Zollfreie Gedanken

Grenzen

Print-Ausgabe 11. August 2017

Wer das Glück hat, einige Urlaubstage im Karstland hinter Triest zu verbringen, wird von kulturellem Reichtum und von kulinarischer Vielfalt verwöhnt. Beides ist ganz oft dort zu finden, wo Länder aneinander grenzen, die das Beste ihrer Traditionen in die zusammen gehörende Region einbringen. Mitten durch den Karst geht die Grenze zwischen Italien und Slowenien, sie ist nur mehr an einigen Straßenschildern erkennbar. Ansonsten heißt der kantige Rotwein abwechselnd Teran und Terano, der Schinken Prosciutto und Prŝut und in den alten Weingütern hüben und drüben haben die Gewerbedekrete aus der Hofkanzlei Maria Theresias noch immer einen Ehrenplatz in der guten Stube.

Eine ideale Gegend, um das Lebensgefühl zweier Kulturen zu genießen, ohne je den Pass zücken oder den Inhalt der Brieftasche umwechseln zu müssen. Die Grenze existiert einfach nicht, genauso wenig wie jene Einschränkungen, die im europäischen Tourismus gerade wieder Konjunktur haben. Seien es Wartezeiten am Walserberg und anderswo, sei es die temporäre Sperre von Museen oder ganzen Städten. Sie wird vehement von der einheimischen Bevölkerung gefordert, die, wie es der 2003 verstorbene schweizerische Tourismusvordenker Jost Krippendorf einstmals nannte, den Aufstand der Bereisten probt. Dabei hat er gar nicht mehr erleben müssen, wie überforderte Destinationen daran denken, Tickets für den Besuch ihrer historischen Zentren oder Zeitkarten für die Benützung von überlaufenen Wanderwegen auszugeben. Oder sich nur mehr damit zu helfen wissen, die Treppen vor den überlaufenen Kirchen regelmäßig mit dem Wasserschlauch abzuspritzen, um sie von Besuchern und deren Müll frei zu bekommen. In anderen schönen Gegenden wiederum, beispielsweise in unseren westlichen Bundesländern, versucht die Politik mit immer härteren Zwangsmaßnahmen dem Zweitwohnungsproblem beizukommen. Und auch im Kreuzfahrttourismus scheint manches aus dem Ruder zu laufen, wenn wir auf der einen Seite von noch mehr und noch größeren Schiffen hören, andererseits von lautstarken Protesten in vielen Hafenstädten, deren Bevölkerung sich vom stoßweise hereinbrechenden Überfall tausender Tagesgäste total überfordert fühlt.

Bemerkenswert an dieser geradezu bedrohlichen Entwicklung ist nebst vielem anderen eines: akademische Arbeiten zu dem Thema sind bisher die Ausnahme und nicht die Regel. Die befassen sich dann doch lieber ein weiteres Mal mit der Analyse der Anklick- Raten auf Websites von Hotels und Destinationen oder der wissenschaftlichen Beobachtung von Blickkontakten beim Besuch touristischer Attraktionen. Ob und wie es zu diesen Blickkontakten in Zukunft in menschenwürdiger Form überhaupt noch kommen wird, wäre wohl das wichtigste Thema am Institut Krippendorfs, so es ihn mit seinem Anliegen heute noch gäbe.

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben