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Schlechte Zeiten für „Hotelführer“

„Magazinformat“ und ein halbes Kilo schwer – das sind die Neuerungen, die den „ÖHV Hotelguide 2016“ auf den ersten Blick von den Ausgaben der letzten Jahre unterscheiden. Im neuen Format passt es nicht einmal ins Handschuhfach eines durchschnittlichen Autos. Damit wird eingeräumt, dass sich die Werbefunktion des Guide im dekorativ-repräsentativen Herumliegen an hoffentlich von zahlungskräftigem Publikum frequentierten Plätzen erschöpft – etwa in den Erste-Klasse-Abteilen der ÖBB.

Außer der Optik hat der Wechsel des Herausgebers ÖHV vom „Falstaff“-Verlag zum Verlag „Die Presse“ keine wesentliche Veränderung gebracht. Die 2012 entwickelte „Innovation“, auf jede Preisangabe zu verzichten, wurde fortgesetzt. Auch wenn es schwierig ist, in einer Zeit tagesaktueller Preise exakte Angaben zu machen, sind Hinweise auf das Preisniveau durchaus möglich, wie viele Beispiele zeigen. Welchen praktischen Wert hat ein Hotelführer, der die nach dem Standort wichtigste Orientierungshilfe nicht bietet?

Auch die Auffindbarkeit der Hotels wurde nicht besser. Geordnet sind sie nach Bundesländern und Orten in alphabetischer, nicht regionaler Anordnung und innerhalb der Orte nach der offiziellen Sterne-Kategorie. Die Ortsnamen sind allerdings so klein gedruckt, dass sie als Ordnungsprinzip kaum erkennbar sind. Zusätzliche Verwirrung entsteht dadurch, dass nicht kategorisierte Hotels im Anschluss an die „entsprechende“ Kategorie eingereiht werden, zu der sie gehören würden. In Wien, wo von 97 angeführten Hotels 26 sternelos sind, sieht das nach totalem Chaos aus.

Für die Darstellung der Hotels steht im neuen Großformat auch nicht mehr Platz zur Verfügung, als im Taschenbuch: Ein Foto, sechs bis acht kurze Zeilen Text, die nur selten für wesentliche Angaben wie etwa die Zahl der Zimmer genutzt werden. Die lenkende Hand einer Redaktion, die mehr tut, als Rechtschreibfehler zu korrigieren, ist nicht erkennbar. Über die gebotenen Einrichtungen informieren 15 Symbole, die einen „schnellen Überblick“ bieten sollen, zumindest für jene, die nicht ständig nach ihrer Bedeutung blättern müssen. Angegeben werden Adresse, Telefonnummer, E-Mail und vor allem die Website. Besonders wichtig, denn die „Leute schauen eh ins Internet“ (O-Ton ÖHV), dort findet man auch entscheidende Informationen, wie den Preis oder die Lage. Und warum soll man sich dann den Umweg über den Guide antun und nicht gleich über Google oder Tripadvisor einsteigen?

Der Gebrauchswert jedes Verzeichnisses hängt davon ab, wie repräsentativ es für den entsprechenden Sektor ist. Dass ein Verband wie die ÖHV in seinem Guide nur die eigenen Mitglieder anführt, ist logisch. Wenn von diesen fast 1.300 aber nur rund 466 bereit sind, 420 Euro (+MWSt) für eine reguläre Einschaltung ihres Hauses aufzuwenden, zeigt das schmerzhaft deutlich, was sie von dem Produkt ihres eigenen Verbandes halten. Fast zwei Drittel nehmen in Kauf, nur in einer gezielt karg gehaltenen Liste im Anschluss an das jeweilige Bundesland aufzuscheinen, mit Adresse, Telefonnummer und Internet-Adresse, nicht einmal mit ihrer Sterne-Kategorie.

Warum ein Produkt, das offenbar niemand braucht, nach wie vor teuer produziert wird, liegt auf der Hand: Der Verlag hofft, dass die Werbeeinnahmen höher sind, als die Produktionskosten, die ÖHV erwartet, wenn schon kaum Geld, zumindest einen Prestigegewinn durch ein elegantes Mitgliederverzeichnis mit hoher Verbreitung. Die großflächige Gratisverteilung der angegebenen 130.000 Exemplare im deutschsprachigen Raum zeigt, wie in solchen Fällen üblich, wenig Zielgenauigkeit: Eine Überprüfung, wie viele der 80.000 Abonnenten von „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ das ihnen aufgedrängte Verzeichnis mangels Interesse am Hotelsektor direkt in den Müllcontainer befördern, würde vermutlich Depressionen auslösen, nicht zuletzt bei den Werbepartnern.

Zu überlegen, wie man den Guide besser machen könnte, ist wohl müßig: In Konkurrenz zum Internet und Smartphone haben gedruckte Nachschlagwerke mit wenigen Ausnahmen keine Chance, egal, ob es sich  um ein Lexikon oder einen Hotelführer handelt. Am Ende des Lebenszyklus eines Produktes gilt die Devise: Aussteigen, bevor der Schaden größer wird.

Günther Greul

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