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Lieferservice: Alle im roten Bereich

Print-Ausgabe 5. Mai 2017

In Deutschland schreibt die seriöse „Frankfurter Allgemeine“ bereits von einem „Straßenkampf ums Essen“, in Österreich geht es noch weniger martialisch zu. Es geht um das Essen auf (Fahr-)Rädern, die Lieferung von Speisen und Getränken von Imbissstuben und Restaurants zum privaten Fernsehsofa kochfauler Konsumenten. Aus dem handgestrickten „Pizzaservice“ hat sich – die Digitalisierung machte es möglich – in wenigen Jahren ein Millionenmarkt entwickelt, in dem sich ein paar Startups in die lichten Höhen von enormen Wachstumsraten und absurden Milliardenbewertungen schwingen. In Österreich teilten sich diesen Boom-Markt bisher vor allem der in Berlin gegründete Weltmarktführer Delivery Hero mit den Unternehmen „Mjam“ und „Foodora“, und der holländische Konzern Takeaway.com mit der Marke „Lieferservice“. Seit kurzem ist ein neuer Player im Spiel: Der Privattaxi-Vermittler Uber ist mit der Plattform „UberEats“ in zunächst 50 Städten in das Liefergeschäft eingetreten, als erste Stadt im deutschsprachigen Raum in Wien. Und er bewegt sich auch hier im rechtlichen Graubereich: Größter Wert wird darauf gelegt, immer nur als Vermittler von Leistungen, nie als Leistungsträger aufzutreten und für nichts zu haften.

UberEats als neue Player

Bei Mjam und Lieferservice übernimmt die Plattform nur die Bestellung und das Online-Inkasso und kassiert dafür rund zehn Prozent Provision. Der Lieferant muss den Transport zum Kunden selbst organisieren und verrechnet dafür eine Zustellgebühr, meist zwei bis vier Euro. Foodora und UberEats besorgen auch den Transport, die Gesamtkosten für den Lieferanten bewegen sich um 30 Prozent. Nur Foodora beschäftigt (zum Teil) angestellte Fahrradboten, die etwa neun Euro pro Stunde verdienen sollen. Die Zusteller von UberEats sind „Selbständige“ in einer eher abenteuerlichen Konstruktion: Sie werden den Lieferanten als Werksvertragsnehmer vermittelt, jede Auslieferung ein neuer Vertrag. Ihr Honorar wird allerdings von Uber berechnet (Fix- und Kilometergebühr) und bezahlt, 12 Euro pro Stunde sollen erreichbar sein, natürlich selbst zu versteuern. Dass Sozialversicherung und Arbeiterkammer diese offensichtliche „Scheinselbständigkeit“ tatenlos hinnehmen, ist immerhin seltsam.

Foodora hat kürzlich unter Mitwirkung der Gewerkschaft Vida einen Betriebsrat gegründet, mit der Kammer wird ein Kollektivvertrag für Zusteller diskutiert, natürlich mit Arbeitszeitvorgaben, Sonderzahlungen etc. Das wird ein Problem verschärfen, das niemand bestreitet: Bisher hat keine einzige Lieferplattform auch nur einen Euro Gewinn gemacht. Der Hauptgrund liegt auf der Hand, die einzelnen Geschäftsfälle sind zu klein, um mit einem Provisionsmodell die hohen Kosten zu decken. Und ob es der Gastronomie unterm Strich mehr bringt, als gewinnbefreiten  Zusatzumsatz, ist auch umstritten.

Verluste sind kein Hindernis

Damit stellt sich die Frage nach dem Wert solcher Geschäftsmodelle. Solange ein Unternehmen nicht an der Börse notiert, ist mit Zahlen Vorsicht geboten, sie sind kaum überprüfbar. Der Finanzinformationsdienst Bloomberg schätzte Uber für 2016 mit 5,5 Milliarden Dollar Nettoumsatz, aber fast drei Milliarden Verlust ein. Trotzdem wird der Marktwert des Unternehmens auf rund 70 Mrd. Dollar hochgejubelt, weit mehr, als etwa General Motors. Der Schlüssel ist die exorbitante Expansion. Das dafür nötige Kapital holen sich die „Start Ups“  in „privaten“ Finanzierungsrunden, was die Geldgeber dazu motiviert, Millionen zu riskieren, ist auch Bankfachleuten unklar. Wenn diese Geldquelle versiegt, ist der Gang an die Börse fällig, wie im Vorjahr bei Takeaway.com. Obwohl dem Unternehmen bei 100 Mio. Euro Jahresumsatz 25 Mio. Verlust zugeschrieben werden, wurden Aktien um 328 Mio. Euro verkauft, der Börsenwert des Unternehmens wird auf fast eine Milliarde berechnet. Vom Verkaufserlös wird allerdings nur die Hälfte in die Unternehmenszukunft investiert, 175 Mio. fließen direkt auf die Konten der „Wagnisfinanzierer“, des Firmengründers und der „privaten“ Geldgeber. Auf diese Weise haben auch Zuckerberg & Co mit dem Börsegang von Facebook ihre Schäfchen ins Trockene gebracht. Für sie war das Geschäftsmodell „hochjubeln und verkaufen“ jedenfalls erfolgreich – die Zukunft des Unternehmens ist dann nicht mehr ganz so wichtig. Und das soll ausreichend sein, um die EU-Empfehlung zu rechtfertigen, die Entwicklung solcher Geschäftsmodelle nicht deshalb zu behindern, weil sie bestehende gefährden?

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