ANA
Zollfreie Gedanken

Englische Impressionen

Print-Ausgabe 15. Juli 2016

Die Reise durch Südengland hat zwar schon vor zwei Wochen stattgefunden, aber in der Nachbetrachtung tritt manches noch viel klarer hervor als in den bewegten Tagen rund um den Brexit: Im Kapitelraum der ehrwürdigen Kathedrale von Salisbury ist das Original der Magna Charta zu sehen. Das Dokument aus 1215, welches als Beginn des europäischen Rechtsstaates gelten kann. Draußen vor der Tür findet im krassen Gegensatz dazu vor einer fassungslosen Öffentlichkeit die geradezu obszöne Selbstentlarvung jener Politiker statt, die mit hetzerischen Lügen jene Stimmung angefacht haben, vor deren Folgen sie sich nun feige aus dem Staub machen. An diesen Folgen wird hauptsächlich die Jugend zu tragen haben, die ihre Pro-EU-Einstellung leider nur auf Facebook und Twitter und nicht per Stimmzettel zum Ausdruck gebracht hat. Für die hierzulande am 2. Oktober anstehende Wahl kann daraus nur eines abgeleitet werden: wer für oder gegen eine bestimmte Politik ist, muss das auch in der Wahlzelle kundtun.

Auf der Fahrt durch die liebliche Heckenlandschaft von Südengland und Cornwall ist von politischer Unruhe nichts zu bemerken. Die Ortschaften sehen alle so aus, als könnte gerade Inspector Barnaby um die Ecke biegen. Wenn hier etwas aufregt, dann der unrühmliche Abschied der englischen Fußballnationalmannschaft aus Frankreich. Was im Übrigen die Verbindung von Film und Tourismus betrifft, so setzt Großbritannien wie kein anderes Land auf die Anziehungskraft der vielen im Lande gedrehten Streifen. Es muss sich dabei nicht immer nur um den unverwüstlichen König Artus und seine Tafelrunde drehen. Auch der schlossähnliche Landsitz der Familie Prideaux, in dem die Rosamunde Pilcher Geschichten spielen, profitiert von den Drehgenehmigungen und vor allem von vielen deutschsprachigen Touristen. Sie kennen aus dem Fernsehen die grandiose Landschaft Cornwalls und ihre – zumindest im Film – hauptsächlich mit Reiten und Teetrinken beschäftigten Bewohner.

Wie Besichtigungen einer historisch sensiblen Sehenswürdigkeit perfekt organisiert werden, kann der interessierte Touristiker in Stonehenge studieren. Der Ehrfurcht gebietende Steinkreis, vor 4.000 Jahren aufgeschichtet, steht in einsamer Erhabenheit in der Landschaft. Er kann umrundet, aber nicht betreten werden. Das bestens ausgebaute Visitor-Center und die Parkplätze sind weit weg und unsichtbar, den Transport besorgt ein Shuttlebus oder die Touristen wandern einfach einen Kilometer und stimmen sich so auf das Kommende ein.

Um den englischen Tourismus braucht sich bei so viel Engagement und Professionalität auch in Zeiten des Brexit niemand zu sorgen. Der sinkende Wechselkurs des Pfundes macht es sogar leichter, jenes Land zu besuchen, das immer Teil Europas bleiben wird, egal, wo es momentan gerade Mitglied ist oder nicht.

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