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Noch kein Ende des Liegenkrieges

Print-Ausgabe 23. Februar 2018

Normalerweise ist es ein bewährtes Sommerthema: Wenn die Saison der Badeurlaube anbricht, erscheinen in den Medien prompt die Geschichten über jene Gäste, die im Morgengrauen mit Handtüchern unterm Arm ausschwärmen, um für sich und ihre Begleitung Sonnenliegen in angenehmer Lage sicher zu stellen. Eine brauchbare Lösung für das Liegenproblem ist in den letzten Jahrzehnten niemandem eingefallen, die geübte Praxis wird trotzdem als „asoziales Urlaubsritual“ angeprangert, das vor allem von Deutschen und Briten gepflegt werden soll. Was sicher falsch ist: Bis auf die paar Wenigen, denen Umfeld und Aussicht wirklich egal ist, spielen alle mit – das System ist notgedrungen akzeptiert.

Testbetrieb in drei Ressorts

Den aktuellen Grund dafür, dass dieses saure Gurken-Thema schon lange vor der sommerlichen Nachrichtenflaute in zahlreiche Medien fand, lieferte Thomas Cook, immerhin einer der größten Reiseveranstalter: Mit dem neuen Service „Meine Sonnenliege“ wird es möglich sein, die „Wunschliege“ bereits vor Urlaubsantritt verbindlich zu reservieren. Beginnend mit einem Testbetrieb in drei Ressorthotels der Marken Neckermann, Thomas Cook Signature und Öger Tours auf den Kanarischen Inseln, ist eine schrittweise Einführung in den meisten der rund 30 unternehmenseigenen Hotels vorgesehen. Funktionieren soll das so: Sechs Tage vor Urlaubsbeginn erhält der Gast per E-Mail einen Link zu einem Lageplan des Poolbereiches, auf dem er seine Wunschliegen kennzeichnen kann, ähnlich der Flugsitzreservierung beim Web-Check-in. Der Plan zeigt auch die Lage von anderen Einrichtungen, eine Kompassrose soll die Orientierung nach dem Sonnenstand ermöglichen. Bei seiner Ankunft sind die Liegen bereits gekennzeichnet und mit Handtüchern ausgestattet. Die Gebühr für diesen Service beträgt 25 Euro pro Liege und Aufenthalt.

In den Medien wurde diese Regelung als „ultimative Waffe im Liegenkrieg“ oder als „Ende der Jagd nach der besten Liege am Pool“ bejubelt, in den diversen Postings schwankt die Bewertung zwischen „super, endlich ein entspannter Urlaub“ bis „nur ein neuer Weg, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen“.
Tatsächlich ist das neue Service nur auf den ersten Blick so bestechend simpel. Immerhin wird (erstmalig?) anerkannt, dass bei einem Badeurlaub die Qualität des Platzes an der Sonne nicht als Marotte abqualifiziert werden kann. Stefanie Berk, Vorsitzende der Geschäftsführung von Thomas Cook, wird zu den Vorzügen von „Meine Sonnenliege“ so zitiert: „Ausschlafen, in aller Ruhe frühstücken und am späten Vormittag zum Pool, wo die persönliche Liege schon mit Handtüchern bereit steht – mit unserem Service lässt sich die wertvolle Urlaubszeit noch entspannter geniessen.“ Perfekter kann man gar nicht umschreiben, was man ohne reservierter Liege alles nicht hat. Dazu kommt noch das Problem, dass Familien mit Kindern oder Freunden das Badevergnügen gemeinsam geniessen wollen. Um mehrere Liegen nebeneinander zu ergattern, muss man schon sehr früh aufstehen. Ob der Cook-Service wohl flexibel genug ist, um solche Wünsche nicht nur in seltenen Glücksfällen erfüllen zu können?

Zwei Klassen am Pool

Vorsichthalber wird nur ein „kleiner Teil“ der Sonnenliegen für die Vorreservierung freigegeben, „selbstverständlich werden weiterhin genügend Liegen für Gäste zur Verfügung stehen, die flexibel vor Ort entscheiden möchten“. Die damit entstehende Zwei-Klassen-Gesellschaft hat ihre eigenen Herausforderungen: Da die kostenpflichtigen Liegen zwangsläufig zu den attraktiven gehören müssen, wird das Angebot an entsprechenden freien für die flexiblen Entscheider entsprechend kleiner. Jemandem, der selbst nur mehr eine Liege an der Feuermauer bekommen hat, plausibel zu machen, wieso attraktive Poolplätze Tage lang leer bleiben, weil ihre Mieter schon weg, gerade auf einem zweitägigen Ausflug oder noch gar nicht da sind, wird nicht ganz einfach sein. Und wenn jemand an Hand des zugelinkten Lageplanes feststellt, dass es für seine Reisezeit eigentlich gar keine Liege mehr gibt, auf der er seinen Urlaub verbringen möchte, hat er Pech gehabt: Eine Stornogrund für eine vor Wochen gebuchte Reise ist das nicht. Allenfalls ein Anlass zu überdenken, ob es beim nächsten Urlaub wieder ausgerechnet dieses Hotel sein muss. Wenn jemand endlich eine Idee hat, ist es natürlich unfair, sie schon nieder zu unken, bevor sie ausprobiert wurde. Also warten wir‘s ab, dann seh’n wir’s eh.

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