Print-Ausgabe 14. Juni 2024
Es war als schöngeistiges Interview geplant, doch gekommen ist alles anders – ÖHV-Präsident Walter Veit nahm im Gespräch mit T.A.I. kein Blatt vor den Mund
Nach der EU-Wahl von vergangenem Sonntag ist vor der österreichischen Nationalrats-Wahl, bei der alle Regierungspositionen zur Disposition stehen. T.A.I. hat aus diesem Grund den Präsidenten der ÖHV (Österreichische Hoteliervereinigung) Walter Veit zu einem Interview über die „Lage der Tourismus-Nation“ gebeten. Neben der Innenpolitik und der volkswirtschaftlichen Lage kam dabei auch die betriebswirtschaftliche Ebene nicht zu kurz.
T.A.I.: Corona ist abgehakt, das befürchtete Branchensterben konnte – nicht zuletzt durch die enge Abstimmung zwischen Politik und Branchenvertretung – verhindert werden. Ist alles gut gelaufen?
Walter Veit: „Es hätte schlimmer kommen können. Damit darf man sich aber nicht zufriedengeben. Die Corona-Nachwirkungen klingen jetzt endlich aus und das ist gut so. Es kommen auch die letzten Fernmärkte wieder in Bewegung, wie China, wo es besonders lange gedauert hat. In sehr langwierigen Gesprächen mit dem Finanzminister und dem Vizekanzler konnten wir uns auch auf eine Lösung für unsere großen Leitbetriebe einigen. Eine engere Abstimmung von Beginn an wäre für beide Seiten besser gewesen.“
T.A.I.: Das erste Resümee fällt also nüchtern aus ...
Walter Veit: „Ja. Und das mehr als vier Jahre nach Corona-Beginn. Weil in Österreich alles ewig dauert. Unser Wappentier sollte nicht der Bundesadler sein oder ein Lipizzaner, sondern der Amtsschimmel. Wir sind ja mit der COFAG (COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes) immer noch nicht ganz durch, haben aber für 99,9 % der Mitglieder eine Lösung. Das Engagement von der ersten Minute weg hat sich ausgezahlt. Und vor allem: Es wirkt so, als wären die Unternehmen die einzigen, die aus der Krise gelernt haben. Untersuchungsausschüsse werden missbraucht, um andere anzupatzen. Selbstkritik vernehme ich nirgends.“
T.A.I.: Positiv ist zumindest, dass die Gäste zurück sind. Dennoch scheint die Stimmung getrübt. Woran liegt das?
Walter Veit: „Vor allem an neuen Krisen: In Österreich sind durch die besondere Abhängigkeit vom russischen Gas die Energiekosten viel stärker gestiegen als überall sonst und die Politik hat sich dazu entschieden, nicht in den Markt einzugreifen. Politiknahe Energieversorger haben Rekordgewinne verzeichnet, da wollte niemand stören. Wir haben in unseren Unternehmen nicht nur für die eigenen gestiegenen Energiekosten gezahlt, sondern auch für die unserer Beschäftigten, unserer Zulieferer und Dienstleister. Weil die Hotellerie ihre Waren und Dienstleistungen zum allergrößten Teil im Inland kauft – dem Land mit der höchsten Inflation der EU (Anm.d.Red.: nur Kroatien lag zuletzt höher). Das macht uns zu schaffen.“
T.A.I.: Welche Rolle spielt der Zinsanstieg?
Walter Veit: „Eine große, da es sich um eine kapitalintensive Branche handelt, wo Instandhaltungen, Qualitätsverbesserungen und Angebotserweiterungen fast zwingend mit der Aufnahme von Fremdkapital verbunden sind. Die Hotellerie sitzt in einer echten Zwickmühle zwischen überdurchschnittlichem Mitarbeiteraufwand und hohem Investitionsaufwand mit einer ganz schlechten Abschreibung, jetzt noch verschärft durch die steigenden Zinsen. Ich weise seit Jahren bei jeder Gelegenheit darauf hin. Jetzt kommt nach unglaublichen acht Jahren die erste Zinssenkung.“
T.A.I.: Gibt es ein Licht am Ende des Tunnels?
Walter Veit: „Das wollten wir von den Kolleg:innen wissen und haben gemeinsam mit Deloitte nachgefragt. Mehr als 200 Unternehmen gaben dabei ein sehr präzises Bild von der Lage in der Qualitätshotellerie. Die Aussichten für die eigene Branche sehen sie schlechter als für die Gesamtwirtschaft. Pessimistischer war die Branche nur zum Corona-Höhepunkt 2020. Ein Drittel befürchtet, dass sich die Lage noch verschärft. Die Politik wäre gut beraten, rasch zu reagieren. Der Tourismus ist ja ihre letzte verbliebene Konjunkturstütze.“
T.A.I.: Wie sieht es mit der Buchungslage aus?
Walter Veit: „Das Vertrauen der Gäste in unser Angebot ist ein echter Rettungsanker. Die Buchungen laufen gut. Ganz entkoppeln können sich die Gäste von der schwachen Konjunktur und den steigenden Haushaltskosten freilich nicht: Buchungen werden verschoben, von der Haupt- in die Nebensaison, von 4- in 3-Sterne-Häuser, die zweite Flasche Wein wird gestrichen. Klar merken wir das. Umso wichtiger ist jetzt gutes Revenue Management. Wer da nicht auf Zack ist, bekommt das rasch zu spüren. Unter Preis verkaufen ist ganz falsch. Man kommt aus dem Loch, das man sich selbst gräbt, nur schwer wieder hinaus.“
T.A.I.: Abgesehen von Revenue Management-Schulungen: Was tun?
Walter Veit: „In einer so hartnäckigen Krise heißt es, sein Unternehmen in seiner Gesamtheit gut aufstellen, Prozesse optimieren, die eigenen Zahlen im Griff haben. Umso mehr, weil wir wenig Einfluss haben auf Konjunktur, Zinsen, bewaffnete Konflikte, die neben Leid auch Kosten verursachen, viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Politik emotionalisieren und da noch weniger Platz für Vernunft lassen. Noch dazu ist die EU gelähmt, bis die neue Kommission steht, und der Bund noch viel länger.“
T.A.I.: Was wäre Ihrer Meinung nach das richtige Rezept?
Walter Veit: „Wir müssen wieder zur Sachpolitik zurückkehren. Wichtig ist jetzt Einigkeit innerhalb der Branche. Die Initiative ‚Zukunft Tourismus‘, in der die ÖHV und sieben andere Tourismusorganisationen an einem Strang ziehen, macht das vor: Wir haben gemeinsame Ziele, und zwar welche, von denen sich auch die Politik überzeugen lassen kann und wird.“
T.A.I.: Wie sollen die Ziele für die Politik aussehen?
Walter Veit: „Es müssen positive Wachstumsziele sein, die wir gemeinsam anstreben, also nicht Ankünfte und Nächtigungen, sondern bessere Ziele, wie Wertschöpfung! Dagegen kann niemand etwas haben. Das kann klappen, ohne mit anderen Zielen in Widerspruch zu geraten, also Nachhaltigkeitszielen und der Tourismusakzeptanz. Wir brauchen bald Benchmarks und Ziele sowie Programme mit konkreten Maßnahmen und Zeitplänen. Wir haben den Prozess jetzt angestoßen und bleiben dran.“
T.A.I.: Wann rechnen Sie mit konkreten Ergebnissen in Österreich und in der EU?
Walter Veit: „Wir brauchen auf EU-Ebene eine Strategie mit Zielen und Programmen, bevor der nächste mehrjährige Finanzrahmen in die konkrete Planungsphase geht. Der tritt 2028 in Kraft, viel Zeit bleibt da nicht, angesichts der langwierigen Prozesse in Brüssel. Auf Bundesebene gehört das ab sofort in jedes Regierungsprogramm, als neuer fixer Bestandteil einer verantwortungsvollen und umfassenden Wirtschafts- und Standortpolitik.“
Erstellt am: 14. Juni 2024
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