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Interview Sepp Schellhorn

Blaues Auge für den Sommer! Doch die richtige Prüfung kommt erst

Print-Ausgabe 14. August 2020

Er zählt zu den heftigsten Kritikern der Regierung, wenn es um deren Tourismuspolitik geht: Sepp Schellhorn, Hotelier, Gastronom sowie Wirtschafts- und Tourismussprecher der NEOS. T.A.I. bat ihn jetzt zum Interview.

T.A.I.: Fünf Monate sind seit dem Shutdown vergangen. Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zwischen-
bilanz für den Österreich-Tourismus aus?

Schellhorn: „Das Gute im Schlechten ist, dass jetzt den meisten politischen Playern die zentrale Bedeutung des Tourismus bewusst geworden ist. Denn stirbt der Tourismus, stirbt auch der Tischler und ganze Regionen veröden. Der Tourismus hat in den vergangenen Jahren rund 900 Mio. Euro jährlich investiert. Ein Großteil dieser Investitionen bricht jetzt weg und diese Krise ist noch lange nicht ausgestanden. Der Ferientourismus wird durch die eingeschränkte Sommersaison zwar Verluste machen, aber mit einem blauen Auge davonkommen. Richtig düster sieht es hingegen im Städtetourismus, bei den Reiseveranstaltern, den Eventbetreibern und der Nachtgastronomie aus. Und trotz der realisierten Bedeutung des Tourismus lässt die Bundesregierung diese Betriebe komplett im Stich.“

T.A.I.: Bei aller Kritik stellt sich die Frage: Hat die Bundesregierung wirklich alles falsch gemacht? 

Schellhorn: „Hier muss man differenzieren. Mit scharfen Maßnahmen wurde die Ausbreitung des Virus eingedämmt, der Lockdown war politisch die richtige Entscheidung. Doch dann endete das Drehbuch der WHO für eine Pandemie, die Regierung war auf sich gestellt und die Fehler begannen. Statt auf eine Schule der Achtsamkeit setzte der Kanzler auf Angst- und Panikmache. 145 Gesetze wurden in Windeseile geändert oder neu erlassen. Heute wissen wir, die Corona-Ausgehregeln waren verfassungswidrig. Das Betretungsverbot für öffentliche Räume und die 400 m²-Verordnung wurden vom VfGH nachträglich gekippt. Das war Husch-Pfusch und sonst nichts. Während einer Flut an Regierungs-PKs wurde schnelle Hilfe versprochen. Doch selbst Monate nach dem Lockdown kommen die von der Regierung angekündigten Corona-Hilfen nicht bei den Unternehmen an. Weniger als ein Drittel der Kurzarbeit wurde bisher ausbezahlt, weniger als ein Fünftel des Härtefallfonds und nicht einmal 1 Prozent der Corona-Soforthilfe für Unternehmen. Das ist kein Hilfspaket, das ist ein Hohn.“ 

T.A.I.: Weshalb schießen sich die Oppositions-Parteien so auf die „Safe A“-Kampagne ein? 

Schellhorn: „WK-Präsident HaraldMahrer und Tourismusministerin ElisabethKöstinger zeigen uns gerade eindrucksvoll, wie man ein 150-Mio.-Euro-Projekt so richtig in den Sand setzt. Die Partnerlabore der Testregionen kennen weder die Corona-Strategie für Tourismusbetriebe, noch haben sie Kontakt zur Arbeitsgruppe ‚Safe A‘. Dem Irrsinn nicht genug, werden Jugendherbergen und Privatvermieter nicht getestet. Der Steuerzahler zahlt zwar für alle Tests, getestet werden aber nur WK-Mitglieder. Logisch, oder? Wer die Elite-­Unternehmensberatung McKinsey beauftragt hat, ist bis heute offen. Es verdichtet sich der Eindruck, dass sich hier ein paar Wirtschaftsbund-Freunderln einen 150 Mio. schweren Kuchen zuschanzen wollten. Und während Tourismusministerin Köstinger über die mangelnde Testbereitschaft der Betriebe klagt, verabschieden sich hohe WK-Multifunktionäre wie Mario Pulker, sang und klanglos mit den eigenen Betrieben aus dem Projekt ‚Safe A‘. Warum wohl? Weil für die Tourismus-Betriebe kein Mehrwert mit diesem steuerfinanzierten Test-Flop verbunden ist. Der jetzt vorgestellte Leitfaden für die Betriebe enthält keine Hilfestellung, die Test-Strategie ist bis heute nicht erkennbar und auf fehlerhafte Testergebnisse drückt man sich im Tourismusministerium betreten weg. Die halbe Sommersaison über wurde von Köstinger dilettiert und für die Wintersaison fehlt uns jede Strategie und Planungssicherheit.“ 

T.A.I.: Was wären Ihrer Ansicht die drei wichtigsten Punkte, die bezüglich Corona-Hilfspaketen für den Tourismus dringendst geändert gehörten? 

Schellhorn: „Unsere Forderung nach einem Verlustrücktrag wurde von Finanzminister GernotBlümel übernommen, das ist positiv. Jetzt bräuchte es aber rasch einen effektiven Rettungsschirm unter dem Motto „FREEZE“ für alle Tourismusbetriebe inklusive der Reiseveranstalter. Das bedeutet das komplette Aussetzen von Kreditraten, Zinszahlungen und Steuern. Den Betrieben sind die Stundungen zu streichen, Betriebe, die bereits überwiesen haben, sollen die Mittel wieder retour bekommen. Damit könnten Betriebe das ‚verlorene Jahr‘ weitgehend abschreiben und 2021 wieder weitermachen, wenn die Konsumsituation besser ist. Wir brauchen auch eine Aufwertungsbilanz für gesunde Betriebe, die über die Jahre laufend investiert haben, aber deshalb eine schlechte Eigenkapitalquote aufweisen. Der dritte Punkt wäre eine Stilllegungserleichterung für jene Betriebe, die vorher schon schwer angeschlagen waren, die aber nicht zusperren können, ohne in die private Insolvenz zu schlittern.“ 

T.A.I.: Wie realistisch ist es Ihrer Ansicht nach, dass dies auch umgesetzt wird? 

Schellhorn: „Wenn es noch einen Funken Wirtschaftskompetenz innerhalb der ÖVP gibt, wird das umgesetzt. Dort interessiert man sich aber leider nur mehr für Großkonzerne, dazu reicht ein Blick auf die Hauptsponsoren von Sebastian Kurz im Wahlkampf. Fakt ist, die Unternehmerinnen und Unternehmer sind unverschuldet in diese Krise geraten. Wir Unternehmer sind keine Bittsteller, wir haben schlicht einen Anspruch auf rasche, unbürokratische Hilfe!“

T.A.I.: Sie haben seinerzeit gemeinsam mit dem jetzigen Sozialminister Anschober gegen die Abschiebung von Asylwerbern in der Lehre gekämpft. Jetzt werden die ersten mit Lehrabschlussprüfung abgeschoben, weil das Mitte Dezember 2019 so vom Nationalrat beschlossen wurde. Neben den Regierungsparteien haben damals auch SPÖ und NEOS – also auch Sie – für diese Vorgangsweise gestimmt. Ist das nicht ein Widerspruch?

Schellhorn: „Diese Vier-Fraktionen-Einigung war ein Kompromiss, dem wir zähneknirschend zugestimmt haben. Ich gebe Ihnen aber Recht, der Kompromiss war ein Fehler. Das Resultat ist ein bürokratisches Gesetz, das Unternehmer und Asylwerbende in Lehre gleichermaßen belastet und schikaniert. Das entbindet Sozialminister Anschober aber nicht von seiner Verantwortung, diese unmenschliche Vorgehensweise und wirtschaftliche Dummheit zu korrigieren. Ich appelliere hier an sein Gewissen und poche darauf, dass er weiterhin für seine Themen einsteht – auch wenn sein Regierungspartner gegenteilige Ziele verfolgt.

Unser 3+2 Modell inklusive einer echten Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte wäre eine einfache und unbürokratische Alternative zum jetzigen Murks. Dieses Land muss endlich eine Migrationsstrategie entwickeln. Fakt ist nämlich, dass wir unter einem Lehrlings- und Fachkräftemangel leiden und sich diese Problematik durch die demografische Entwicklung noch verschärfen wird.“ 

T.A.I.: Sie meinten vorhin, dass der kommenden Winter ‚die wirklich schwierige Saison‘ werde. Warum?

Schellhorn: „Es wird Rückgänge geben, das ist unausweichlich. Sowohl eine Impfung als auch ein Medikament sind derzeit nicht in Sicht und es gibt gerade im Winter keine volle Sicherheit. Wir können im Freien dem Ski- und Wintersport frönen, aber wir können nicht im Freien unsere Abende verbringen. Darum braucht es eine Schulung der Achtsamkeit und eigenverantwortliches Handeln. Welches Risiko bin ich bereit einzugehen und wie schütze ich mich? Hier braucht es mehr als eine PR-Show der Regierung. Hier erwarte ich mir von der Regierung endlich, was den Betrieben versprochen wurde: Rasche Hilfe und klare Ansagen, um wieder planen zu können. Und wir Bürgerinnen und Bürger sind nicht wie unmündige, ängstliche Kleinkinder zu behandeln, sondern wie mündige Erwachsene.“ 

T.A.I.: Jede Krise hat auch Chancen. Welche sehen Sie für den Österreich-Tourismus und was müsste dazu bundespolitisch
Ihrer Meinung nach jetzt auf Schiene gebracht werden? 

Schellhorn: „Qualität vor Quantität. Welche Form des Tourismus bringt wirklich Wertschöpfung? Das reine Zählen der Nächtigungen ist sinnlos. Wenn wir weiterhin Zell am See oder Altaussee mit Tages-
touristen fluten, ersticken diese Orte. Wir müssen endlich damit beginnen, den ländlichen Raum in dem Dreieck Landwirtschaft, Tourismus und Raumordnung zu denken und weiter zu entwickeln. Nachhaltigkeit beginnt genau dort und dieser Herausforderung stellen sich die politisch Verantwortlichen aus Gründen der Bequemlichkeit nicht. Aber wir müssen endlich an diese föderalen Strukturen ran.“  

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