T.A.I. Exklusiv-Interview

Gastgeben auf Vorarlberger Art als Erfolgsformel für die Zukunft

Print-Ausgabe 13. Dezember 2019

Bild: © Petra Rainer

Vorarlberg zog Ende November eine erfolgreiche Bilanz über die Sommersaison 2019 (plus 3,1 Prozent auf 1,28 Millionen Urlaubsgäste, plus 3,9 Prozent mehr Übernachtungen). Auch wenn dies vor dem Hintergrund der Weltgymnaestrada gesehen werden muss, so stellt dieses Ergebnis für Tourismusdirektor Christian Schützinger einen weiteren Schritt in der Entwicklung von Österreichs westlichstem Bundesland zur attraktiven Ganzjahresdestination dar, wie er im Interview mit T.A.I. betont. In dem Gespräch ging es auch um Themen wie Performance-Indikatoren, die künftige Zusammenarbeit mit ÖW sowie die Tourismusstrategie nach 2020.

T.A.I.: Sie stehen seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten an der Spitze von Vorarlberg Tourismus. Wie hat sich die Aufgabenstellung einer Landestourismusorganisation seither verändert?

Schützinger: „Schon vor meinem Einstieg war der Sommertourismus extrem im Wandel begriffen, vor allem im alpinen Raum. Nach der anfänglichen Euphorie durch die Ostöffnung war hier Krisenstimmung, denn nach einem kurzen Höhepunkt an Nächtigungen Anfang der 90er-Jahre kam die Tal­sohle, während der Winter immer mehr zulegte. Dann haben uns die Mittelmeerländer nach und nach den Rang abgelaufen. Zudem haben Kurzaufenthalte den klassischen ein- bis zweiwöchigen Ferientourismus langsam abgelöst.“

T.A.I.: Wie hat Vorarlberg Tourismus auf diese Herausforderungen reagiert?

Schützinger: „Wir mussten mit Produktinnovationen entgegenwirken, Angebote erweitern, Preisanreize schaffen, die All-Inclusive-Cards kamen auf. Vor meiner Tätigkeit bei Vorarlberg Tourismus war ich Destinations-Geschäftsführer (Anm. Bodensee-Vorarlberg Tourismus), wo es noch um den Aufbau einer Reservierungszentrale und reine Marketingaufgaben ging. Als ich dann bei Vorarlberg Tourismus eingestiegen bin, gab es schon einen Vorläufer der Tourismusstrategie 2020, mit der Vorarlberg langfristige Entwicklungsperspektiven entwickelte. Damit hat sich auch das Geschäftsmodell gewandelt.“

T.A.I.: In welcher Form?

Schützinger: „Grundlage war damals schon eine werteorientierte Markenstrategie. Darüber hinaus gab es bereits eine Kulturtourismusstrategie, um die Qualitäten des Landes, wie z. B. die Baukultur, touristisch zu nutzen. Das war zum damaligen Zeitpunkt einzigartig in Österreich. Gelungen ist das, weil wir damals schon die Netzwerkarbeit in den Vordergrund stellten und auf die Leistungspartner zugegangen sind. Das erklärt auch das kontinuierliche Wachstum, weil wir hier durch den ‚Schock‘ der 1990er-Jahre immer überlegt haben, wie Vorarlberg nachhaltig und langfristig eine ganzjahrestouristische Urlaubsdestination werden kann. Wir springen nicht auf jeden Trend auf und sind deshalb vielleicht nicht so von asiatischen TouristInnen überlaufen wie andere Bundesländer. Mittlerweile sind die Nächtigungen im Sommer wieder auf dem Höchststand von Anfang der 90er-Jahre angelangt und fast gleichauf mit dem Winter.“

T.A.I.: Wie eng erfolgt und entwickelt sich die Zusammenarbeit mit den Vorarlberger Tourismus-­Regionen?

Schützinger: „Ich habe die Landestourismusorganisation immer als Support-Organisation für die Destinationen gesehen. Nur in der Zusammenarbeit mit ihnen gelingt es, die touristische Entwicklung voranzutreiben. Wir betreiben „Marketing im Netzwerk“ – sowohl mit den Tourismusregionen als auch mit einzelnen Leistungspartnern, Tourismusbetrieben und Organisationen, wie z. B. der Österreich Werbung.“

T.A.I.: Was waren bzw. sind für Sie persönlich in dieser Zeit die bislang schönsten Erfolge und Momente?

Schützinger: „Die Kooperation mit dem KUB (Kunsthaus Bregenz) anlässlich der Präsentation der Kunstinstallation ‚Horizon Field‘ von Antony Gormley war für mich prägend. Die Begegnung mit diesem unprätentiösen Künstler und zu erleben, welche Wirkung die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus letztlich auf unsere Gäste ausübt, war einzigartig. In besonderer Erinnerung geblieben sind mir auch die Weltgymnaestrada 2007 und 2019, die für eine internationale Atmosphäre gesorgt haben. Das ganze Land hat pulsiert. Und es erfüllte uns alle auch mit Stolz, dass das kleine Land solche Großveranstaltungen mit Bravour stemmen kann. Für mich ganz privat war ein schöner Moment die Wiederentdeckung des Skifahrens. Ich habe mich sozusagen vom Salzburger Pistenskifahrer zum Vorarlberger Geländeskifahrer entwickelt, wodurch sich auch beruflich das Kerngeschäft Skifahren für mich neu erschlossen hat. Es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man eigene Spuren ziehen kann.“

T.A.I.: Betrachtet man die Tourismusanalysen des WIFO, so entsteht der Eindruck, dass Vor­arlberg trotz der Erfolge in den vergangenen Saisonen sowohl quantitativ (Ankünfte, Nächtigungen) als auch qualitativ (Umsätze) sommers wie winters nicht die gleiche Performance aufweist wie die meisten anderen Bundesländer. Was sind die Gründe dafür? Welche Ansätze gibt es, um dies zu ändern?

Schützinger: „Nach unserem Verständnis reicht die rein quantitative Betrachtung nicht aus. Vor allem im wirtschaftlich hochentwickelten, räumlich aber sehr begrenzten Vor­arlberg ist das tourismus­politisch keine Zielgröße. Auch der Blick auf eine kurzfristig geschätzte Umsatzentwicklung (worauf die Schätzungen des WIFO beruhen, ist uns leider nicht bekannt) gibt uns keine Hinweise darauf, ob sich Vorarlberg auf dem richtigen Entwicklungspfad befindet. Dazu braucht es unserer Ansicht nach eine differenziertere Betrachtung.“

T.A.I.: In welcher Form?

Schützinger: „Ziel ist, Vorarlberg zu einer wertschöpfungsintensiven Ganzjahresdestination zu entwickeln. Da sind Performance-­Indikatoren wesentlich aussagekräftiger, z. B. Kapazitätsentwicklung der Infra- und Beherbergungsstruktur für eine ganzjährige Nutzung, Auslastung der Kapazitäten, Kappen der Spitzen und gleichmäßige Verteilung der Nachfrage auf das ganze Jahr, Entwicklung der Beschäftigten, Umsatzentwicklung in der Beherbergung und bei den Seilbahnen, Investitionstätigkeit oder die Entwicklung der Tagesausgaben von Gästen.“

T.A.I.: Was bedeutet das konkret?

Schützinger: „Konkret heißt das: Bei einem insgesamt zwischen 2008 und 2018 stabilen Gesamtbettenangebot sind im selben Zeitraum die Nächtigungen im Sommer um 20,1 %, im Winter um 4,6 % gestiegen. Das ist das Ergebnis des Strukturwandels: Die Zahl gewerblicher Betten in Hotels, vor allem in der 4- und 5-Sterne-Hotellerie und bei den gewerblichen Ferienwohnungen, ist gestiegen, während die Privatzimmervermietung in dieser Zeit rückläufig war.

Zur besseren Verteilung der Nachfrage ist zu sagen, dass nicht nur die Nächtigungen im Sommer, sondern auch jene in der Vor- (26,5 %) und Nachsaison (24,4 %) überproportional angewachsen sind.
Bei der Betten-, Nächtigungs- und Umsatzentwicklung in der Beherbergung (Quelle: österr. Leistungs- und Strukturstatistik) sind Daten für den Zeitraum zwischen 2008 und 2015 verfügbar. Vorarlberg verzeichnet bei der Umsatzentwicklung ein Plus von 29,8 %, bei den Seilbahnen plus 25,3 %, bei einer Bettenentwicklung in Hotels und ähnlichen Betrieben ein Zuwachs von 2,8 % (Winter-Betten) und ein Nächtigungsplus von 4,4 % gerechnet auf das Kalenderjahr.

Stichwort Entwicklung der Tagesausgaben: Durch die Änderung in der Methodik von T-MONA (reine Online-Erhebung Tourismus Monitor Austria) sind leider keine Zeitreihen mehr möglich. Beim Vergleich der Tagesausgaben der Gäste verzeichnet Vorarlberg im T-MONA-­Jahr 2018/19 jedenfalls im Vergleich zum Österreich-Schnitt (ohne Wien) wieder überdurchschnittliche Tagesausgaben.

Was die regionalwirtschaftliche Perspektive anlangt, gehört es mittlerweile bei Hotelinvestitionen zum Standard, bei Bauten die Aufträge an die Bauwirtschaft und die starken und kompetitiven Handwerks- und Gewerbebetriebe im Umkreis weniger Kilometer zu vergeben.
Bei der regionalen Wertschöpfung besteht sicherlich noch Luft nach oben. Mit einem eigenen ‚Institut für Regionalität‘ will man dafür Akzente setzen. Gemeinsam mit den Destinationen sprechen wir die Zielgruppen an, die diese Produktentwicklungen schätzen. Grundlage dafür ist unsere Markenstrategie. Um die Leistungsanbieter im selben Sinne zu motivieren, dazu dient das Programm ‚Gastgeben auf Vorarlberger Art‘.

Und die Weltgymnaestrada ist eben mehr als ein touristischer Event. Hier geht es um Weltoffenheit, persönliche Beziehungen und um die Positionierung Vorarlbergs als Event-Standort, der auch Großveranstaltungen im urbanen Raum des Rheintals stemmen kann.“

T.A.I.: Wie steht es um die Zusammenarbeit von Vorarlberg Tourismus mit der ÖW und wie im Rahmen der AD10?

Schützinger: „Gerade als kleines Land ist die Zusammenarbeit mit der ÖW unabdingbar, wir können es uns nicht leisten, auf dieses Know-how zu verzichten, vor allem nicht bei internationalen Veranstaltungen oder der Marketingarbeit im Ausland. Das wäre allein nicht zu stemmen. Die Allianz der 10 ist eine gemeinsame Stimme, die sich für tourismuspolitische Anliegen einsetzt, was sich manchmal leichter, manchmal schwieriger gestaltet.“

T.A.I.: Neben Wien ist Vorarlberg das einzige Bundesland, das sich nicht an der Rad-Kampagne von ÖW und den LTOs beteiligt. Dies obwohl das beschilderte Radwegenetz in Vorarlberg fast 300 Kilometer lang ist und der 270 Kilometer lange, auch durch Vorarlberg führende Bodensee-Radwanderweg zu einer der beliebtesten Radrouten Europas zählt. Was waren bzw. sind die Gründe für die Absenz bei der Rad-Kampagne?

Schützinger: „Grundsätzlich sind wir dankbar für die Initiative. Wir haben am Angebot aber noch zu feilen. Unser Standpunkt ist: Zuerst am Produkt arbeiten, dann kommt die Kommunikation. Wir haben ein gutes Gratisangebot, aber noch nicht den Alpen-Adria-Weg. Wir brauchen vor allem Lenkung, keine Werbung, die ohnehin der Radreiseveranstalter übernimmt. Beschilderte Radwege gibt es vor allem für die AlltagsfahrerInnen. Die VorarlbergerInnen sind sehr rad­affin, das Rad wird auch beruflich intensiv genutzt. Das Radwegenetz erfüllt in erster Linie diesen Zweck. Unsere Aufgabe liegt nun darin, das vorhandene Angebot auch touristisch zu nutzen.“

T.A.I.: Sie erwähnten eingangs die Tourismusstrategie 2020. Konnten alle Punkte von ihr auch umgesetzt werden? Wie wirken sich diese in der Praxis aus?

Schützinger: „Die Betriebe arbeiten intensiv und in allen Bereichen daran. Die Säulen der Tourismusstrategie mit Regionalität, Nachhaltigkeit, Gastfreundschaft und Vernetzung werden uns auch nach 2020 begleiten, weil sie zu den Kernqualitäten des Tourismuslandes Vorarlberg gehören. Diese prägen das Image des Landes, was wir mittels der deutschen Reiseanalyse auch regelmäßig überprüfen. Hier zeigt sich, dass sich Werte wie Regionalität, Gastlichkeit oder Angebotsqualität deutlich verbessert haben. Zudem vergewissern wir uns auch durch regelmäßige Gästebefragungen vor Ort, wie die Angebote und Leistungen wahrgenommen werden. Die Ergebnisse sind immer sehr erfreulich und zeigen, dass die Strategie greift. So wird z. B. die regionale Küche stark wahrgenommen und auch sehr geschätzt. Die duale Ausbildung GASCHT, die sich an den Werten der Tourismusstrategie orientiert, ist in der Umsetzung und entwickelt sich hervorragend. Jetzt evaluieren wir alle Maßnahmen und werden im Herbst 2020 öffentlich Resümee ziehen.“

T.A.I.: Welche Akzente werden bei der nächsten Tourismusstrategie im Vordergrund stehen?

Schützinger: „Wir wollen die Aufgaben, die wir in Think-Tanks definieren, in kürzeren Intervallen umsetzen. Die Grundanliegen bleiben dieselben, nur die Werkzeuge werden sich an die Dynamik der touristischen Entwicklung anpassen. Die Digitalisierung wirkt hier sicher beschleunigend. Die nächste Tourismusstrategie wird im kommenden Jahr ausgearbeitet.“

T.A.I.: Worin liegen die Schwerpunkte des Vorarlberger Tourismus im kommenden Winter und was dürfen wir für den Sommer 2020 erwarten?

Schützinger: „Als Vorbereitung auf die Wintersaison 2019/20 wurden in Hotellerie und Gastronomie wieder zahlreiche Investitionen getätigt. Unverändert sind die topographischen Vorteile: Rund zwei Drittel Vorarlbergs liegen über 1.000 Meter, viele Skigebiete reichen in schneesichere Höhen von 1.400 bis 2.400 Metern. Da ist nicht nur genügend Platz für eine gute Mischung aus sanften und anspruchsvollen Skihängen, sondern auch für eine Kombination aus präparierten und unpräparierten Hängen. In allen Regionen – besonders am Arlberg – hat das Fahren im freien Gelände eine lange Tradition.

Auch im Sommer gibt es viel Neues. Es steht 2020 zwar kein Großereignis an, strategisch tut sich allerdings viel, u. a. im Bereich Mobilität, die eine der größten Herausforderungen im Land ist. Gemeinsam mit dem Land Vorarlberg und dem ÖPNV haben wir diesen Sommer ein Pilotprojekt in einer Destination gestartet, in der Gäste mit ihrer Gästekarte die öffentlichen Verkehrsmittel in ganz Vorarlberg nützen können und nicht nur jene am Aufenthaltsort. Das Projekt wird 2020 evaluiert und soll dann auf alle Urlaubsregionen ausgerollt werden.“

T.A.I.: Was wünschen Sie sich von der künftigen Bundesregierung?

Schützinger: „Unser Wunsch ist es, am Plan T – dem Masterplan für die Tourismusentwicklung – festzuhalten. Dieser geht in den meisten Bereichen mit der Vorarlberger Tourismusstrategie konform. Das ist übrigens auch der explizite Wunsch aller neun Landestourismusorganisationen.“

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