ANA
Zollfreie Gedanken

Edelfreiwillige

Print-Ausgabe 20. Oktober 2017

Zwischen den beiden Nachbarorten Dürnkrut und Jedenspeigen im nordöstlichen Weinviertel steht ein sechs Meter hoher Gedenkstein. Der darauf galoppierende Panzerreiter erinnert an eine der größten Ritterschlachten des Mittelalters, in der das Geschick Österreichs für die nachkommenden Jahrhunderte entschieden wurde: Rudolf von Habsburg schlug hier im Jahr 1278 den Böhmenkönig Ottokar und sicherte damit die Herrschaft seiner Familie über die österreichischen Lande auf 650 Jahre. Im Schloss Jedenspeigen ist dazu eine Ausstellung eingerichtet, aus der der historisch Interessierte allerlei Wissenswertes über Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen des Treffens erfahren kann. Unter anderem über einen Streiter namens Ullrich von Kapellen, der mit 60 Rittern aus einem Hinterhalt in die Flanke des böhmischen Heeres einbrach und damit den Sieg des Habsburgers sicherte. Und jetzt kommt es: Mit dem damaligen Ehrenkodex des Rittertums war dieses Verhalten absolut nicht vereinbar und der gute Ullrich musste sich ausdrücklich dafür entschuldigen. Der Besucher aus dem 21. Jahrhundert staunt zum ersten Mal. Zum zweiten Mal dann in einem Nebenraum, der das Thema „Brücken über die March“ behandelt. Da werden Fotos vom Leben hüben und drüben des Grenzflusses zwischen Österreich und der Slowakei gezeigt, beginnend in der Monarchie und herauf bis in die jüngste Vergangenheit. Als freilich kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhanges eine einfache Fahrrad- und Fußgängerbrücke aus Holz über die March gebaut werden sollte, stimmte die Bevölkerung auf der österreichischen Seite mehrheitlich dagegen. An den Brücken im gemeinsamen europäischen Haus gibt es augenscheinlich noch einiges zu bauen.

Großes Staunen dann aber schließlich über den freundlichen Herrn an der Kassa, der sich als Bürgermeister von Jedenspeigen entpuppt. Voll Begeisterung zeigt er die übrigen, nur zeitweilig genutzten Räume des Schlosses, die größtenteils noch der kostspieligen Renovierung harren. Er erzählt auch über das jährliche Ritterfest mit der nachgestellten Schlacht, über die Entwicklung seiner Gemeinde im Allgemeinen und dann davon, dass er selbst die Brücke über die March sehr gerne gesehen hätte. Im Museum mache er freiwillig Dienst, genauso wie alle Mitglieder des Gemeinderates. Das wiederum lässt an jene 3,3 Millionen Freiwilligen denken, ohne die Österreich schlicht und einfach nicht funktionieren würde. Sei es bei den sozialen Diensten, sei es bei der Feuerwehr oder sei es vielerorts auch im Tourismus. Sie alle liefern tagtäglich den Beweis, dass uns die Arbeit trotz des rasanten technischen Fortschritts in der nächsten Zeit ganz sicher nicht ausgehen wird. Möglicherweise wird sie aber in immer größerer Menge eher am persönlichen als am digitalen Ende des Spektrums zu finden sein.

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