Print-Ausgabe 12. Juli 2024
Bei einem Spaziergang durch die Tschechische Hauptstadt kommen auch Architekturbegeisterte voll auf ihre Kosten – Geboten wird ein Spiegel verschiedenster Epochen
Eine Auswahl an architektonischen Highlights der „Goldenen Stadt“ an der Moldau konnte vor kurzem T.A.I. auf Einladung des Czech Tourism im Rahmen einer Pressereise unter Augenschein nehmen. Als besonders beeindruckend erwiesen sich dabei die vielen unterschiedlichen Bauten aus dem 20. Jahrhundert: Vom Jugendstil (Kunstepoche zwischen 1895 und 1915), über den (Rondo-)Kubismus (ca. 1905 bis 1939) bis hin zum Brutalismus (Baustil der Moderne, ab 1950).
Prags größte Ansammlung an Jugendstilgebäuden finden Besucher:innen im jüdischen Viertel, wo einst ganze Straßenzüge im „Art Nouveau“, wie diese kunstgeschichtliche Epoche an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch gerne genannt wird, gestaltet wurden. Die Prager Judenstadt entstand im 13. Jahrhundert und war ein Ghetto, in dem Juden bis 1848 getrennt von der übrigen Bevölkerung leben mussten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das alte Viertel großteils abgerissen (nur wenige Synagogen und der älteste jüdische Friedhof Europas blieben erhalten) und durch neue prachtvolle Jugendstil-Gebäude mit ornamentalen Fassaden ersetzt. Aufgrund seiner Größe und Unversehrtheit zu den bedeutendsten Jugendstilgebäuden der Welt zählt das 1912 fertig gestellte Gemeindehaus am Platz der Republik. Abgesehen von der wunderschönen Fassade sind auch die Innenräume, wie das Kaffeehaus – mit dem bezeichnenden Namen Art Nouveau Café –, der Oberbürgermeister-Salon und der Smetana-Konzertsaal unvergleichlich mit dem Interieur des Jugendstils ausgestattet.
Die Villa Bílek in der Nähe des Königlichen Gartens wurde in den Jahren 1910/11 von František Bílek, einem der bedeutendsten tschechischen Künstler in der Zeit des Symbolismus und des Jugendstils, nach seinen eigenen Plänen erbaut. Bílek der die Villa selbst bewohnte und als Atelier genutzt hatte, war davon überzeugt, dass eine Übereinstimmung zwischen dem menschlichen, künstlerischen Schaffen und den Prozessen in der Natur existiere. Seit den 1960er Jahren dient die Villa als Ausstellungsort. Zu sehen ist die Originaleinrichtung des Hauses, das Atelier, Bílek‘s Hauptwerke sowie langfristige Ausstellungen.
Das beste und älteste Beispiel des Kubismus ist das „Haus Zur Schwarzen Muttergottes“ im Zentrum von Prag. Nach den Entwürfen des Architekten Josef Gočár wurde es 1912 anstelle eines abgerissenen Barockhauses erbaut, von dem es den Namen und das Hauszeichen übernahm: Die Barockstatue der schwarzen Madonna mit Kind, die sich an der Ecke in Höhe des 1. Stockwerks hinter goldenen Gittern befindet. Nicht nur der kubistische Grundriss und die Fassade des Hauses sind außergewöhnlich, sondern auch das Eindringen des Kubismus in die Innenbereiche, in denen sich das einzige kubistische Kaffeehaus der Welt findet.
In den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts entstand der Rondo-Kubismus (auch tschechisches Art Deco genannt). Dabei handelt es sich um eine lokale Sonderform des Kubismus in der Architektur, bei dem die ursprünglichen Kanten des Kubismus mit ornamentreichen und folkloristischen Elementen vereint wurden. Die Bank der tschechoslowakischen Legionen („Legiobanka“), wurde zum Prototyp dafür. Grandiose Beispiele des Rondokubismus sind auch das Palais Adria und der Radiopalast (Radiopalác) im zweiten Bezirk – der vor allem mit seinen repräsentativen und eleganten Rondo-Kubistischen Räumlichkeiten hervorsticht.
Beinahe an jeder Ecke in Prag stoßen Besucher:innen auf Bauwerke des Funktionalismus (eine weitere wichtige Strömung in der Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts), der in vielen Bereichen Anwendung fand, von privaten und Residenzbauten bis hin zur Kirchenarchitektur. Eines der bedeutendsten funktionalistischen Gebäude in Prag ist die Villa Müller im Westen der Stadt. Optisch ein Würfel, dessen Fassade nur durch gelbe Fensterrahmen aufgehellt wird, war es zur Zeit seiner Entstehung (1928-1930) ein schockierendes und schwer akzeptierbares Projekt. Urheber des Entwurfs war der Architekt Adolf Loos, der hier sein revolutionäres Konzept vorstellte, den sogenannten Raumplan: Eine räumliche Anordnung des Hauses und in der Höhe je nach deren Funktion gegliederte Zimmer. Diesen verwendete Loos auch in seinem letzten Bau, der Villa Winternitz, die er im Auftrag des jüdischen Anwalts Josef Winternitz im Prager Stadtteil Smíchov errichtete. Im Gegensatz zur Villa Müller ist die alte Einrichtung hier leider nicht erhalten geblieben. Im Rahmen der Restitution ging die Villa an die Nachkommen der einstigen Besitzer zurück, diesen gelang es, das Gebäude wieder in seine ursprüngliche Form umzubauen. Seit 2017 steht die Villa Winternitz der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Zu finden sind auch Gebäude des Brutalismus. Die architektonische Stilrichtung der 1960er und 1970er Jahre zeigt sich häufig in großen Trutzburgen aus Beton, die oft mit dem ungeliebten Kommunismus verbunden oder einfach als hässlich verschrien waren. Die urologische Klinik sowie das Hotel Intercontinental Prague, welches im Moment umgebaut wird und heuer als Fairmont Golden Prague wiedereröffnet wird, repräsentieren den klassischen brutalistischen Stil in Prag.
Fazit: Prag zählt für alle jene, die Architektur schätzen und lieben, wohl zu einer der interessantesten Hauptstädte Europas.
Erstellt am: 11. Juli 2024
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