Zollfreie Gedanken

Von Treppen und Plätzen

Print-Ausgabe 23. September 2016

Wie der Korrespondent einer österreichischen Tageszeitung aus Rom berichtet, präsentiert sich die Spanische Treppe derzeit so schön wie lange nicht mehr. Der Juwelier Bulgari aus der benachbarten Nobeleinkaufsstraße Via dei Condotti hat 1, 5 Millionen Euro für ihre Restaurierung gesponsert, derzeit ist sie durch eine durchsichtige Plexiglaswand abgesperrt. Noch würden deswegen Heerscharen von Touristen nicht den Blick auf das Bauwerk verdecken, so der Korrespondent weiter. Der Financier des Umbaus wiederum findet, das wertvolle Monument dürfe nicht Barbaren überlassen werden, die dort essen, sich betrinken und Zigarettenstummel wegwerfen.

Hier scheint ein fundamentales Missverständnis vorzuliegen. Eine Treppe ist eine Treppe ist eine Treppe. Sie dient dazu, zwei Ebenen oder zwei Vierteln einer Stadt zu verbinden und hat damit eine wesentliche Funktion im urbanen Gefüge. Dafür wurde die Spanische Treppe vor knapp 300 Jahren gebaut. Seit damals wird sie von allen Benützern und Betrachtern ob ihrer Gestaltung bewundert und zählt daher zu den Fixpunkten beim Besuch der Ewigen Stadt. Von vielen modernen Funktionsbauten kann das schon nach ihrer Entstehung nicht behauptet werden, geschweige denn, dass sie irgendwann einmal in Reiseführern oder Reiseblogs vorkommen werden. Ganz im Gegenteil zu anderen, gelungenen städtebaulichen Highlights der Gegenwart wie zum Beispiel dem Museumsquartier in Wien. Dort treiben sich jährlich über drei Millionen Einwohner und Gäste der Stadt herum, finden das Ambiente mit seinen Museen, Restaurants und vor allem seinen originellen Sitzmöbeln einfach wunderbar und stellen die städtische Müllabfuhr offenbar nicht vor unlösbare Probleme. Es ist anzunehmen, dass viele unter den sich hier in der Sonne räkelnden Touristen auf einem ihrer nächsten Städtetrips auch auf der Spanischen Treppe sein werden. (Persönliche Anmerkung des Kolumnisten: Vor vielen Jahren war er als Student einer davon, das Herumsitzen auf den Stufen zählt heute noch zu einem der unvergesslichen Momente seines Lebens.) Warum, so stellt sich die Frage, sollen sich Touristen in Rom anders als in Wien benehmen. Vielleicht liegt es an ein paar nicht vorhandenen dezenten Hinweistafeln, ebenfalls nicht vorhandenen, dezent angebrachten Abfallbehältern oder den fehlenden, freundlich mahnenden Blicken offiziell wirkender Personen. Es muss ja nicht gleich um empfindliche Geldstrafen für weggeworfene Zigarettenstummel wie in Singapur gehen. Auch die rundum sichtbaren Bemühungen der städtischen Müllabfuhr haben durchaus erzieherische Wirkung. Was aber gar nicht geht, ist es, die bösen Touristen wieder einmal um ein einmaliges Erlebnis, die Bewohner um die schönste Abkürzung ihrer Stadt und die Welt um eine ihrer großartigsten Sehenswürdigkeiten zu bringen.

Helmut Zolles

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