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Der Tourismus wird auch Corona überleben

Print-Ausgabe 22. Jänner 2021

Das Jahr 2021 hat für den Tourismus genauso begonnen, wie das Vorjahr geendet hat: Besch…eiden. Dass die bisherige Erfolgsbranche nicht nur in Europa, sondern im gröten Teil der Welt im Koma liegt, kompliziert die Lage und der Eindruck macht bang, dass jene, die den Rückweg ins Leben zeigen sollen, zunehmend die Orientierung verlieren.

Auch wenn noch schwer abschätzbar ist, wann es wieder eine Zukunft gibt, kann man einzuschätzen versuchen, wie sie aussehen könnte. Im ersten Schock über das Ausma des Desasters war die Reaktion der meisten „Zukunftsforscher“ ziemlich übereinstimmend: Nach Corona wird nichts mehr so sein, wie es war. Inzwischen sieht man es nicht mehr ganz so dramatisch, seit es Urlaubsreisen im aktuellen Sinn des Wortes gibt, werden die damit verbundenen Wünsche – die „Urlaubsmotive“ – immer wieder abgefragt und es zeigt sich, dass sich in den rund 150 Jahren grundlegend wenig verändert hat: „Erholung“ im Sinne von körperlicher und geistiger Entspannung, sich verwöhnen lassen , Kraft sammeln und Wärme und angenehmes Wetter im Sommer sind die Spitzengruppe mit bis zu 70 bis 80 Prozent. Und bei den aktiveren Urlaubsformen erreichen auch nur jene im gemütlicheren Bereich wie Wandern und Badeurlaub solche Werte. Bei den mit speziellen Aktivitäten verbundenen Urlaubsmotiven wie Kultur, Gesundheit oder Sport bleiben die meisten unter zehn Prozent, mit Schneesport als einzige Ausnahme: Er erreicht in den wenigen dafür geeigneten Ländern – mit Österreich in einer Spitzenposition – über 70 Prozent. Natürlich gibt es eine Menge von besonderen Angeboten für spezielle Interessensgruppen – Wellness, Kur, Bike etc. – , die aber nur Nischen füllen. 

Neue Urlaubsformen sind im Laufe der Jahre immer nur durch technologische Innovationen entstanden, vor allem im Mobilitätsbereich in Verbindung mit dadurch ausgelösten Kostensenkungen: Etwa die „Fernreise“ und der Städtetourismus durch billigen Flugverkehr und die Kreuzfahrten durch die Entwicklung der „Megaliner“.

Die Entwicklung der Urlaubs­reise zum Massenphänomen wurde und wird nach wie vor durch die „Demokratisierung“ des Urlaubs angetrieben: Wachsender Lebensstandard machte das ehemalige Luxusvergnügen immer mehr Menschen zugänglich. Die damit zwangsläufig verbundene Vermassung ist offensichtlich nicht so abschreckend, wie manche glauben. Ein schönes Beispiel: Bei einem neu in Dienst gestellten Kreuzfahrtschiff mit 6.000 Passagieren, die sich genauso wie im Badehotel in Mallorca im Morgengauen um eine nicht im Schatten stehende Liege bemühen müssen, verlässt im Durchschnitt ein Viertel bei Landgängen nicht das Schiff.

Die Urlaubs-Infrastruktur wurde weltweit nach den Wünschen der Gäste entwickelt, die keine Veranlassung haben, nach anderen Urlaubsformen zu suchen. Das ist vor allem für jene – nicht selten selbst Touristiker – frustrierend, die meinen, man sollte den Corona-Shutdown dazu nutzen, nicht dort wieder weiter zu machen, wo er begonnen hat, sondern vom grenzenlosen Wachstum als Ziel abzugehen, das auf die Dauer den ganzen Planeten überfordert. Statt schneller-höher-weiter sollte ein naturnaher, Menschen und Ressourcen schonender, „nachhaltiger“ Tourismus geschaffen werden. Dass solche fundamentalen Entwicklungen nicht dekretiert werden können, zeigte sich schon vor Jahrzehnten, als der heute überstrapazierte Begriff „nachhaltig“ noch nicht erfunden war und eine ähnliche ökoromantische Wunschvorstellung unter dem Namen „sanfter Tourismus“ sang- und klanglos verhauchte: Die Zielgruppe für eine solche Urlaubsform reichte nur für eine – durchaus sinnvolle – Nische, der Umsatz nicht einmal dafür. Tourismus ist keine soziale Veranstaltung, sondern muss ein paar hunderttausend Menschen ernähren.

Mit legitimer Kritik an einer Politik des unbegrenzten Wachstums ist man bei der Wirtschaft im allgemeinen und dem Tourismus im Besonderen an der falschen Adresse: Nicht jene sind das Problem, die ein noch schnelleres Auto, eine noch gröere Yacht oder einen dritten Luxusurlaub wollen, sondern die vielfach gröere Zahl jener, die nur das Gleiche wollen, das andere schon längst haben. Derzeit bevölkern rund 7,8 Milliarden Menschen den Planeten, in 25 Jahren werden es 9,7 Milliarden sein, um ein Viertel mehr. Auch mit diesem ungebremsten Wachstum ist der Planet überfordert. Aber das ist eine andere Geschichte, mit der sich niemand den Mund verbrennen will.

Die Corona-Erfahrungen haben gezeigt, dass viele für ein paar Urlaubstage das eigene Leben auf’s Spiel setzen. Es braucht also niemand zu befürchten, dass ihm nach der Seuche die Gäste ausgehen. Nur die Durststrecke bis dahin muss er überleben. 

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