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Pfuschgesetz nur mit Strafen durchsetzbar?

Print-Ausgabe 16. November 2018

Anders war es nicht zu erwarten: Als Retourkutsche für die Provokation durch das Drüberfahren der Bundesregierung beim Beschluss der „Arbeitszeitflexibilisierung“ unter Ausschluss der Arbeitnehmerseite inszenierten Gewerkschaft, Arbeiterkammer und SPÖ wie angekündigt einen „heißen Herbst“ – Streik inbegriffen. Thema der gegenseitigen Unfreundlichkeiten ist vor allem das Arbeitszeitgesetz mit 12 h-Arbeitstag bzw. 60 h-Woche. Dabei geriet die Tourismuswirtschaft ins Auge des Sturms: Weil gerade viele Arbeitsverträge für die Wintersaison abgeschlossen werden, war sie die erste Branche, die den schlimmsten Schwachpunkt dieses Gesetzes sichtbar machte – das Prinzip der „Freiwilligkeit“ für die zusätzlichen Überstunden. Die heftigen Proteste dagegen, dass der 12 h-Arbeitstag zum Normalfall werden könnte, hatten Vizekanzler H.C. Strache zur Zusage veranlasst, dass niemand muss, wenn er nicht will: Jeder kann die zusätzlichen Überstunden ohne Angabe von Gründen ablehnen – und damit nicht nach der zweiten Verweigerung der Job weg ist, darf ihm daraus kein Nachteil erwachsen. Wie „praxistauglich“ diese komplizierte Regelung ist, zeigte sich, als die Arbeiterkammer Arbeitsverträge aus der Hotellerie und Gastronomie vorlegte, in denen die Mitarbeiter ihre „freiwillige Bereitschaft“ bestätigen sollten, bei „Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfes eine Tagesarbeitszeit von bis zu 12 Stunden sowie eine Wochenarbeitszeit von bis zu 60 Stunden zu leisten“.

Dass ein solcher Vorwegverzicht vermutlich rechtswidrig, jedenfalls aber rechtsunwirksam ist, liegt auf der Hand. Der Aufschrei der Arbeitnehmerseite war einstimmig: Es gehe hier nicht um ein paar schwarze Schafe oder verunsicherte Unternehmer, wie deren Vertreter behaupten, sondern um die Spitze eines Eisberges. Ziel sei eine systematische Umgehung des Gesetzes, das „grundlegend verändert“ oder „zurück an den Start“ geschickt werden müsste.

Bemerkenswert die Reaktion der WKO: Generalsekretär Karlheinz Kopf (und fast gleichlautend die Bundessparte Tourismus und die Fachverbände Hotellerie und Gastronomie) bekannten sich „zu 100 Prozent zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und zum Arbeitnehmerschutz“. Kopf unterstrich, dass nötigenfalls strengere Strafen und Kontrollen zu akzeptieren sein würden. Kein Wort davon, dass die Unzulänglichkeit des Gesetzes die Ursache für das Verhalten mancher Unternehmer sein könnte. Wer meint, dass man so Kritik an der Regierung (Stichwort „Message Control“) vermeiden wollte, dürfte Recht haben.

Tatsächlich war ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer die Einzige, die das Gesetz als „missverständlich“ sowie in seiner derzeitigen Form „nicht anwendbar“ bezeichnete und eine Präzisierung der Bedeutung dieses Begriffes forderte. Mit einem guten Beispiel: Wenn der Mitarbeiter einmal im Dienstplan steht, ist die Freiwilligkeit zwangsläufig zu Ende – und das ist eine Woche vor dem Termin. Wie die Arbeitnehmer mit Recht die Planbarkeit ihrer Freizeit fordern, haben auch die Unternehmer Anspruch auf die Planbarkeit der Arbeitszeit. Die unzulässigen Verträge seien vor allem deshalb entstanden, weil verunsicherte Unternehmer fürchten, dass am Abend plötzlich die Rezeption oder die Küche nicht mehr besetzt sind. Entscheidend sei die Rechtssicherheit für beide Seiten.

Und wie geht’s weiter? Tourismusministerin Elisabeth Köstingerzeigte sich vor dem Tourismusausschuss im Nationalrat überzeugt, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeit die Beschäftigung im Tourismus attraktiver macht, Sozialministerin Hartinger-Klein sieht keinen Anlass zu einer Änderung des Gesetzes und glaubt, mit strengerer Bestrafung schwarzer Schafe auszukommen. Dass die Wirtschaft mit einem Pfuschgesetz leben muss, das sich nur mit Strafen durchsetzen lässt, möchte man sich gar nicht vorstellen.

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