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Kommen jetzt die Rollstuhlsheriffs?

Print-Ausgabe 26. Februar 2016

Wenn es nach der Forderung des Bundes-Behindertengleichstellunggesetzes geht, müsste Österreich seit 10 Jahren „barrierefrei“ sein: Das damals beschlossene Gesetz bestimmt eindeutig, dass „alle Güter und Dienstleistungen, die öffentlich angeboten werden“, für Menschen mit Behinderung ohne besondere Erschwernisse und fremde Hilfe zugänglich“ sein müssten. Also ein Beisel mit einer Stufe am Eingang, Toilettenanlage im Keller ohne Lift, eine Pension mit weniger als 120 cm breiten Gängen – das alles und vieles mehr dürfte es nicht mehr geben.

Und warum schaut die Welt dann trotzdem ganz anders aus? Die Behindertenverbände haben sicher gejubelt, als es ihnen gelungen war, den auf den ersten Blick vermutlich weltweit umfassendsten Behindertenschutz durchzusetzen. Es lag allerdings auf der Hand, dass er in dieser Form nicht realisierbar sein kann und die eingebauten Bremsen stellen die Sinnhaftigkeit der gesamten Regelung in Frage. Das Bundesgesetz definiert nicht, welche konkreten Maßnahmen zur Sicherung der Barrierefreiheit vorzusehen sind und enthält auch keine Strafbestimmungen: Jeder Behinderte, der sich „diskriminiert“ fühlt, kann seinen dadurch erlittenen Schaden auf dem Zivilrechtsweg einklagen. Dazu muss er allerdings dessen Höhe plausibel belegen und mit den Gerichtskosten in Vorlage treten. Bevor das Gericht entscheidet, ob der durch einen verhinderten WC-Besuch ausgelöste Schaden wirklich die behaupteten 1.500 Euro ausgemacht hat, muss die Angelegenheit ein Schiedsverfahren beim Sozialamt durchlaufen, das zwar nichts kostet, aber drei Monate dauert. Und dann muss der Richter entscheiden, ob der Aufwand für die Beseitigung der „Barriere“ „verhältnismäßig“ und dem Unternehmen (wirtschaftlich) „zumutbar“ ist. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass der Versuch, auch nur einen einzigen konkreten Fall im Bereich der Tourismuswirtschaft zu finden, der über das Schiedsverfahren hinausging, ein Nullergebnis brachte.

Seit zehn Jahren wirkungslos

Wenn WKO-Sozialpolitiker Martin Gleitsmann erklärt, es sei ohnehin viel in Richtung Barrierefreiheit geschehen, dann trifft dies nur auf die Information zu. Alle Broschüren und Checklisten geben keine Antwort auf die entscheidende Frage: Was muss ein Betrieb tun, um der gesetzlichen Forderung nach Barrierefreiheit zu entsprechen? Die Situation ist extrem unbefriedigend: Behinderte können nicht einmal damit rechnen, vor einem Restaurantbesuch darüber informiert zu werden, dass das Klo im Keller ist. Und Unternehmer haben keinerlei Rechtssicherheit, nicht mit teuren Auflagen belegt zu werden, weil ein Richter findet, der Umbau des halben Hauses zur Beseitigung von ein paar Stufen sei zumutbar.

Die Entwicklung verschlafen

Was besonders frustriert, ist der Umstand, dass es in zehn Jahren keine Interessenvertretung der Mühe wert fand, sich wenigstens darüber zu informieren, wie die gleichen Probleme anderswo gelöst werden. In Deutschland verpflichtet das Behindertengleichstellungsgesetz die einschlägigen Verbände zum Abschluss von „Zielvereinbarungen“ – einfache und flexible Checklisten für verschiedene Stufen der Barrierefreiheit. Wer die Anforderungen erfüllt, hat das Recht, dies mit einem entsprechenden Signet zu bewerben. Unter dem Projektnamen „Reisen für alle“ ist ein System in Aufbau, das darauf ausgerichtet ist, neben Behinderten auch ältere Reisende anzusprechen. In Österreich ist man dabei, diese Entwicklung zu verschlafen – nicht zuletzt als Folge einer gesetzlichen Lage, die nichts zu tun als probate Lösung erscheinen lässt.

Günther Greul

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