ANA
Interview mit Klára Wirth

Post-Corona-Ära bietet Potential für gemeinsame Produktentwicklung

Print-Ausgabe 18. Juni 2021

„Die Pandemie wird den Effekt haben, dass wir uns der Werte des anderen Landes bewusst werden“, so Klára Wirth


 

Als Nachbarländer, die beide auf Nachhaltigkeit setzen, öffnen sich für Österreich und Ungarn große Chancen – die neue Visit Hungary-Chefin in Wien Klára Wirth will sie nützen

Eine Touristikerin durch und durch ist Klára Wirth, die im Frühjahr 2021 bei Visit Hungary (Tochtergesellschaft der Ungarischen Tourismusagentur Nemzeti Turisztikai Ügynökség) die Aufgabe des Regional Head of Business Development Austria übernommen hat. Nach ihrem Tourismus & Management-Studium in Budapest startete Klára Wirth im Buda­pester 4-Sterne Mamaison Hotel Andrássy, um danach einen Master in Economics and Finance zu absolvieren. Seither war sie bei der DMC (Destination Management Company) Tumlare (seit 2017 Joint Venture-Partner von Kuoni Global Travel Services) tätig, zuletzt als Senior Hotel Procurement Managerin. Im T.A.I.-Interview ging Klára Wirth nicht nur auf die neue Tourismusentwicklungsstrategie Ungarns ein, sondern sprach auch über das Potential, das in einer verstärkten Kooperation zwischen Ungarn und Österreich liegt.

T.A.I.: Sie haben Ihr Studium in Budapest in deutscher Sprache absolviert und aufgrund Ihrer langjährigen Tätigkeit bei Kuoni Tumlare große Erfahrungen mit dem Quellmarkt Österreich. Können Sie uns ein wenig über Ihren beruflichen Werdegang erzählen?

Klára Wirth: „Nach dem Studium mit einem kurzen Umweg in der Hotellerie habe ich meine Karriere bei der JTB (Japan Travel Bureau) Gruppe begonnen, die damals noch Muttergesellschaft des Wholesaler-­Reiseveranstalters Tumlare, später Kuoni Tumlare, war. Als Hoteleinkäuferin war ich für unterschiedliche Länder Mittelosteuropas zuständig. Mit dem Ausbau des DMC-Networks 2013 bin ich nach Wien gezogen und habe meine Tätigkeit in Österreich fortgesetzt. Sechs Jahre später wurde mir die Leitung des Hoteleinkaufteams der V4-Länder (Visegrad-Gruppe mit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) sowie Österreich anvertraut. Als Reiseveranstalter habe ich erlebt, wie sich die Angebote von Österreich und Ungarn ergänzen und wie die Region zunehmend von Drittmärkten nachgefragt wird. Ich sehe hier in der Post-Corona-Zeit weiteres Potential für gemeinsame Produktentwicklung. Ich hoffe, dass die touristischen Beziehungen zwischen beiden Ländern noch intensiver und enger werden können.“

T.A.I.: Generell ist im Zuge der Corona-Pandemie die Bedeutung der Nachbarländer als potenzielle Quellmärkte deutlich gestiegen. Hat Visit Hungary seine Strategie entsprechend neu ausgerichtet?

Klára Wirth: „In der Welt des Post-Corona-Tourismus stellen wir die Hypothese auf, dass Nachhaltigkeit, Gesundheitsbewusstsein, Authentizität und Lokalität aufgewertet werden. In unserer engeren und weiteren Umgebung, also in einem Radius von etwa 400 bis 500 Kilometern, wird die Zahl der touristischen Interaktionen steigen. Die Donauregion zählt im Großen und Ganzen dazu. Es wird nötig sein, einen harmonischen Erlebnisraum zu gestalten, wobei es zielführend ist, zuerst in unserer unmittelbaren Umgebung zu beginnen und die Best-Practice-Beispiele sukzessive auf die erweiterte Umgebung auszudehnen.“

T.A.I.: Wie schätzen Sie das Potential des Quellmarktes Österreich für Ungarn ein?

Klára Wirth: „In Österreich wird der größte ROI (Return on Investment) erwartet. Es gibt riesige stille Reserven, vor allem in Ostungarn und in der Nutzung der natürlichen Heilfaktoren. Ungarn und seine Hauptstadt sind eine Kurort-Macht. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird Budapest, wo man nicht nur in das pulsierende Kulturleben, sondern auch in Heilwasser eintauchen kann, für ÖsterreicherInnen immer attraktiver.“

T.A.I.: Sie hatten bereits Kontakt mit der neuen ÖRV-Präsidentin Eva Buzzi (ÖBB Rail Tours). Welche Möglichkeiten sehen Sie bezüglich Vermarktung und Vertrieb von Ungarn über Reisebüros und Bus- sowie Bahnreiseveranstalter?

Klára Wirth: „Wir freuen uns auf eine fruchtbare Zusammenarbeit. Alles, was in Richtung Nachhaltigkeit geht, ist ein touristischer Megatrend. Die Produktkombinationen Fahrrad+Bahn und Bahn+Schiff waren schon in der Vergangenheit gefragt und in diesem Segment haben sich unsere Möglichkeiten vervielfacht. Wir freuen uns, dass der Twin City Liner, der zwischen Wien und Bratislava verkehrt, in diesem Jahr mehrere Themenfahrten nach Ungarn anbietet. Die Produkt­entwicklung auf Basis eines nachhaltigen Transportmittels hat großes Potential. Norbert Kettner vom WienTourismus bestätigte dies auf der jüngsten Tourismus­konferenz Restart Budapest.“

T.A.I.: Im Herbst 2015 hielt der ÖRV seinen Herbstkongress in Debrecen ab. Haben sich dadurch – wie damals erhofft – die ÖsterreicherInnen über West­ungarn/Budapest hinaus stärker in den Osten Ungarns vorgewagt?

Klára Wirth: „Ja, in einem Jahr haben wir in diesem Bereich ein zweistelliges Wachstum erreicht, was zeigt, dass es viel Luft nach oben gibt. Ich stehe in regem Austausch mit meinen VorgängerInnen Kinga Farkas und Balázs Kovács, so kann ich leicht auf die jahrzehntelangen guten Beziehungen mit unseren gemeinsamen Tourismus­partnern bauen und zurückgreifen.“

T.A.I.: Die Ungarische Regierung hat Ende Mai die neue nationale Tourismusentwicklungsstrategie der Tourismusagentur Nemzeti Turisztikai Ügynökség genehmigt. Welche Ziele verfolgt diese Strategie und welche Aufgaben kommen Ihnen dabei zu?

Klára Wirth: „Gesundheitstouris­mus, Kulturtourismus und Geschäftstourismus werden in der erneuerten Strategie groß geschrieben. Meine Aufgabe ist in erster Linie die Stärkung der B2B-Beziehungen. Mein persönliches Bestreben ist es, mehr Gewicht auf die Produktentwicklung im Einklang mit Nachhaltigkeitstrends zu legen. Ich möchte auch auf das internationale Kontaktnetz aufbauen, z. B. auf das Wissen und die Kontakte im Bereich des Religions- und Kulturtourismus, die im Rahmen der ‚Straße der Kaiser und Könige‘ aufgebaut wurden. Ich habe bereits ein ausführliches und vielversprechendes Gespräch mit Georg Steiner, dem Tourismusdirektor von Linz, geführt.“

T.A.I.: Womit rechnen Sie im Sommer 2021 beim Aufkommen aus Österreich und was erwarten Sie sich längerfristig?

Klára Wirth: „Ungarn und Österreich kommen sich wieder näher. Die Corona-Pandemie wird den positiven Effekt haben, dass wir uns der Werte und verborgenen Schätze des anderen Lands noch deutlich bewusster werden. Ich schätze, dass sich die derzeitigen Einnahmen aus dem österreichischen Einreiseverkehr in fünf Jahren verdoppeln könnten. Hévíz, Sárvár und Bük werden dank den neuen speziellen ‚Long Covid‘-Behandlungen gefragt sein und Budapest wird die neue Liebe vieler ÖsterreicherInnen sein. Hier erwarten wir in den nächsten Jahren eine Vervielfachung der Besucherzahlen. Ostungarn wird das neue Fernreiseziel sein, das österreichischen Reisenden einerseits die Sicherheit der Nähe, andererseits den Zauber des Unbekannten bietet.“

Balázs Kovács
21. 6. 2021
New Tourism
Ein sehr guter Arikel, Botschaft gut auf den Punkt gebracht :-) Viel Erfolg dabei!

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