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Mehr Trinkgeld für den Staat?

Print-Ausgabe 4. November 2016

Der Auslöser war eine Reise nach New York: Beeindruckt, wie „serviceorientiert“ dort die Gastronomie agiert, indem sie 15 bis 20 Prozent Trinkgeld auf der Speisekarte anführt und automatisch in Rechnung stellt, beschloss Hartmuth Rameder in seinem Restaurant „Hofmeisterei“ in Wösendorf den gleichen Weg zu gehen. Seit 1. September werden 10 Prozent Trinkgeld auf die Rechnung gesetzt. Wer das nicht will, kann es wieder streichen lassen. Begründet wird dieser Versuch damit,  dass das Trinkgeld von den „üblichen“ 10 Prozent auf nur mehr zwei bis drei Prozent zurückgegangen sei, was bei einer Aufteilung auf Service und Küche der „Wertschätzung“ der Leistung der Mitarbeiter nicht mehr entspreche.

Trinkgeldautomatik

Etliche Medien widmeten sich der Frage, ob die Gäste eine solche Trinkgeldautomatik akzeptieren würden. Als Trinkgeld gilt eine freiwillige Zahlung eines Gastes, der damit eine besondere Leistung eines Mitarbeiters belohnen möchte. Das neue System erfüllt keines der Kriterien: Die Höhe der Zahlung wird vorgegeben, die Zuwendung geht nicht an einen bestimmten Mitarbeiter und wenn eine Zahlung erst aus der Rechnung herausreklamiert werden muss, ist das nach der aktuellen Judikatur nicht „freiwillig“, sondern unzulässiger psychologischer Zwang.

Darüber hinaus stellt sich wohl auch die Frage der Angemessenheit: Bei einem Bier den Preis von 3,20 Euro auf 4 aufzurunden, ergibt generöse 25 Prozent Trinkgeld, belastet den Gast aber nur mit 80 Cent. Von einer Restaurantrechnung über 80 Euro sind die „üblichen“ 10 Prozent aber acht Euro, etwa der Mindestlohn für eine Stunde Arbeit. Man wird sich wohl daran gewöhnen müssen, dass die Angemessenheit für das Trinkgeld eher in Euro als in Umsatzprozenten beurteilt wird. Warum für das Servieren einer Flasche Wein um 25 Euro 25 Cent Trinkgeld anfallen, bei einer Flasche um 50 Euro bei gleicher Servicequalität aber das Doppelte, wird sich kaum erklären lassen.

Mario Pulker, Obmann des Fachverbandes Gastronomie, meinte, jeder Wirt müsste selbst beurteilen, ob sein Gästekreis ein fixes Trinkgeld akzeptiert. Die Arbeiterkammer sieht das Modell nur dann positiv, wenn das Trinkgeld auch tatsächlich steuerfrei bei den Mitarbeitern ankommt, und die Gewerkschaft Vida meint, dass kein Trinkgeldmodell das Gastgewerbe davon entbindet, faire Löhne zu bezahlen.

Rameder erklärte 7 Wochen nach Einführung des Fixtrinkgeldes, es gebe von Seiten seiner Gäste keine Beschwerden. Andere Quellen zeigen kein positives Bild: Eine Leserbefragung der Niederösterreichischen Nachrichten ergab 91 Prozent Ablehnung, beim Gourmet-Magazin Falstaff waren es 81 Prozent.


Die rechtliche Seite des Problems hat in die Diskussion offenbar noch kaum Eingang gefunden. Finanzminister Grasser hat das Trinkgeld nur von der Lohnsteuer befreit. Wenn es nicht direkt an den Mitarbeiter geht, sondern vom Betrieb als Preisbestandteil kassiert wird, sind davon zehn Prozent Mehrwertsteuer fällig, analog zum mit dem Garantielohnsystem abgeschafften „Bedienungsgeld“. Wie bei diesem dürfte eine Aufteilung der Einnahmen zwar zulässig sein, aber nur auf Mitarbeiter, die einen direkten Kontakt zu den Gästen haben. Die Küche gehört mit Sicherheit nicht dazu.


Nicht befreit wurde das Trinkgeld aber von den Sozialabgaben. Derzeit wird eine Pauschale verrechnet, die bei etwa 40 bis 50 Euro liegt – pro Monat. Bei einer Überschreitung um 50 Prozent ist sie weg, ab ca. 75 Euro Trinkgeld im Monat schlägt die Sozialversicherung voll zu. Für wen ist ein Trinkgeldmodell noch attraktiv, wenn rund die Hälfte von Abgaben gefressen wird?

USA-Vergleich absurd

Absurd ist der Bezug zu den USA: Die 15- bis 20-prozentige „Service Charge“ entspricht – jedenfalls in New York – unserem alten Bedienungsgeld und ist damit Lohnbestandteil. Der Gast ist allerdings nicht zur Zahlung verpflichtet, was bei den Mitarbeitern harsche Reaktionen hervorruft. Die garantierte Lohnuntergrenze, für die der Dienstgeber haftet, ist der gesetzliche Mindestlohn von 7,25 Dollar pro Stunde. Bei „Trinkgeldberufen“ sinkt er aber auf nur 2,13 Dollar – ein Monatslohn von 370 Dollar.

In New York gerät das Service Charge-System zunehmend in Kritik: Immer mehr Betriebe teilen ihren Gästen mit, dass sie Löhne und Preise entsprechend erhöht haben und daher keine Servicegebühr mehr zu bezahlen ist. Das „echte“ Trinkgeld – der freiwillig geleistete „Tip“ – wird trotzdem erhalten bleiben. Auch bei uns.

Günther Greul

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