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Ein Pferd müsste man sein

Print-Ausgabe 3. Juni 2016

Gearbeitet darf grundsätzlich nur jeden zweiten Tag werden, und zwar von 10 bis 22 Uhr, um die Stressbelastung nicht zu hoch werden zu lassen, inklusive Fahrzeiten von und zum Arbeitsplatz. Ab 35 Grad im Schatten ist Hitzefreizeit vorgeschrieben. Vor jedem Arbeitseinsatz ist die Tauglichkeit der Arbeitskräfte samt einem Gesundheitscheck zu dokumentieren. Zum Einsatz dürfen nur Arbeitskräfte kommen, die auf Grund ihres Wesens und ihrer Ausbildung nachweislich mit der vorgesehenen Tätigkeit zu Recht kommen, was von einem Spezialisten zu überprüfen ist. Diese ab Herbst per Gesetz vorgesehenen doch recht komfortablen Arbeitsbedingungen betreffen eine Berufsgruppe, die diesbezüglich ohnedies bereits besser gestellt ist, als die meisten anderen. So müssen die Mitarbeiter, wenn sie für ihre Aufgaben mehr als sechs Stunden im Tag im Einsatz sind, an zwei aufeinander folgenden Tagen in der Woche frei haben. Und der Arbeitgeber muss pro Arbeitsteam eine Rücklage von 25.000 Euro nachweisen, um garantieren zu können, dass auch „über einkommensschwache Zeiten“ dessen Versorgung gesichert ist. Der Mitarbeitervertretung reicht das noch nicht: Sie wünscht sich eine Arbeitszeitbeschränkung von 9 bis 19 Uhr und Hitzefreizeit ab 30 Grad.

Der Eindruck, dass es sich bei dieser großzügigen Regelung von Arbeitsbedingungen um eine ganz besondere Branche handeln muss, ist richtig: Es geht nicht um Menschen, sondern um Pferde. Wer Mitarbeiter durch Pferd, Arbeitsteam durch Gespann und Mitarbeitervertretung durch Tierschützer ersetzt, weiß: Es geht um die Wiener Fiakerpferde. Für den durch die steigende Sommerhitze belasteten Einsatz der Pferde haben Wiens Tierschutzstadträtin Ulli Sima und Umweltsprecher Rüdiger Maresch ein neues Vorschriften-Paket entwickelt, das ab September wirksam werden soll.

Wenn unter diesem Eindruck ein Koch, für den – wie für allen anderen Arbeitskräfte außer am Bau – keine Hitzegrenze gilt, oder ein Kellner im Saisonstress, der auch gerne jeden zweiten Tag frei hätte, sein Arbeitsschicksal mit dem Seufzer „ein Pferd müsste man sein“ beklagt, ist das nachvollziehbar. Sie haben das Pech, dass ihre Interessenvertretung nur eine Gewerkschaft ist, die bei überzogenen Ansprüchen damit rechnen muss, dass die Arbeitsplätze dann zwar geschützt, aber nicht mehr vorhanden sind. Die Tierschützer bleiben von solchen Problemen unberührt: In der Gewissheit, eines der immer mehr werdenden Tabuthemen zu bedienen, können sie sich fast alles erlauben. Wer auch nur milde Kritik daran übt, dass vielleicht doch die eine oder andere Forderung übertrieben sein könnte, muss damit rechnen, von einem Shitstorm verschüttet zu werden. Weil sich niemand mit dieser gelegentlich militanten Gruppe anlegen möchte, bleiben die Fiakerunternehmer mit ihrem Protest gegen die überraschende Neuregelung des Wiener Fiakergesetzes alleine: Ihre Argumente, dass eine Überlastung ihrer fast 400 vom Veterinäramt ständig kontrollierten Pferde schon dadurch begrenzt sei, dass auf den 58 Standplätzen ohnedies nie mehr als 116 Tiere gleichzeitig eingesetzt werden könnten und dass jede weitere Einschränkung einem der ältesten Gewerbe die wirtschaftliche Existenzgrundlage entziehen würde, werden nicht einmal ignoriert.

Studie kein Beweis?

Zum Thema Sommerhitze stellte bereits 2008 eine wissenschaftliche Studie der Veterinäruniversität fest, dass „die klimatischen Bedingungen die Fiakerpferde in ihrem physiologischen Anpassungsvermögen nicht überfordern“. Als Beweis dafür, dass die Tiere nicht doch unter der Hitze leiden, erkennen die Tierschützer das nicht an und verweisen auf noch andere Stressfaktoren. Natürlich sind Tier/Mensch-Vergleiche problematisch. Für einen Hinweis darauf, dass das Maß für die Zumutbarkeit von Stress für beide Seiten aus dem Gleichgewicht gerät, eignen sie sich aber allemal.

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