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Arbeitswelt auf dem Weg ins Chaos

Print-Ausgabe 20. Oktober 2017

Für Tourismusobfrau Petra Nocker-Schwarzenbacher ist die in der letzten Sitzung des Nationalrates vor der Wahl beschlossene Angleichung von Arbeitern und Angestellten per Gesetz „ein unverantwortlicher wahltaktischer Schnellschuss auf Kosten der gesamten heimischen Wirtschaft“, auch nach der am letzten Drücker beschlossenen Sonderregelung für den Tourismus. Die Präsidentin der ÖHV Michaela Reitterer sieht an der „populistischen Pfusch-Aktion“ auch positive Seiten: Mit der Übernahme der Internatskosten und der Streichung der sinnlosen „Auflösungsabgabe“ sind alte Forderungen erfüllt worden und bei der Angleichung hofft man auf konstruktive Verhandlungen mit den Sozialpartnern.

Tatsächlich hat kaum jemand damit gerechnet, dass ausgerechnet dieses seit Jahrzehnten nach übereinstimmenden Aussagen bis in die „Zielgerade“ diskutierte Thema im letzten parlamentarischen Wahlgefecht noch beschlossen wird: Welche wahltaktischen Überlegungen dann dazu führten, ist nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig wie die Ablehnung eines Initiativantrages der FPÖ auf Rückführung der Mehrwertsteuer auf Logis von 13 auf 10 Prozent durch die ÖVP. Erkenntnis: Wenn es um Wahlzuckerln geht, dann sicher nicht für die Wirtschaft.

Dass die Angleichung längst fällig war, ist allseits unbestritten: Die Gewerkschaft sieht mit Recht darin die Beseitigung einer Diskriminierung eines großen Teiles der Arbeitnehmer. Bis heute wird von den Betroffenen eine „Übernahme in das Angestelltenverhältnis“ als sozialer Aufstieg angesehen. Der Protest wird vor allem durch die Probleme für die Führung der Betriebe ausgelöst. Der Angestellten-Standard sieht vor, dass eine Kündigung nur zum Quartalsende möglich ist, mit einer Kündigungszeit von sechs Wochen bis zu fünf Monaten, abhängig von den Dienstjahren. Bei den Arbeitern liegt die Kündigungszeit zwischen einem Tag (bei den Bäckern) und fünf Monaten, im Tourismus sind es zwei Wochen.

Weit über dem Durchschnitt von 40 Prozent sind im Tourismus rund drei Viertel aller Arbeitnehmer als Arbeiter betroffen. Dass von der oft wetterbedingten rechtzeitigen Beendigung der Saison der wirtschaftliche Gesamterfolg abhängt, ist eine Binsenweisheit. Ist ein kurzfristiges Reagieren mit einer Regulierung des Personalstandes nicht möglich, sind eine Alternative befristete Arbeitsverträge, die auf Nummer sicher gehen, damit das Ausschöpfen des wirtschaftlichen Potentials beschränken und zu längerer Arbeitslosigkeit führen. Oder aber mehr Leiharbeitskräfte einzusetzen, was höhere Kosten, aber keine Qualitätsverbesserung zur Folge hat. Eine Entwicklung in dieser Richtung kann sich niemand wünschen, vor allem nicht die Mitarbeiter.

Unternehmergewerkschaft „vidaflex“?

Eine weitere Baustelle in der Arbeitswelt wurde kurz vor der Wahl mit der Gründung der Gewerkschaft „vidaflex“ sichtbar: Vida-Vorsitzender Roman Hebenstreit erklärte, dass damit der „Schutzschirm“ über alle „Verwundbaren“ ausgebreitet werden soll. Angepeilte Schutzbedürftige sind vor allem die mehr als 300.000 Ein-Personen-Unternehmen (EPU’s), die rechtlich unbestreitbar als Unternehmer anzusehen sind und bereits weit mehr als die Hälfte der WKO-Pflichtmitglieder ausmachen. Ihre enorme Zunahme wurde dadurch ausgelöst, dass viele nach einem Jobverlust als einzige Alternative in die Selbständigkeit gedrängt wurden. Wenn man „Personenbetreuer“ (= Pflegekräfte, über 60.000!), Reinigungskräfte, Fahrradboten, LKW-Fahrer etc. zu „(Schein-) Selbständigen“ macht, kann man nicht erwarten, dass eine Vertretung für echte Unternehmerinteressen ihren Bedürfnissen entspricht, ihr Anliegen ist vor allem die soziale Absicherung. „vidaflex“ soll mit einem darauf abgestimmten Servicepaket um 25 Euro monatlich diesen Ansprüchen entsprechen. Die „EPU-Beauftragte“ in der WKO meinte nur, die Gewerkschaft wolle lediglich Selbständige in Arbeitnehmer und potentielle Gewerkschaftsmitglieder umwandeln“. Ja, eh – aber dabei nur zuzuschauen wäre keine Lösung für die Probleme, die nicht zuletzt der WKO auf den Kopf fallen dürften.

Eine neue Regierung steht vor der großen Aufgabe, eine chaotische Entwicklung der Arbeitswelt durch eine grundlegende strukturelle Neuordnung zu verhindern. Nicht einfach in einem erstarrten System: Über die Tatsache, dass die Angleichung die GPA, die mit 300.000 Mitgliedern die „Privatangestellten“ vertritt, logischerweise überflüssig macht, will die Gewerkschaft nicht einmal reden.

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