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Arbeitszeit: Leider ein Pfuschgesetz

Print-Ausgabe 13. Juli 2018

Es fehlte nicht an Apellen aus politischen Lagern, auf den Boden der Sachlichkeit zurück zu kehren. Gebracht haben sie nichts: Bei der letzten Diskussion des Themas „Arbeitszeitflexibilisierung“ vor der Beschlussfassung im Plenum des Nationalrates schlugen sich Befürworter und Gegner überzogene Anschuldigungen um die Ohren.

Die Position der Gegner umriss SPÖ-Chef Christian Kern mit der Feststellung, es gehe um die „massivste Verschlechterung für Arbeitnehmer seit 30 Jahren“. Mit Schlagworten wie „Lohnraub“, „Freizeitraub“ und „Gesundheitsraub“ wird die Fiktion eines 12 Stunden-Arbeitstages bzw. eine 60 Stunden-Arbeitswoche als Standard aufgebaut.

Für die Befürworter erklärte Kanzleramtsminister Blümel, Ziel sei nur eine Vereinfachung des komplizierten Überstundenregimes gewesen. Die Erweiterung der Arbeitszeitgrenzen wird als WinWin-Situation dargestellt: Die Wirtschaft kann Spitzenbelastungen in unkomplizierter Form bewältigen, für die Mitarbeiter bleiben 8 Stunden-Arbeitstag und 50 Stunden-Woche die Norm, in bestehende Regelungen bei Zuschlägen und Betriebsvereinbarungen wird nicht eingegriffen. Durch die Freiwilligkeitsgarantie bei den zusätzlichen Überstunden und die Möglichkeit, die Mehrarbeit „zeitnah durch längere Freizeiträume“ – auch in Form einer 4 Tage-Woche – auszugleichen, können die Arbeitnehmer über die Gestaltung von Arbeits- und Freizeit selbst – ohne Mitwirkung eines Betriebsrates – bestimmen.

Boom bei Betriebsvereinbarungen?

Und so sieht die Regelung wirklich aus: Wenn künftig die Arbeitszeit einfach bis an die neuen Grenzen ausgedehnt werden kann, hat das nach Meinung von Arbeitsrechtlern die Folge, dass ein Großteil der Verstöße gegen das Arbeitsrecht nicht mehr strafbar ist – zweifellos eine Erleichterung. Wie weit dies die Entscheidungsfreiheit der Mitarbeiter über Arbeits- und Freizeitgestaltung erweitert, ist eher zweifelhaft: Der Beginn der Mehrarbeit setzt einen „erhöhten Arbeitsbedarf“ voraus und kann daher zwangsläufig nur vom Arbeitgeber festgelegt werden. Für die Dauer ist die Arbeitszeitrichtlinie der EU die einzige Grenze: Sie schreibt die für einen Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen eine maximale durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden vor. Diese 816 Stunden würden ausreichen, um fast 14 60-Stunden-Wochen abzudecken – also eine kurze Saison. Vor allem, wenn man bei „geteiltem Dienst“ die nun gegebene Möglichkeit nutzt, die Ruhezeit von elf auf acht Stunden zu reduzieren. Von längeren „Freizeitblöcken“ zum Ausgleich von Zeitguthaben ist nur in Verbindung mit Gleitzeitregelungen die Rede. Und die Entscheidung, wann diese konsumiert werden können, wird kaum ohne die Mitwirkung des Arbeitgebers möglich sein, ebenso wie die Einführung einer 4 Tage-Woche.

Wie weit die hochgelobte Freiwilligkeit bei der Leistung der zusätzlichen Überstunden von den Mitarbeitern wirklich genutzt werden kann, wird diskutiert. Kaum gesprochen wird über jene Betriebe, die mehr brauchen, als die Straffreiheit für das Überziehen der Arbeitszeit wegen einer ausgeuferten Hochzeitsgesellschaft. Wenn jeder nach Lust und Laune entscheiden kann, ob er arbeiten oder lieber spazieren gehen möchte, ist eine Arbeitsplanung schwer vorstellbar. Arbeitsrechtler sehen bereits einen Boom bei Betriebsvereinbarungen – auch künftig unter Mitwirkung der Betriebsräte.

ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer begrüßt die Flexibilisierung natürlich, meint aber, immer mehr Arbeitgebern würde klar, dass sich die Zusammenarbeit am besten im Dialog abstimmen lässt: „Mit flexibler Arbeitszeit ist ein behutsamer Umgang notwendig“. Der trennende Scherbenhaufen als Ergebnis dieses Pfuschgesetzes ist dabei nicht gerade hilfreich.

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