ANA
Durchgeblickt

Fachkräftemangel – eine Folge des Erfolges

Print-Ausgabe 28. Juni 2019

Das Problem ist flächendeckend in fast ganz Europa: Es gelingt immer weniger, die für die Erbringung einer entsprechenden Leistungen notwendigen Fachkräfte und zunehmend auch die Hilfskräfte sicher zu stellen. Die Zahl der Lehrlinge ist durch die demografische Entwicklung mit geburtenschwachen Jahrgängen rückläufig, offensichtlich ist die Branche aber auch für die geänderten Ansprüche der Jugend nicht attraktiv genug. Nicht nur der heimische Markt ist weitgehend ausgetrocknet, auch in den Nachbarländern ist es kaum anders. In den nächsten Jahren wird sich die Situation noch verschärfen, weil die Fortsetzung der Qualitätssteigerung den Bedarf an entsprechenden Arbeitskräften weiter erhöht. Der Fachkräftemangel ist also – jedenfalls zum Teil – eine Folge des Erfolges. Es gibt viele kleine Rädchen, an denen gedreht werden kann, insbesondere bei der Ausbildung und Qualifizierung. Nach Lösungsvorschlägen für die großen Herausforderungen wird aber weiterhin gesucht. Ein entscheidender Ansatzpunkt: Es geht nicht nur um Geld und Arbeitsleid, sondern um Wertschätzung für alle, die im Tourismus tätig sind.

So kann man das Ergebnis des ersten Internationalen Tourismus- Arbeitsmarkt Dialoges zusammenfassen, bei dem ÖHV-Präsidentin Michaela Reitterer prominente Repräsentanten der Schwestervereinigungen in Deutschland, der Schweiz und Südtirol begrüßen konnte. Nicht nur sie waren in der Beurteilung der Arbeitsmarktsituation weitgehend einig, auch Andreas Gollner von der Gewerkschaft Vida bestätigte, dass Probleme und Themenlage aus der Sicht der Mitarbeiterinnen nahezu gleich seien: Mehr Wertschätzung von beiden Seiten, mit den Menschen anders umgehen.

Mit einer Auswertung der Sozialversicherungsdaten beleuchtete Dominik Walch vom IHS die voraussehbare Entwicklung des Arbeitsmarktes im Tourismus. Entscheidend für diese Branche ist die totale Abhängigkeit des Arbeitskräftebedarfes von der Nachfrageentwicklung, er nimmt nach einem seit vielen Jahren stabilen Muster zu- und ab. Wie viele MitarbeiterInnen zusätzlich benötigt werden, hängt vom Wachstum der Branche ab. Walch rechnet damit, dass dies in der Hotellerie bis 2023 etwa 8.000 sein werden. Dazu kommen noch jene aus der normalen Fluktuation, man kann davon ausgehen, dass jährlich 50.000 bis 60.000 „neue“ Arbeitskräfte benötig werden – bei durchschnittlich 273.000 (2018) Beschäftigten eine beachtliche Herausforderung.

Marco Nussbaum, CEO der Priceotels – eine Kette von Economy Design Hotels – meinte zur Frage, wie sich ein für die junge Generation attraktiver Arbeitgeber darstellen sollte, dass sich die Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Mitarbeiterführung total geändert hätten: Die Work-Life-­Balance, das Gleichgewicht von Beruf und Privatleben, werde immer wichtiger, die sinngebende Aufgabe stehe im Vordergrund, es gehe um Werte und Wertschätzung als wesentliche Teile der Unternehmenskultur. Bei einer Bewerbung sei eine entscheidende Frage, „Was können wir dir anbieten, damit du kommst“?
Der materielle Aspekt sollte bei so viel Esotherik aber nicht unterschätzt werden: In der Einkommensstruktur liege, so Nussbaum, Gastronomie und Hotellerie „sehr weit hinten“. Mit diesen Gehältern könnten die Grundbedürfnisse, die ein Hotel zu befriedigen hat, kaum mehr erfüllt werden. In den Priceotels erhalten die „Azubis“ die doppelte Gage.

Nussbaumer relativierte diese für österreichische Hoteliers eher alarmierende Aussage mit einem Hinweis auf die Ertragsentwicklung der Hotellerie: Mieten, Betriebskosten, Distribu­tionskosten über teure Portale und auch die Personalkosten haben Größenordnungen erreicht, die die Erfüllung der Grundbedürfnisse immer schwieriger machen. „Bald werden wir es uns nicht mehr leisten können, die Zimmer zu putzen“.
Das hat Folgen: Immer mehr Hoteliers reagieren mit Leistungseinschränkungen. So wer­den auch aus prominenten Tourismusregionen Leistungskürzungen berichtet, etwa die Reduktion der Restaurantleistung auf Halbpension, bzw. Bed & Breakfast-Niveau, die Kürzung von Öffnungszeiten, sogar Hochzeitsgesellschaften mussten abgelehnt werden. ÖHV-Präsidentin Reitterer meinte, dass die Hotellerie auch mit Budget- oder Sharing-Angeboten dem Kostendruck ausweichen könnte, während dem Staat durch diese erst am Anfang stehende Entwicklung Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen verloren gehen, die nicht kompensiert werden können. Allenfalls durch Steuererhöhungen – aber wer kommt denn auf sowas?

Kommentar schreiben

Bitte die Netiquette einhalten. * Pflichtfelder

Nach oben