das Museum verfügt über 300 Puppen in der fixen Ausstellung, 250 Puppen in temporären Schauen sowie 11.000 Exponate im „Lager“, darunter auch Schattentheater-­Figuren aus Indonesien und eine Auswahl an Puppen aus Indien, Japan, China sowie Vietnam. Besucher*innen dürfen ihr Können an den Fäden ausprobieren und erhalten dabei Tipps von Profis.

Audienz bei den Altkladrubern

Zu den UNESCO-Welterbestätten zählt seit 2019 das Nationalgestüt Kladruby nad Labem, knapp 100 km östlich von Prag. 1579 wurde es vom Habsburger Kaiser Rudolf II zum Hofgestüt ernannt. Seitdem werden hier die „Altkladruber“ gezüchtet und trainiert, eine weltweit einzigartige Pferderasse. Die Schimmel wurden und werden in Schweden und Dänemark immer noch als Zeremonien-Pferde bei Hofe eingesetzt sowie in die ganze Welt verkauft. Ursprünglich als Wagenpferd gezüchtet, wird der Altkladruber heutzutage auch vermehrt als Reitpferd eingesetzt.

Neben Besichtigungstouren, Pferdekutschenfahrten und Ausstellungen organisiert das Gestüt jedes Jahr mehrere große Festveranstaltungen, bei denen die Altkladruber Pferde ihren Auftritt haben. Zu den bekanntesten darunter zählt das internationale Trabrennen um den Rudolph-Pokal.

Lebkuchen und Galopprennen

Den süßen Abschluss im ausgezeichneten Reigen der von CzechTourism organisierten Weltkulturerbe-Tour bildete ein Besuch in einer Lebkuchenmanufaktur in Pardubice. Der in der 30 km östlich vom Nationalgestüt Kladruby nad Labem gelegenen Stadt erzeugte Lebkuchen verfügt zwar (noch) über keine UNESCO-Auszeichnung, aber erhielt von der Europäischen Kommission das Recht auf die geschützte geographische Bezeichnung. Pardubitzer Lebkuchenbäcker setzen auf ganz besondere Zutaten, die streng geheim sind. Das Unternehmen von Pavel Janoš etwa knüpft an eine mehr als hundertjährige Familientradition an. Er selbst ist seit vielen Jahren als bekannter und ausgezeichneter Lebkuchenbäcker und -designer tätig. Neben den traditionellen künstlerisch verzierten Lebkuchen finden sich Lebkuchenhäuser, Stadtwappen, Firmenlogos u.v.m im Sortiment. Mit seinem Team schuf Pavel Janoš schon Geschenke und Kunstwerke u. a. für die britische Prinzessin Anne sowie Papst Benedikt XVI. In einem kleinen Geschäft in Pardubice gab der CzechTourism-Gruppe ein Sohn Einblicke in das Kunstwerk und die Kreationen der Lebkuchenbäckerei.

Abgesehen vom Süßen ist Pardubice auch aufgrund seiner Altstadt mit dem von farbenfrohen Renaissance­häusern umgebenen Hauptplatz, dem beeindruckenden Grünen Tor und dem Renaissanceschloss einen Besuch wert. Hier findet jährlich das berüchtigte Pferderennen Velká Pardubická (Pardubitzer Steeplechase) statt, das als härtestes Galopprennen auf dem europäischen Kontinent gilt.

Nachhaltig zum Weltkulturerbe

Die Bilanz der Reise kann sich also sehen lassen: Innerhalb weniger Tage war es möglich, einen Teil der UNESCO-Weltkulturerbestätten Tschechiens kennenzulernen, mit außergewöhnlichen Orten, Bräuchen und Traditionen.

Ab 11. Dezember 2022 wird es übrigens eine neue tägliche ÖBB Zug-Verbindung vom Wien Franz-Josefs-­Bahnhof nach Prag sowie retour geben, an Wochenenden sind sogar je zwei Kurse geplant. Dadurch wird die Entdeckung weiterer UNESCO-Kulturerben noch einfacher, wie etwa die seit 1992 mit diesem Status ausgezeichnete Prager Innenstadt oder der 10 km nördlich von Prag gelegene Landschaftspark von Průhonice, der 2010 in die Weltkulturerbe-Liste aufgenommen wurde. Seine 200 ha große Fläche gehört zum gleichnamigen Neorenaissance-Schloss, umfasst einen botanischen Garten mit umfangreicher Kräuter-Sammlung und zählt zu den größten Landschaftsparks Europas. Prädikat: Absolut sehenswert. www.visitczechrepublic.com

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