ANA
Standpunkt

Touristischer Lehman

Print-Ausgabe 4. Oktober 2019

Zwei Themen dominierten in den zurückliegenden zwei Wochen das Geschehen und werden dies noch weiter tun: die Nationalratswahlen samt ihren Folgen und die Thomas Cook-Pleite sowie deren Konsequenzen. Bei ersterer waren die Ergebnisse überraschend, bei letzterer, dass es so plötzlich zum dicken Ende kam. Auch wenn sich die Thomas Cook PLC bereits seit Jahren in Schieflage befand, so richtig rechnete niemand mit dem finalen Aus. Hierzulande nicht, ebenso wenig in allen anderen betroffenen Ländern. Und das sind viele.

Für Erdbeben sorgen beide Ereignisse: die Nationalratswahlen durch die in diesem Ausmaß nicht erwartete Implosion der Freiheitlichen, das sensationelle Comeback der Grünen mit ihrem besten Ergebnis aller Zeiten, das erfreuliche Abschneiden der NEOS, die nochmals deutlich zulegenden Türkisen, die auf historischen Tiefststand gefallenen Roten und der Rekordabstand, durch den die beiden nunmehr getrennt sind. Die Thomas Cook-Pleite mit Epizentrum in Europa wiederum erschütterte die Touristik-Landschaft in aller Welt, vom Roten Meer bis ans Nordkap, von den Kanaren bis nach China.

Betroffen davon sind nicht nur die 22.000 Cook-MitarbeiterInnen weltweit und die rund 11 Mio. Kunden (diese dank Insolvenz-Absicherung am allerwenigsten), sondern vor allem Reisebüros in allen 16 Quellmärkten, in denen Cook aktiv war, sowie Incoming-Agenturen und Hotellerie in den Destinationen. Die rund 200 zum Eigenmarken-Portfolio gehörenden Anlagen der „Thomas Cook Hotels & Resorts“ gehörten mit 40.000 Zimmern in 47 Destinationen weltweit zu den 50 größten Hotelunternehmen, mit 3.150 Hotels wurde von Thomas Cook im Kernbereich „Sun & Beach“ eng zusammengearbeitet und für in Summe 150.000 Unterkunftsbetriebe bestand eine Buchungsmöglichkeit.

Von den Destinationen ist Spanien am stärksten betroffen. Zuletzt hatten rund 7,1 Mio. Gäste ihre Reise oder den Flug über Thomas Cook in UK, Skandinavien und Kontinentaleuropa auf die Kanaren und die Balearen gebucht. Mehrere Zulieferfirmen mussten bereits eine Pre-Insolvenz anmelden. Es ist erst der Anfang.

Was Lehman Brothers vor elf Jahren für die Weltwirtschaft, ist Thomas Cook für die Touristik. Mag sein, dass der Vergleich hochgegriffen erscheint. Aber die Schockwellen, die von der Cook-Insolvenz ausgelöst wurden und werden, sind enorm und in ihrer Tragweite noch gar nicht abzuschätzen.

Jetzt fallen, Dominosteinen gleich, die 406 Cook’schen Tochtergesellschaften um, eine nach der anderen, darunter die Thomas Cook Austria. Die hat, – ebenso wie ihre Mutter in Deutschland und ihre Schwestern in Kontinental-Europa –, solide gearbeitet und Gewinne erwirtschaftet. Doch Garantie-Verpflichtungen für Anleihen und Kredite in Höhe von 2,025 Mrd. Pfund der PLC machen dies alles zunichte.

Und wie geht’s weiter? Ex- und bald wieder Kanzler Kurz darf sich auf lange, mühsame Koalitionsverhandlungen einstellen. Die Touristik wiederum auf einen langen, mühsamen Marsch durch ein Tal voll Schweiß, Blut und Tränen, in das sie durch die Cook-Insolvenz hineingestoßen wurde. Kaum jemand ist davon ausgenommen. Damit steht vor allem eines fest: Die beiden Top-Themen von Ende September werden uns alle noch länger beschäftigen, ist überzeugt der

Lupo

Ähnliche Artikel

Standpunkt

Besuch im Giardino Aretusa

20. September 2019 | Standpunkt
Standpunkt

Integrierter Irrweg und retour

06. September 2019 | Standpunkt
Standpunkt

Sommermärchen

23. August 2019 | Standpunkt

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben