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Wandertourismus

Wandlung von Schusters Rappen: Vom Zwang zum Milliarden-Geschäft

Print-Ausgabe 11. August 2017

Einst war das Wandern Pflicht, um als Handwerksgeselle zu reüssieren – heute beflügelt es den Tourismus, wobei es sich um keinen Selbstläufer handelt.

Vor nahezu 200 Jahren erhielt das Wandern seine Hymne: Franz Schubert vertonte in seinem Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ Teile der Gedichtsammlung von Wilhelm Müller, darunter „Das Wandern ist des Müllers Lust“ (nomen est omen). Wobei es damals um den Zwang zur Wanderschaft von Handwerksgesellen ging, sowie deren Sehnsucht, Ruhe zu finden. Heute besteht keine Wander-Pflicht mehr, sondern es sind Gäste aus aller Welt, die freiwillig auf Schusters Rappen unterwegs sind. Sie bescheren dem Tourismus ordentliche Umsätze sowie dem Österreich-Sommer ein tolles Comeback (14 Prozent mehr Nächtigungen seit 2010 und zwar ohne Wien und Landeshauptstädte).

In Österreich sind knapp zwei Fünftel (38 Prozent) aller Sommergäste Wanderurlauber. Bei ihnen stellt Wandern die Hauptaktivität der Reise dar. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Wanderurlauber stammen aus Deutschland, ein Viertel (25 Prozent) aus Österreich und 7 Prozent aus den Niederlanden.

In einigen Bundesländern liegt der Anteil an Wandergästen weit höher. So gehen etwa in Tirol drei Viertel der Sommergäste den Aktivitäten Wandern oder Bergsteigen nach. Im Alpenraum stellt der Wandertourismus neben dem Skitourismus die wichtigste Urlaubsform dar.

In Deutschland, dem wichtigsten Wander-Quellmarkt Österreichs, setzt der Wandertourismus pro Jahr im Durchschnitt 7,4 Mrd. Euro um (1,7 Mrd. davon bei den übernachtenden Wanderern). Die wirtschaftliche Bedeutung des Wandertourismus ist weit höher, denn zu diesen Zahlen kommen noch weitere 3,4 Mrd. Euro für Ausrüstung etc. hinzu. Auch die Fahrtkosten von und zum Wanderziel liegen jenseits der Milliarde.

Zum Vergleich: der touristische Umsatz Österreichs aus dem Bereich „Wandern und Bergsteigen“ belief sich laut Alpenverein im Jahr 2010 auf 1,4 Mrd. Euro. Er dürfte bis 2016 bei vorsichtiger Schätzung auf rund 1,7 Mrd. Euro geklettert sein. Dem Österreichischen Alpenverein zufolge gibt es mit 2,36 Millionen Personen in Österreich mehr Wanderer und Bergsteiger als Alpinskifahrer. Die Zahl ausländischer Wanderer und Bergsteiger, die nach Österreich kommen, beläuft sich auf weitere ca. 2,50 Millionen.

Die Gruppe mit der höchsten Wanderaffinität sind die „Best Ager“ (50 bis 65 Jahre). Als Motive nennen sie vor allem, die Natur erleben zu wollen und aktiv zu sein. Die Mehrheit benutzt als Informationsquelle zur Vorbereitung des Wanderurlaubs das Internet (46 Prozent). Weitere 33 Prozent kennen ihr Reiseziel aus persönlicher Erfahrung bzw. aus vorherigen Besuchen. Der beliebteste Monat für Wanderurlaub ist der September.

Im Zuge einer MCI-Master Arbeit (sie erhielt den „Wissenschaftspreis“ der ITB Berlin 2013 in der Hauptkategorie „Beste praxisorientierte Arbeit“) wurden vor vier Jahren fünf Kernkompetenzen erhoben (siehe Info-Kasten), die erfolgreiche Wanderdestinationen auszeichnen. Im Idealfall sind diese auch Alleinstellungsmerkmale, die gut kommunizierbar, schwer kopierbar und für die Zielgruppe von Bedeutung sind.

Entscheidend ist, dass dem Gast das Wandererlebnis durchgehend vermittelt wird, vom Hotel (es sollte Ausrüstung, wie etwa Wanderstöcke, Rucksäcke und Kindertragen gratis zur Verfügung stellen), über die Verpflegung unterwegs (Getränke und Snacks) bis hin zu Transport (z.B. Wandertaxis), Informationsdiensten und sonstigen Serviceleistungen (persönliche Wander-Beratung etc.). 

Kernkompetenzen für Wander-Destinationen

» Besonderheiten der Landschaft/Natur (Landschaftsformen, Schutzgebiete),
» Ausrichtung auf bestimmte Zielgruppen,
» Zusatzaktivitäten und -angebote,
» Regionale Besonderheiten (z.B. Kultur, Kulinarik, Bewohner, Unterkunft) sowie
» Einzigartige, authentische Erlebnisse.

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