ANA
„Gastronomic identity“

Kaiserschmarrn, Tafelspitz, Schnitzel & Co. im globalen Vergleich

Print-Ausgabe 18. August 2023

„Das ‚gastronomic identity‘ Konzept bietet spannende Möglichkeiten, um Einflüsse in einer Destination zu analysieren“, so Daniela Wagner (l.) und Sonja Pfnier

An der FH Wien der WKW ging man heuer im Frühjahr der Frage nach, welchen Einfluss Kulinarik tatsächlich auf die Identität einer Tourismusdestination ausübt

Es gibt wohl kein Land auf der Erde, das nicht – vor allem wenn es um Tourismus geht – seine kulinarischen Vorzüge und Einzigartigkeiten ins Spiel bringt. Dies ist kein Zufall, sind doch laut einem Bericht der World Food Travel Association (WFTA) – eine 2003 als nichtstaatliche Organisation (NGO) gegründete Vereinigung – rund 81 % der Gäste überzeugt, dass lokale Küche ihnen hilft, die Kultur ihres Reiseziels zu verstehen. Da stellt sich zwangsläufig die Frage, welchen Einfluss übt nun Kulinarik tatsächlich auf die Identität einer Tourismusdestination aus? Antworten darauf liefern Daniela Wagner (Academic Expert & Lecturer – Studienbereich Tourismus- und Hospitality Management) und Sonja Pfnier (Master-Studentin, Urban Tourism & Visitor Economy Management) von der FHWien der WKW.

Bessere Chancen im globalen Wettbewerb

Kulinarik allgemein bietet den beiden zufolge touristischen Destinationen die Chance, sich im globalen Wettbewerb zu differenzieren und ein konkretes Image aufzubauen. „Sie wird beispielsweise anhand bestimmter Zubereitungsmethoden, regionstypischer Gerichte oder Rezepturen und Geschmackspräferenzen oft auch unmittelbar mit der Identität einer Destination in Zusammenhang gebracht und als Symbol eines konkreten Lebensstils oder gemeinsamer Werte und Normen innerhalb einer Destination betrachtet“, so Daniela Wagner.

Ein Beispiel für sie liefert u.a. Wien, dessen Küche laut Wagner „ein Potpourri zahlreicher allseits bekannter Speisen“ darstellt, das durch die ehemaligen Kronländer des Habsburgerreichs beeinflusst wurde. „Aus Sicht der Städtedestination Wien ein Glücksfall, zeichnet sie doch ein absolutes Alleinstellungsmerkmal aus“, meint Daniela Wagner. Es handelt sich ihr zu folge „um die einzige Großstadt der Welt, nach der eine Küche benannt ist.“

Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Identität einer Tourismusdestination ist jedenfalls komplex und umfasst – je nach Perspektive – unterschiedliche Konzepte. Die Bandbreite reicht dabei von der persönlichen Identität („personal identity“), also dem Selbstverständnis einer Person, definiert durch verschiedene Charakteristika, über die soziale Identität („social identity“), welche sich durch soziale Rollen, Zugehörigkeit, Beziehungen und Interaktionen zeigt, bis hin zur kulturellen Identität („cultural identity“). Wagner: „Diese betont ebenfalls das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe, wenn die individuellen Werte, Normen und Eigenschaften in der Gruppe geteilt werden.“

Auf Destinationsebene findet sich das Konzept der „destination identity“, wobei laut Daniela Wagner betont wird, „dass eine starke Identität in einer Destination nur entstehen kann, wenn die Interessen aller Stakeholder Berücksichtigung finden, sich dadurch alle mit der Destination identifizieren und die Ausrichtung der Destination akzeptieren können.“

Eine Besonderheit stellt die kulinarische Identität („culinary identity“) dar. Sie bezieht sich auf die regionaltypischen kulinarischen Besonderheiten, die eine Destination auszeichnen. Daniela Wagner: „Welche Faktoren die regionale Küche bzw. die Kulinarik einer Destination beeinflussen und sich daraus Geschmackspräferenzen, Rezepte, Esskultur, Verarbeitungsmethoden, etc. entwickeln, beschreibt das Konzept der gastronomischen Identität“, die im Englischen als „gastronomic identity“ bezeichnet wird.

Umwelt und Kultur als großer Einfluss auf die Küche

Diesem Konzept folgend, generiert sich laut Daniela Wagner „eine regionstypische Küche aus den beiden Einflussgrößen Umwelt und Kultur.“ Klima und landschaftliche Gegebenheiten gelten dabei als die grundlegend bestimmenden Umweltfaktoren. „Sie sind die Ausgangsbasis dafür, was und in welcher Qualität in einer Destination überhaupt gedeihen kann, welche heimischen Erzeugnisse in der Destination produziert werden können und wie gut es gelingt, neue Produkte wirtschaftlich sinnvoll zu integrieren“, so Wagner. All diese Faktoren haben unmittelbaren Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten in einer Destination.

In Bezug auf die Kultur – der zweiten bedeutenden Einflussgröße – wiederum spielen historische und kulturelle Einflüsse sowie Tradi­tionen, Werte und Überzeugungen eine große Rolle. Wagner: „Bedeutend sind auch Veränderungsbereitschaft, Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit, vor allem bei neuen Entwicklungen.“

Welchen Einfluss hat die Wiener Küche auf die Identität der Wiener:innen? Dieser Frage ist die Masterstudentin Sonja Pfnier („Urban Tourism & Visitor Economy Management“) heuer im Frühjahr im Rahmen einer Online-Befragung unter Wiener „Falstaff Gourmet Club Mitgliedern“ nachgegangen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten der Wiener Küche eine hohe Bedeutung in Bezug auf ihre Identität als Wiener:innen zuschreiben.

Selbiges gilt für die Geschichte der Wiener Küche, ihre Traditionen, Rezepte und Gerichte. „Die Mehrheit ist stolz auf die Wiener Küche und betrachtet sie als wichtigen touristischen Erlebnisfaktor“, ergänzt Sonja Pfnier.

Wie die Ergebnisse der Befragung zeigen, übt auch das Faktum, dass in Wien landwirtschaftliche Produkte und Wein produziert werden und generell regionale Produkte (aus Wien bzw. dem Wiener Umland) in der Wiener Küche verwendet werden, ebenfalls einen hohen Einfluss auf die Identität der Wiener:innen aus. Sonja Pfnier: „Die Befragten identifizieren sich mit der traditionellen, doch eher fleisch-lastigen Wiener Küche.“ Gesundheitliche Aspekte spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Widersprüchliche Ergebnisse zeigten sich nur in Bezug auf Trends und Innovationen: „Während die Befragten bei neuen Interpretationen, Einflüssen anderer Küchen oder neuen Technologien der Meinung sind, dass sich die Wiener Küche hier nicht beeinflussen lassen sollte, misst die Mehrheit kulinarischen Innovationen durchaus Bedeutung zu“, berichtet Sonja Pfnier.

Eines steht für Daniela Wagner und Sonja Pfnier jedenfalls fest: „Möchte eine Destination ihr kulinarisches Profil schärfen oder sich grundlegend mit der Kulinarik in der Destination auseinandersetzen, dann bietet das Konzept der ‚gastronomic identity‘ eine spannende Möglichkeit, um Einflussfaktoren innerhalb der Destination zu analysieren.“

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben